Im Tal der Tauben: Das Kulturfestival Cappadox in der Türkei

In Anatolien sprechen die Steine

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Kappadokien umfasst verschiedene zentralanatolische Städte, die in der jüngsten Vergangenheit Ziel der Bauwut der türkischen Regierung wurden. Die Stadt Nevşehir besteht fast nur noch aus den hässlichen Hochhäusern der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft Toki. Am Stadtrand erinnern Ruinen an die Altstadt, deren Zentrum immer multikulturell geprägt war. Ein paar Moscheen und die ehemalige griechisch-orthodoxe Kirche stehen noch. Nach Pogromen in den fünfziger Jahren haben fast alle Griechen die Stadt verlassen, danach wurde das große Gotteshaus bis 1983 als Gefängnis genutzt.

»Alles hat Spalten und Risse. Kannst du wie das Licht sein, das durch die Risse dringt?« flüstert es aus dem Felsen. Diese Verse der Klangcollage beziehen sich auf Leonhard Cohens Lied »Anthem«

Mükremin Tokmak, der zum ­Kuratorenteam des Festivals gehört, blickt versonnen auf eine alte Schwarzweißfotografie. Sie zeigt ihn im Jahr 1974 als 17jährigen mit einem Freund vor dem Trakt der politischen Gefangenen. »Ich war damals Teil der sozialistischen Bewegung, die sich für eine Entwicklung Anatoliens einsetzte«, erzählt er. Vier Jahre Haft brachte ihm das ein. Heutzutage ist Tokmak Mitglied der Demokratiepartei des Volkes (HDP), deren frühere Parteiführung fast vollzählig im Gefängnis sitzt. »Wie uns damals beschuldigt man sie, Mitglieder terroristischer Ver­einigungen zu sein, dabei ging es damals wie heute um gewaltfreie Oppositionspolitik.« Mükremin hat das Festival mit seinem umfassenden Wissen über die Region stark beeinflusst. Er wohnt in einem großen Höhlenhaus, das früher Teil einer unterirdischen Stadt war. Eigenhändig hat er Teile der verschütteten Gänge hinter dem Wohnraum freigelegt. »Die wurden nach der Republikgründung von den Kemalisten zugeschüttet, weil sich die Region so besser kontrollieren ließ«, erläutert Tokmak.

Als Anhänger der ultranationalistischen Partei der Nationalen Be­wegung (MHP) und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) 2015 vor seiner Tür demonstrierten und »Vaterlandsver­räter« brüllten, brachte der HDP-Politiker seinen kleinen Sohn durch ­einen unterirdischen Gang ins Nachbarhaus, weil er fürchtete, dass die Meute sein Haus anzünden könnte. Die Wut über den Erfolg der HDP bei den Parlamentswahlen, der die absolute Mehrheit der AKP beendet hatte, sei maßlos gewesen. Für die Präsidentschaftswahl sieht er schwarz: »Eine Koalition der rechten Islamisten und Faschisten tritt gegen eine andere republikanisch ultra­rechte Koalition aus Kemalisten, ­oppositionellen Ultranationalisten und Islamisten an. Daraus kann kein liberaler Präsident hervorgehen.« Dass Erdoğan verlieren könnte, sei aber immerhin vorstellbar.

Im Tal der Tauben zeigt sich Hale Tenger zufrieden mit dem Sound ­ihrer Installation. Die Tontechniker haben eine Lösung gefunden, um das Echo nachzubilden. »Alles hat Spalten und Risse. Kannst du wie das Licht sein, das durch die Risse dringt?« flüstert es aus dem Felsen. Diese Verse der Klangcollage beziehen sich auf Leonhard Cohens Lied »Anthem« und den berühmten Vers, »There is a crack in everything, that’s how the light gets in.« Aus dem Gestein im Tal der Tauben wispert es: »Kannst du wie das Licht sein, dass durch die Spalten dringt?«

Das bis zum 7. Juli stattfindende Festival jedenfalls ist ein Lichtblick in politisch düsteren Zeiten in der Türkei.