Die österreichische Geheimdienstaffäre betrifft auch Daten aus Deutschland

Staatsgeheimnisse im Posteingang

Bei der Razzia gegen den österreichischen Verfassungsschutz BVT wurden auch Daten des deutschen VS beschlagnahmt. Kurz bevor Österreich den EU-Vorsitz übernimmt, versinkt der BVT im Chaos.

Auszuschließen ist hier nichts. Als der deutsche Verfassungsschutz im März in Österreich nachfragte, ob bei den Hausdurchsuchungen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) auch Material ausländischer, speziell deutscher Dienste beschlagnahmt worden sei, hatte Christian Pilnacek, der Generalsekretär des Justizministeriums in Wien, noch ausrichten lassen, dies sei »auszuschließen«. Vorige ­Woche wurde bekannt, dass sehr wohl Ermittlungsergebnisse deutscher Verfassungsschützer von den Razzien betroffen waren, konkret eine DVD des deutschen Verfassungsschutzes, mit Fotos unter anderem von deutschen Neonazis, die 2015 an einem jährlichen Treffen von Rechtsextremen in Kärnten teilgenommmen hatten.

Das österreichische Justizministerium behauptet nun, die DVD sei »ohne ­Auswertung« zurückgegeben worden, doch längst ist das Vertrauen inter­nationaler Geheimdienste zu den derzeitigen Entscheidungsträgern in ­Österreich schwer erschüttert. Stefan Mayer, ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), wollte auf Nachfrage der Jungle World zwar nicht Stellung nehmen, doch bevor die Beschlagnahmung deutschen Materials durch österreichische Straßenpolizisten bekannt geworden war, hatte es aus dem BfV noch geheißen, man müsse die weitere Zusammenarbeit mit den ­österreichischen Kollegen »überdenken«. Unwahrscheinlich, dass dieses Überdenken nach den jüngsten Enthüllungen zu einem besseren Verhältnis führen wird als zuvor. Der Skandal, der Ende Februar mit Hausdurchsuchungen bei Verfassungsschützern durch eine ­Polizeieinheit unter FPÖ-Führung begann (Jungle World 12/2018), ist für die Regierungskoalition aus der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der konservativen ­Österreichischen Volkspartei (ÖVP) längst noch nicht ausgestanden, und fast täglich kommen neue bedenkliche Facetten hinzu.

Das BVT sollte eigentlich in aller Stille Material über Verfassungsfeinde und Terroristen sammeln, doch seit mit der FPÖ eine Partei den Innenminister stellt, deren Mitglieder teilweise zu den Zielpersonen des BVT gehören, ist das Amt zum öffentlichen Schauplatz eines Machtkampfs geworden und kommt nicht zur Ruhe. Die neuesten Volten: Mehrere Spitzenbeamte des BVT, darunter dessen Leiter Peter Gridling, die auf Druck der FPÖ suspendiert worden waren, sind nach gerichtlicher Aufhebung ihrer ­Suspendierung wieder im Dienst.

Seit mit der FPÖ eine Partei den Innenminister stellt, deren Mitglieder teilweise zu den Zielpersonen des BVT gehören, ist das Amt zum öffentlichen Schauplatz eines Machtkampfs geworden.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) muss sich derweil fragen lassen, warum sein Kabinettsmitarbeiter Udo Lett mit einem ehemaligen BVT-Mitarbeiter in Kontakt steht, der nur als »O.« bekannt ist und dem nach ­Aktenlage der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, »klassifizierte Dokumente sowie sonstige Informationen an einen fremden Nachrichtendienst weitergegeben zu haben – angeblich an den russischen«. Der ominöse O. soll sich Aussagen ehemaliger Kollegen zufolge auch folgendes Meisterstück des Spionagehandwerks geleistet haben: Als er kurzfristig zu einem Vortrag berufen wurde, schickte er aus Bequemlichkeit einfach geheime Unterlagen von seiner Dienst-E-Mail-Adresse an seinen privaten Gmail-Account. Nur zwei Tage später bekam das BVT Besuch von wütenden US-amerikanischen FBI-­Beamten, die ihren österreichischen Kollegen die ausgedruckten E-Mails des leicht zu knackenden Kontos vorlegten und damit drohten, die Zusammenarbeit mit Österreich zu beenden. O. soll nämlich auch geheime Akten des FBI an seine private E-Mail-Adresse gesendet haben. Der Beamte wurde suspendiert, gegen ihn läuft eine Untersuchung wegen des Verdachts auf Verrat von Staatsgeheimnissen.

 

Unterdessen fürchten weiterhin beschäftigte wie auch von der FPÖ aus dem Job gedrängte BVT-Mitarbeiter um Leib und Leben. So schrieb der sus­pendierte Leiter der Abteilung Nachrichtendienste einen dramatischen Appell an das Parlament, in dem er die Abgeordneten aufforderte, dafür Sorge zu tragen, dass sein Name und die Namen anderer Mitarbeiterinnen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Eine berechtigte Sorge, denn die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft liegt mittlerweile auch den Medien vor und nennt Dutzende Agentinnen und Agenten mit Klarnamen, Telefonnummer und ­Adresse. Die Gefahr für die Betroffenen ist real, haben doch einige Verfassungsschützer gegen gewaltbereite Islamisten und Neonazis ermittelt und ­Aktionen durchgeführt, die gegen Staaten wie Nordkorea und den Iran ­gerichtet waren. Am 11. Juni trat das österreichische Parlament auf Antrag der Oppositionsparteien SPÖ, Neos und der Liste Pilz zu einer Sondersitzung zusammen, um den Skandal zu erörtern. Dabei kam es zu einem Eklat. Als die Abgeordnete Alma Zadić (Liste Pilz), die als Zehnjährige mit ihren Eltern als bosnischer Kriegsflüchtling nach Österreich gekommen war, in ihrer Rede auf die Bedrohungslage durch die chaotischen Vorgänge rund um das BVT hinwies, rief der ÖVP-Parlamentarier Johann Rädler dazwischen: »Sie sind nicht in Bosnien! Verwechseln Sie das nicht!« Der FPÖ-Abgeordnete Wolfgang Zanger rief: »Alma, bei mir bist du ­sicher.«

Während Österreich seinen Geheimdienstskandal mühsam aufklärt, wird die Beziehung zu den deutschen Diensten täglich schlechter. Am Wochenende wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst tausende Ziele in Österreich ausspioniert haben soll. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen ­fordern von Deutschland »volle Aufklärung«. Geheimdienstexperten ­verweisen jedoch auf informelle Absprachen zwischen den Diensten, Deutschland sei als Gegenleistung für den Austausch von Informationen ­sozusagen freie Hand in Österreich gegeben worden.

Ins Rollen gebracht hatte die ganze Affäre ein anonymer ehemaliger Mit­arbeiter des BVT, der voriges Jahr per E-Mail ein Konvolut mit teils grotesken Vorwürfen gegen den Verfassungsschutz an mehrere Journalisten sowie an die FPÖ verschickt hatte. Die Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft, die in dem Fall ermittelt, hat nun das Ansuchen an Google gestellt, die Identität dieser Person preiszugeben, denn das Material wurde per Gmail verschickt. Österreichische IT-Experten hatten bislang nur herausfinden können, aus welcher Landeshauptstadt die Mails verschickt wurden. Von den Fähig­keiten des FBI ist man in Wien offenbar weit entfernt.