Präsident al-Sisi regiert seit fünf Jahren in Ägypten

Keine Besserung in Sicht

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Im August 2014 veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht über die Vorfälle, für den sie ein Jahr lang recherchiert hatte. Sie zählte allein auf dem Rabaa-Platz mindestens 817 Tote, darunter Frauen und Kinder, vermutete aber, dass die Zahl über 1 000 liege. Die Studie spricht von einem der schlimmsten Massaker, die an Demonstrierenden weltweit verübt wurden, und vergleicht es mit dem auf dem Tiananmen-Platz in China 1989. Die beiden Autoren wurden verhaftet und aus Ägypten ausgewiesen, bevor sie den Bericht vorstellen konnten.

Das Massaker von Rabaa markierte einen Bruch – das Ende der postrevolutionären Phase und den Beginn einer neuen Militärdiktatur, die bis heute andauert.

In einem Interview mit dem britischen Guardian vom 25. Januar 2016 sagte der Filmemacher und Autor Omar Robert Hamilton: »Das Spektakel des Tahrir-Platzes wurde begraben unter einem Spektakel des Todes, und wir blieben mit einer einzigen Frage zurück: Wie kann man denen die Macht entreißen, die bereit sind, 1 000 Menschen an einem einzigen Tag zu töten? Mit Gewalt? Und was würde diese Gewalt, die für uns unmöglich war, uns kosten?«

Die Muslimbruderschaft reagierte auf das Massaker von Rabaa, wie es zu erwarten war: Es kam zu Aufständen im Land, Kirchen brannten, mindestens vier Menschen starben. Al-Sisi rief den Ausnahmezustand aus, erließ eine nächtliche Ausgangssperre und befahl den Einsatz scharfer Munition gegen Demonstrierende, wachsame Bürger sollten jedes verdächtige Verhalten den Ordnungskräften melden. In den folgenden Monaten wurden die unabhängigen Medien zerschlagen, Journalisten und Bloggerinnen verhaftet, Demonstrationen mit einem neuen Gesetz verboten. Menschenrechts­organisationen zufolge sind gegenwärtig bis zu 50 000 politische Gefangene inhaftiert, Folter, willkürliche Verhaftungen und das »Verschwindenlassen« von Menschen sind an der Tagesordnung.

Al-Sisi wurde wie erwartet im Frühjahr 2014 zum Präsidenten gewählt, vor wenigen Wochen wurde er mit über 90 Prozent Zustimmung im Amt bestätigt. Wie hoch diese tatsächlich ist, lässt sich nur erahnen. Die Zeiten, in denen er auf Gebäck und Unterwäsche prangte und Frauen, wenn sie ihn trafen, in Ohnmacht fielen, sind längst vorbei. Die Wirtschaftskrise dauert an, Waren haben sich in den vergangenen Jahre extrem verteuert, ein Drittel der Ägypter lebt unter der Armutsgrenze, während al-Sisi absurde Großprojekte aus der Wüste zu stampfen versucht und sich über kilometerlange rote Teppiche führen lässt. Teile der Bevölkerung dürften dennoch weiterhin hinter ihm stehen. Angesichts der Bürgerkriege in Syrien, Jemen und Libyen sehen sie in ihm und der Armee die Garanten für Stabilität und relative Sicherheit. Ein anderer Teil schweigt aus Angst. Von den jungen Protestierenden, die 2011 die Revolution trugen, sind viele im Gefängnis, im Exil oder tot.

In Ägypten gilt nun wieder, was seit Nassers Putsch 1952 galt: Das Militär regiert. Ein Vergleich, auf den auch al-Sisi gern verweist, wenn Bilder ihn vor Nasser zeigen. Nasser verfolgte Kritiker und Oppositionelle ebenso brutal wie heutzutage al-Sisi, aber seine Herrschaft beruhte, wie im sozialistisch-post­kolonialen Umfeld der fünfziger und sechziger Jahre üblich, auf dem Versprechen von Umverteilung. Er verstaatlichte den Suez-Kanal, begann eine Landreform, sicherte sich die Unterstützung der ärmeren Klassen durch günstige Lebensmittel und Energie, durch Wohnungen und kostenlose Bildung.

Al-Sisis Verbündete sind das Militär, der Sicherheitsapparat und die öko­nomische Führungsschicht. Letztere hatte ihren Reichtum den Reformen unter Mubarak zu verdanken und der enormen Konzentrierung der Vermögen, die diese bewirkt haben. Diese Politik setzt al-Sisi fort: Im Herbst 2016 hat er Strukturanpassungsmaßnahmen nach Vorgaben des Internationalen Währungsfonds beschlossen, die die Liberalisierung noch weiter treiben werden. Die Repression, die er installiert hat, dient nicht nur dazu, persönliche Konkurrenten auszuschalten, sondern auch dazu, diese Wirtschaftspolitik durchzusetzen.