Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse

Toleranz auf Sächsisch

Sächsische Behörden lassen regelmäßig Demokratieprojekte, die im Rahmen des Programms »Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz« gefördert werden, vom Verfassungsschutz überprüfen.
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Odin lebt in Bautzen. Seine Gesichtszüge sind ebenso hart wie sein Auftreten, tief drinnen jedoch hat er einen ganz weichen Kern. Sein Sozialverhalten ist noch verbesserungswürdig, auch braucht er etwas länger, um Vertrauen zu fremden Menschen aufzubauen.

Aber eigentlich ist er ein ganz Lieber. Odin ist ein Pitbull-Terrier-Mischling, der im Tierheim Bautzen zurzeit auf die Vermittlung in ein neues Zuhauses wartet. Vielleicht mag sich ja Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) des armen Tiers annehmen. Es ist zwar nicht bekannt, ob er Hunde mag, aber Herz für die menschlichen Odins seiner Stadt hat er schon bewiesen. Es ist sogar gut möglich, dass das frühere Herrchen oder Frauchen des Mischlings bereits bei ihm am Tisch saß.

Ahrens’ Antwort auf die rassistischen Hetzjagden, die im Sommer 2016 Bautzen bundesweit in die Schlagzeilen brachten, bestand darin, Gesprächsrunden mit Nazis im Rathaus abzuhalten. Der sozialdemokratische Bürgermeister ist zwar kein Freund von Nazis, aber noch weniger mag er Menschen, die die sächsische Kleinstadt »immer wieder pauschal als braunes Nest oder Ähnliches« darstellen. Damit meint er zum Beispiel die Bloggerin Annalena Schmidt, die über ihre »Hassliebe« zu Bautzen seit ihrem Zuzug 2016 im Internet berichtet. Für dieses Engagement wurde sie vor einigen Wochen vom »Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt« zur »Demokratiebotschafterin« ernannt. Statt sich jedoch darüber zu freuen, dass Bautzen einmal nicht nur wegen seiner Odins Aufmerksamkeit bekommt, kritisierte Ahrens die Würdigung und riet der Bloggerin öffentlich, sie solle selbst »am Faktor Toleranz noch ein bisschen arbeiten«; schließlich sei nicht jede AfD-Wählerin ein schlechter Mensch und nicht jeder mit »sehr konservativen Ansichten« ein Nazi.

Ahrens’ Toleranz wiederum hat dazu beigetragen, dass Bautzen, die achtgrößte Stadt in Sachsen, den dritten Platz in der Statistik sowohl bei extrem rechten Straftaten als auch bei fremdenfeindlichen Protesten belegt. Und während im vergangenen Jahr sachsenweit die Zahl rechtsextremer Angriffe auf politische Gegner um 21 Prozent gesunken ist, stieg sie im Landkreis Bautzen um 18 Prozent. Toleranz kann Demokraten und Antifaschistinnen im Freistaat schnell gefährlich werden. Ganz tolerant wurde auch die jüngste Pegida-Kundgebung in Dresden auf den Internetseiten des MDR beworben, unter der Rubrik »Gedenkveranstaltungen« zum Aufstand in der DDR vom 17. Juni 1953.

Wenn es um Liberale und Linke geht, scheinen die Grenzen des Tolerablen hingegen schnell erreicht. So kam kürzlich durch eine Kleine Anfrage der Grünen im Landtag heraus, dass sächsische Behörden regelmäßig Demokratieprojekte, die im Rahmen des Programms »Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz« gefördert werden, vom Verfassungsschutz überprüfen lassen. Das Netzwerk Tolerantes Sachsen, ein Zusammenschluss von etwa 100 zivilgesellschaftlichen Initiativen, übte scharfe Kritik an der Praxis. »Die Bekämpfung von menschenverachtenden Einstellungen ist nicht ›extrem‹, sondern eine demokratische Grundpflicht«, sagte Andrea Hübler, die Sprecherin des Netzwerks. Wahrscheinlich ist manchen in der Landesregierung aber bereits der Name des Programms suspekt, schließlich ist der Freistaat sehr bemüht, der Welt zu zeigen, dass er eben nicht für sie offen ist.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert mehr Abschiebungen, sogenannten Ankerzentren, also große Sammellager, und die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze – er gefällt sich offenbar in der Rolle des Schoß- beziehungsweise Schäferhunds von Heimatminister Horst Seehofer (CSU). Die sächsische CDU hat auch bereits ihre Unterstützung für Seehofers »Masterplan« erklärt, ohne zu wissen, was tatsächlich drinsteht.

Was macht zwischen all den Odins und Pitbulls eigentlich die SPD? Schließlich stellt sie, auch wenn dies gerne übersehen wird, mit der CDU zusammen die sächsische Landesregierung. Kritik an den Lager- und Mauerbauwünschen ihres Koalitionspartners ist von den sächsischen Sozialdemokraten aber kaum zu vernehmen. Der am meisten beachtete SPD-Beitrag zur derzeitigen Asyldebatte kam vom Leipziger Politiker Jens Katzek. Er hatte auf Facebook ein Foto von sich veröffentlicht mit der Aufschrift: »Auch ich bin ein Rassist!« Sein Post war kein Versuch, sich in das rassistische Milieu in Sachsen zu integrieren. Vielmehr wollte er seine Parteivorsitzende Andrea Nahles unterstützen. Diese hatte auch in sozialdemokratischen Kreisen Kritik einstecken müssen, nachdem sie öffentlich gesagt hatte, »wir« könnten nicht »alle« aufnehmen. Wenn diese Aussage rassistisch sei, so Katzek, sei eben auch er ein Rassist.

Nicht zuletzt wegen SPD-Politikern wie Katzek wird künftig in Sachsen der sogenannte Gemeinschaftskundeunterricht ausgebaut, im Zuge einer »bildungspolitischen Offensive« mit dem Namen »W wie Werte«. Den Verantwortlichen scheint es nicht zu genügen, dass das Wort »Gemeinschaft« im Deutschen ohnehin einer Drohung gleichkommt. Der Titel des Kabinettsbeschlusses, der der »Bildungsoffensive« zugrunde liegt, lässt ebenfalls nichts Gutes erahnen: »Maßnahmepaket für ein starkes Sachsen«.