Im Iran flammen neue Proteste auf, die Wirtschaftskrise verschärft sich

Kein Wasser, aber Raketen gibt es genug

Der Bazar bleibt geschlossen, in Khorramshahr wird gegen Wasser­mangel demonstriert – im Iran flammen ständig neue Proteste auf. Repräsentanten des Regimes drohen mit der Todesstrafe und geben reichen Goldkäufern die Schuld.

Die Proteste im Iran halten an, immer wieder treten neue Konflikte auf. In der südiranischen Stadt Khorramshahr ging es um Wasser, zeitweise war bei Temperaturen um 45 Grad Celsius die Versorgung zusammengebrochen. Die Polizei attackierte die Demonstrierenden nicht nur mit Tränengas, sondern setzte auch scharfe Munition ein, berichtete Radio Farda. Die Behörden dementierten Meldungen, dass es Todesopfer ­gegeben habe.

Die heftigen Proteste richteten sich auch gegen die Verschmutzung und Versalzung, die das Wasser aufweist, wenn es denn fließt – ein Problem, das auch in anderen Städten wie Abadan auftritt. Die Wasserkrise wird sich wohl weiter verschärfen – die Misswirtschaft des Regimes hat erheblich dazu beigetragen.

So wurden auch in Khorramshahr Parolen gegen das Regime und dessen kostspielige Expansionspolitik gerufen – wie bei anderen Protesten in den vergangenen Wochen und Monaten. Diese richteten sich vor allem gegen die Wirtschaftspolitik des Regimes und die Inflation. Nach Angaben der iranischen Zentralbank stieg der Brotpreis in den vergangenen zehn Jahren um 16o Prozent, der Milchpreis um 39 Prozent. Die Unzufriedenheit erfasst ­nunmehr auch soziale Schichten, die als Stützen der Islamischen Republik galten wie die Bazaris. Ihre Proteste begannen am 24. Juni in Teheran mit der Schließung vieler Geschäfte, die Händler anderer Städte schlossen sich an.

Offene Opposition wird in der Islamischen Republik Iran nicht geduldet, derzeit häufen sich die Drohungen. So kündigte der Teheraner Staatsanwalt Jafari Dolatabadi drakonische Strafen für Studenten an, die während der Proteste im Januar dieses Jahres verhaftet worden waren. Diese seien vom Ausland gesteuert worden. Die Bazaris, so behauptete Dolatabadi, hätten die Proteste nicht selbst organisiert. Vielmehr seien sie unter Druck gesetzt worden, die Läden zu schließen.

Tatsächlich waren die Proteste eine Reaktion auf die Inflation und den rasanten Verfall der iranischen Währung, des Rial. In Interviews, die ein iranischer Sender im Teheraner Bazar führte, äußerten sich die Händler unterschiedlich. Ein junger Ladenbesitzer sagte, dass er sein Geschäft geschlossen habe, weil es sich nicht mehr lohne, es zu öffnen. Die Ware, die er heute verkaufe, müsse er morgen zum doppelten Preis einkaufen, könne sie aber nicht mehr mit Gewinn verkaufen, da Käufer den gestiegenen Preis nicht mehr zahlen könnten.

Weizen, Speiseöl und Zucker seien ausreichend im Land vorhanden, man müsse die US-Sanktionen daher nicht fürchten, belehrte Präsident Hassan Rohani die Bevölkerung.

Vertreter der Regimes bedienen sich nun verstärkt sozialpopulistischer Propaganda. Dolatabadi prangerte »Unheilstifter« an, die die »Sicherheit der Wirtschaft« gefährdeten, und bezog sich damit auf das Problem der Korruption. Diese könne mit dem Tod oder bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden. Er betonte, dass man gegen eine solche Strafe keine Berufung einlegen könne. Auch manche traditionelle Bazaris fordern, dass die »Aqa-Zadehs«, die »Kinder der Herren«, bestraft werden. Gemeint ist eine Schicht von Superreichen, deren Luxuskonsum skandalisiert wird und deren Anlagen in Dollar und Gold für die wirtschaftliche Katastrophe verantwortlich gemacht werden. Kein Geringerer als der Direktor der Aufsichtsbehörde für Finanzen, Nasser Saraj, kritisierte, dass in diesem Jahr etwa 5 000 besonders teure Autos importiert worden seien. Die reichen Iraner gäben immer mehr Geld für immer teurere Autos und Häuser aus, schreibt die in Teheran erscheinende Zeitung Entekhab.

In einem durch und durch korrupten System wird eine mit »westlicher Dekadenz« identifizierte Schicht für die ökonomischen Probleme verantwortlich gemacht. Tatsächlich ist die kritisierte – und sicher häufig verfolgte – Anlagestrategie bezeichnend. Reiche Iraner wollen vor allem ihr Vermögen sichern und kaufen Devisen oder Gold. Saraj zufolge sind etwa 7,6 Millionen Iraner für den Goldhandel eingetragen worden, aber eine kleine Gruppe von etwa 50 Iranern besitzt fünf Prozent des gesamten Bestands an Goldmünzen. Iranische Medien berichteten im Juni, dass ein 31jähriger mehr als 382 500 Gold­münzen eingekauft habe. Auch der Justizchef Sadeq Larijani fordert die Todesstrafe für Reiche, die »die iranische Wirtschaft destabilisieren«. ­Allerdings hat die iranische Zentralbank bisher keine Grenze für den Kauf von Gold gesetzt.

Das Horten von Gold und Devisen ist ein Krisensymptom, das die Krise weiter verschärft. Investiert wird offenbar kaum – weil es sich nicht lohnt in einem von korrupten staatskapitalistischen Interessengruppen dominierten System, weil neue Sanktionen drohen und weil der Währungsverfall Geschäfte mit dem Ausland fast unmöglich macht.