US-Präsident Trump muss bei ­seiner Migrationspolitik einen Rückzieher machen

Abschreckung um jeden Preis

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Zudem müssen die Behörden in Rekordzeit neuartige Lager an der US-Südgrenze aufbauen, für Erwachsene und Kinder. Diese »Konzentrations­lager für Familien«, wie Angelica Salas, die Vorsitzende der Coalition for ­Humane Immigrant Rights, solche Lager nennt, sollen dem US-Verteidigungsministerium unterstehen. Auf Bitte des Gesundheitsministeriums sollen in Militärbasen dafür rund 20 000 Betten bereitgestellt werden.

Für die brutale Politik gegenüber Immigranten ist neben Sessions der Berater von Präsident Trump, Stephen Miller, verantwortlich. Miller hatte die »Catch and release«-Praxis immer wieder scharf kritisiert und sich dafür eingesetzt, die Familien von undokumentierten Immigranten zu trennen und sie in Internierungslagern festzusetzen. Nur so könne ein Höchstmaß an Abschreckung erreicht werden. »Kein Land kann eine ganze Klasse von Menschen prinzipiell von Immigrationsgesetzen ausnehmen«, sagte Miller vergangene Woche. »Diese Regierung hat sich schlicht für eine Null-Toleranz-Politik bei illegalem Zutritt ins amerikanische Territorium entschieden.«

Das Entsetzen, das die Maßnahme hervorgerufen hat, ist daher gleich­zeitig auch ihr eigentlicher Zweck. Wer Kinder von ihren Eltern trennt, handelt nicht nur grausam, sondern erzeugt auch eine kaum noch zu steigernde Angst. Wenn der illegale Grenzübertritt zu einer Straftat erklärt wird, werden Geflüchtete zu Verbrechern, zu deren Bekämpfung nahezu alle Mittel legitim scheinen.

Bevor er Regierungsberater wurde, arbeitete Miller als Pressesprecher von Jeff Sessions, der in seiner Zeit als Senator selbst unter Republikanern wegen extremer Positionen als Außenseiter galt. Sessions sieht den ethnonischen und religiösen Status quo der USA durch illegale Immigration bedroht und strebt letztlich die Abschaffung der im Rahmen der Bürgerrechtsgesetze von 1965 vollzogen Liberalisierung des Einwanderungsrechts an. Miller, der als Student an der Duke-Universität mit dem Rechtsextremisten Richard Spencer zusammengearbeitet hatte, pflegte als Pressesprecher von Sessions enge Kontakte zum Medienportal »Breitbart« und Stephen Bannon.

Daraus ging eine enge Kooperation zwischen Sessions, Miller und Bannon hervor, als dieser erst Berater und dann im Sommer 2016 Wahlkampfleiter Trumps geworden war. Nach dem Wahlsieg im November 2016 nahm Sessions den Posten des Justizministers an, während Miller als Berater ins Weiße Haus wechselte. »He’s Waffen-SS«, zitierte vergangene Woche die US-Zeitschrift Vanity Fair einen Berater im Weißen Haus, der Millers Einstellung beschreiben sollte.

Dabei gelangten Millers Großeltern Anfang der dreißiger Jahre selbst nur als illegale Flüchtlinge in die Vereinigten Staaten. Dieser Umstand dürfte mit dazu beigetragen haben, dass sich vor wenigen Tagen die Orthodox Union (OU), der Dachverband der orthodoxen Juden in den USA, einem Protest von 26 jüdischen Organisationen gegen die Trennung von Familien illegaler Einwanderer angeschlossen hat. Dass ­liberal und orthodox ausgerichtete jüdische Gemeinden eine gemeinsame ­Erklärung veröffentlichen, kommt in den USA nur selten vor.

Selbst unter den Evangelikalen, die zu den eifrigsten Unterstützern Trumps gehören, mehren sich inzwischen die Zweifel an der Null-Toleranz-Politik der Regierung. »Es ist schändlich und schrecklich zu sehen, wie diese Familien auseinandergerissen werden. Und ich unterstütze das kein bisschen«, sagte Franklin Graham, ein evangelikaler Pastor und Sohn des legendären Pastors Billy Graham, in einem Fernsehinterview.

Mittlerweile haben außerdem über 600 Mitglieder der United Methodist Church, der auch Jess Sessions angehört, beantragt, den Justizminister auszuschließen. Sessions habe mit seiner Politik Kirchenregeln verletzt und sich des Kindermissbrauchs, unmoralischen Handelns und rassistischer Diskriminierung schuldig gemacht, heißt es in dem Antrag. Auch die katholische ­Kirche hat das Vorgehen der US-Regierung vehement kritisiert.

Die heftigen Proteste trafen die Regierung wohl überraschend, da sie nicht nur von oppositionellen Demokraten und Liberalen, sondern auch von manchen Anhängern Trumps unterstützt wurden. Deren konservative Moralvorstellungen ver­tragen sich beim Thema Familie eigentlich nur schwer mit Trumps Vorgehen. Dennoch war bisher insbesondere bei weißen Evangelikalen die Zustimmung zu Trumps Einwanderungspolitik überproportional hoch. Gemäß einer ­Umfrage der Washington Post und des Fernseh- und Hörfunknetzwerks ABC vom Januar 2018 unterstützten 75 Prozent der weißen Evangelikalen Trumps Einwanderungspolitik. In der Gesamtbevölkerung lag die Unter­stützung bei 46 Prozent, unter ­nichtweißen Christen sogar nur bei 25 ­Prozent.

An der generellen Ausrichtung wird die derzeitige politische Niederlage Trumps vermutlich nicht viel ändern. Er wird neue Möglichkeiten suchen, um Flüchtlinge abzuschrecken. Die Kinder in Brownsville werden wohl noch lange im »Casa Padre« bleiben müssen.