Die allgemeine Wehrpflicht sollte wiedereingeführt werden

Zu den Waffen, Genossen

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Nun ist seit Marx’, Parsons und Luxemburgs Zeiten viel geschehen, die Frage der nahenden Revolution stellt sich in der BRD derzeit nicht, aber ­dafür gibt es aber das drängende Problem einer Faschisierung der Bundeswehr. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) konstatiert, dass es seit der Aussetzung der Wehrpflicht in der Bundeswehr »praktisch keine Linken mehr« gebe, dafür aber vermehrt Nationalrevolutionäre, Nationalkonser­vative und Islamisten. Matern Boeselager schildert in der Zeitschrift Vice, dass er seit seiner Ableistung der Wehrpflicht ebendiese für eine gute Idee halte. Die Wehrpflicht könne verhindern, dass sich die Bundeswehr immer weiter von der Gesellschaft abkapsele. Er berichtet, wie er mit anderen Sol­daten – schließlich wollten die meisten dort ohnehin keine Karriere machen – die rechtsradikalen Sprüche des Aus­bilders intensiv habe diskutieren können. Daraufhin beschloss er, den Ausbilder bei den zuständigen Stellen zu melden. Die neuesten Zahlen bestätigen, dass die Aussetzung der Wehrpflicht die rechten Tendenzen in der Bundeswehr enorm befördert hat: Nach einer Anfrage der Linkspartei an das Verteidigungsministerium er­mittelt der MAD derzeit wegen über 431 Verdachtsfällen von Rechtsextremismus; im Jahr 2017 gab es 46 Verdachtsfälle von Islamismus und 2016 50, aber keine Ermittlungen wegen des Verdachts auf Linksradikalismus.

Es lohnt sich zu überlegen, ob Linke ihre ablehnende Haltung gegen die Bundeswehr überdenken, die alte Forderung nach einer »Volksbewaffnung« aufgreifen und durch die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht Nachdruck verleihen sollten.

Wozu eine derartige Abschottung, Radikalisierung und Racketisierung der Armee führen kann, zeigen etwa die Beispiele der Militärputsche in Chile und Spanien, ebenso wie die Niederschlagung des antifaschistischen Februaraufstands 1934 in Österreich. In all diesen Fällen scheiterten vielversprechende linke Vorhaben, weil sie durch eine von der breiten Bevölkerung und damit auch von allen progressiven Elementen der Gesellschaft abgekoppelte Armee zerschlagen wurden, deren Offiziere und Generäle sich ganz der Reaktion verschrieben hatten. Der Einsatz des Militärs gegen linke Bewegungen, die die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung genossen, war nur deshalb möglich, weil das bewaffnete Berufsheer die Ansichten der Junta-Generäle teilte. Die Nelkenrevolution wäre ohne antifaschistische Offiziere und Fußsoldaten nicht möglich gewesen – der Putsch von Augusto Pinochet dagegen funktionierte nur, weil es diese Offiziere und Soldaten kaum gab.

Die typische und bereits im 20. Jahrhundert ausgiebig von sozialistischen Linken kritisierte Haltung des kleinbürgerlichen Pazifismus ist die abstrakte Verneinung der Armee, des Krieges und des Militärs, sie lässt sich in Wolf Biermanns »Soldat, Soldat« auf den Punkt bringen. Da heißt es: »Soldat Soldat, wo geht das hin / Soldat Soldat, wo ist der Sinn / Soldat Soldat, im nächsten Krieg / Soldat Soldat, gibt es kein Sieg / Soldat, Soldat, die Welt ist jung / Soldat Soldat, so jung wie du / Die Welt hat einen tiefen Sprung / Soldat, am Rand stehst du«. Diese ­Haltung ist in dieser abstrakten Form falsch, auch wenn es selbstverständlich richtig bleibt, dass die Welt »einen tiefen Sprung« hat, sofern damit gemeint ist, dass die kapitalistische Produktionsweise und miteinander unnachgiebig konkurrierende Nationalstaaten und Blöcke zwangsläufig immer wieder Kriege produzieren. Biermann unterschlägt oder vielmehr verdrängt hier, dass der Erste Weltkrieg nicht zuletzt von streikenden und meuternden Soldaten und Matrosen beendet wurde.

Soldaten sind sich selbstverständlich nicht alle gleich, sondern versuchten etwa als eher anarchistisch geprägte Rote Ruhrarmee das Ruhrgebiet vor rechtsradikalem Terror zu schützen. In diesem Sinne war auch die bundesdeutsche Linke schon einmal weiter: »Zwei Seiten hat die Barrikad’, / wo stehst du, Bundeswehrsoldat?« wurde etwa in der Entgegnung auf Biermann von einer leninis­tischen Agitpropsonggruppe gesungen. Selbstverständlich sollte die Abschaffung des Militärs das Endziel ­einer emanzipatorischen Linken bleiben, es stellt sich nur die Frage, wie man im Hier und Jetzt mit einer Welt umgeht, in der nationale Armeen ­ohnehin auf absehbare Zeit zum Status quo gehören werden. Man kann sie auch nicht durch abstrakte Negation verschwinden lassen. Auffällig ist ­hingegen, dass sehr viele rechte Militärputsche von Berufsheeren durch­geführt wurden.

Es lohnt sich also zu überlegen, ob Linke ihre ablehnende Haltung gegen die Bundeswehr überdenken, die alte Forderung nach einer »Volksbewaffnung« aufgreifen und durch die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht Nachdruck verleihen sollten. Dies wäre nicht nur in Hinblick auf die Verhinderung einer sich faschisierenden Berufsarmee sinnvoll, ­sondern auch in Hinblick auf eine Stärkung der militärischen Kompetenz der Linken. Auch wenn im Augenblick keine Revolution zu erwarten ist, wäre die Wehrpflicht sinnvoll, um die ­eigenen analytischen Fähigkeiten zu stärken, etwa beim Umgang mit bewaffneten Konflikten.