Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega verweigert Kompromisse mit der Opposition

Barrikaden bauen gegen die Sandinisten

Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega lehnt die von der Opposition geforderten Neuwahlen ab. Der Konflikt, in dem seit April mehr als 300 Menschen starben, geht weiter.

Es war Daniel Ortegas erster öffentlicher Auftritt seit Ende Mai, und er war nicht dazu geeignet, die angespannte Lage zu beruhigen. »Die Wahlen werden abgehalten, wie das Gesetz es vorschreibt. Alles hat seine Zeit«, sagte am Samstag der 72jährige nicaraguanische Präsident, der gemeinsam mit seiner Frau Rosario Murillo das mittelamerikanische Land regiert. Murillo ist Vizepräsidentin und Regierungssprecherin, sie kontrolliert das Medienimperium der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN).

Mit der Ablehnung von Neuwahlen – reguläre Wahlen sind erst 2021 fällig – hat Ortega nicht nur der Opposition eine Absage erteilt, sondern auch seinem Bruder Humberto Ortega. Dieser hatte in einem offenen Brief an den Präsidenten appelliert, Neuwahlen anzusetzen. Der Brief trägt das Datum vom 4. Juli, darin fordert der ehemalige Verteidigungsminister seinen Bruder auch auf, die paramilitärischen Kräfte zurückzupfeifen.

Diese werden für den Terror gegen die Bevölkerung verantwortlich gemacht. »Vor allem nachts schießen sie auf alles, was sich bewegt, wenn sie auf dem Motorrad in die Wohnviertel von León oder Managua eindringen«, berichtet Eylin O. Somarriba Rojas. Die Anwältin war lange für den Hamburger Nicaragua-Verein im Rahmen der Städtepartnerschaft tätig, hat Projekte in León koordiniert und den Kontakt zu den dortigen Institutionen gehalten. Die werden von der FSLN dominiert und Eylin Somarriba stand als Kritikerin der Verhältnisse auf einer schwarzen Liste der Partei. Das ist der eine Grund, weshalb sie das Land Anfang Juli verlassen hat, der andere ist ihre kleine Tochter. »Vor allem nachts wurde immer wieder geschossen, es gab Tage, wo wir uns nicht vor die Tür getraut haben. Die Situation in León ist schrecklich«, so die 38jährige auf einer Informationsveranstaltung des Hamburger Nica­ragua-Vereins am Mittwoch voriger Woche.

Täglich steigt die Zahl der Toten. Mehr als 300 Todesopfer registrierten Menschenrechtsorganisationen seit dem Beginn der Proteste im April, als Daniel Ortega eine Rentenreform präsentierte. Die Regierung habe die Pensionen kürzen und die Steuern anheben wollen, schreibt Geoff Thale vom Forschungsinstitut Washington Office on Latin America (WOLA). Er wirft der Regierung vor, die Demonstrationen angegriffen zu haben. Obgleich Ortega den Reformplan zurückzog, kehrte keine Ruhe mehr ein. »Nach elf Jahre der autoritären Herrschaft unter Ortega haben die Menschen ihre Angst verloren, sie traten für ihre Rechte ein und protestierten«, sagt Eylin Somarriba.

Das quittierte die Regierung mit mehr Repression. Schlägertrupps, die früher mit Knüppeln gegen Oppositionelle vorgingen, traten nun mit Schusswaffen auf, und der Paramilitarismus, vor dem auch Präsidentenbruder Humberto Ortega warnte, ist längst ein Charakteristikum des »Orteguismo« geworden – so nennen viele Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner das autoritäre System des Präsidenten.

Der Paramilitarismus ist längst ein Charakteristikum des »Orteguismo« geworden – so nennen viele Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner das autoritäre System des Präsidenten.

Dieser hat sich mit seinem Stab und Rosario Murillo im Regierungsviertel in Managua verschanzt. Die Straßen im Reparto El Carmen sind hermetisch abgeriegelt. »Erst wurde das Reparto abgesperrt, dann folgten Barrikaden, und mittlerweile sind auch erste Mauern gezogen worden, um sich abzuschirmen«, berichtet Magnus Kersting vom Hamburger Kaffeehandelsverein El Rojito, der im Mai und Juni dort ein Seminar mit den Lieferanten veranstaltete.

Anfangs sei es noch möglich gewesen, in die Hauptstadt zu reisen und sie zu verlassen. Das wurde jedoch Kersting zufolge während der Dauer seiner Visite immer schwieriger. Immer mehr Barrikaden seien errichtet worden – aus der Sicht der Regierung kriminelle Aktionen, gegen die die Polizei vorgehen müsse. Doch in Managua lauerten Scharfschützen auf Dächern. Auch in León werde scharf auf die Menschen hinter Barrikaden geschossen, so Eylin Somarriba.

Es ist schwierig, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Während das Regierungsportal »El 19 Digital« immer wieder den Friedenswillen Ortegas hervorhebt, kursieren in den sozialen Medien Videos, die zeigen, wie paramilitärische Banden gegen die Proteste vorgehen. Dass sie von der Regierung organisiert, bewaffnet und dirigiert werden, daran lässt der ehemalige Armeeoffizier Roberto Samcam Ruiz keinen Zweifel. Auf ehemalige Soldaten, militante Aktivisten der sandinistischen Jugendorganisation, Mitarbeiter von Stadtverwaltungen und auch Häftlinge sei zurückgegriffen worden, schreibt er in einem Beitrag für die Nachrichtenagentur Servicio Nicaragüense de Noticias.

Eine Einschätzung, die nicht nur vom Oppositionsbündnis 19. April, sondern auch von unabhängigen Beobachtern geteilt wird. Die Opposition fordert den Rücktritt Ortegas, ein Ende der Gewalt und eine freie Presse, denn das Gros der Medien werde von der Regierung kontrolliert. Wegen der anhaltenden Proteste und Straßenblockaden, die der Wirtschaft des Landes schwer zu schaffen machen, mussten die Sandinisten erstmals seit 39 Jahren am Sam­stag den traditionellen Marsch von Managua nach Masaya absagen, der an ein erfolgreiches Guerillamanöver im Jahr 1979 erinnert.

Ein Erfolg der Opposition, so Yubrank Suazo vom Bündnis 19. April. »Das Volk hat entschieden, dass wir Ortega nicht nach Masaya lassen, und wir haben das Versprechen erfüllt«, sagte er der Zeitung El Nuevo Diario. »Jetzt müssen wir einiger denn je sein, obwohl sie uns töten und unsere Häuser in Brand stecken.« Suazos Elternhaus in Masaya wurde am 4. Juli von Paramilitärs angezündet. Ein Ende des Konflikts zeichnet sich angesichts der kompromisslosen Haltung Daniel Ortegas nicht ab.