David Motadel, Historiker, im Gespräch über die Islampolitik im »Dritten Reich«

»Die Deutschen als Schutzmacht des Islam«

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Interview Von

Wie bewerten Sie den wissenschaftlichen Diskurs über die Kollaboration zwischen Nazis und Muslimen?
Die mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigten Historiker haben in den letzten zehn Jahren ein wachsendes  Interesse an den Beziehungen des NS-Regimes zur islamischen Welt gezeigt. Ein Großteil der Veröffentlichungen behandelt jedoch die arabische Welt und insbesondere die Kollaboration des Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini. Weitgehend unbeachtet blieb die Geschichte der konkreten Begegnungen deutscher Truppen und einfacher Muslime in den Frontgebieten – von Nordafrika bis zum Kaukasus.

Auch im Nahen Osten, in Nordafrika, auf dem Balkan und in Russland befassen sich ei­nige Kollegen wissenschaftlich mit dieser Geschichte. Eine größere öffentliche Debatte gibt es dort jedoch nicht, Interesse an dem Thema aber durchaus: Mein Buch zum Beispiel wurde auch von einigen Zeitungen im Nahen Osten und auf dem Balkan wohlwollend aufgegriffen. In Deutschland ist die öffentliche Debatte auch politisch aufgeladen. So wird etwa der Verweis auf die Kollaboration des Mufti von Jerusalem zum Teil benutzt, um Muslime auf selbstgefällige Weise pauschal als faschistisch und antisemitisch zu diffamieren.

Wie reagierten die Muslime auf die an sie gerichtete NS-Propa­gan­da?
Das lässt sich natürlich nicht verallgemeinern. In den Kriegsgebieten gab es Kollaboration wie auch Widerstand. Die Reaktionen religiöser Führer lassen sich anhand von zwei Beispielen veranschaulichen:

In Palästina nahm während der Zwischenkriegszeit Amin al-Husseini eine mächtige Position ein. 1921 ernannte ihn die britische Mandatsverwaltung zum Mufti von Jerusalem. Und trotzdem wurde er bald einer der mächtigsten Gegner der britischen Mandatsherrschaft und der zionistischen Immigration. Während des Krieges kam er dann nach Berlin und war auch an der deutschen Islam­propaganda beteiligt. Al-Husseinis Aktivitäten in Berlin sind umfassend erforscht. Allerdings überschätzen viele Studien seinen Einfluss dort. Sein Ziel, konkrete Konzessionen und Garantien für eine arabische und palästinensische Unabhängigkeit von den Deutschen zu erhalten, erreichte er nicht. Seine Vorschläge waren nur dann erfolgreich, wenn sie mit den Zielen der Deutschen übereinstimmten.

Und das zweite Fallbeispiel …
… ist der junge Mullah Ruhollah Mousavi Khomeini, der in der heiligen Stadt Qom im Iran zu den Hörern von Radio Berlin zählte. Er war jedoch wenig vom deutschen Programm beeindruckt. 1942 veröffentlichte er die politische Schrift »Die Enthüllung von Geheimnissen«, seine erste politische Abhandlung, in der er nicht nur in aller Schärfe die antireligiösen Polemiken des Staates unter Mohammed Reza Pahlavi kritisierte und zur Errichtung eines islamischen Staates aufrief, sondern auch ganz allgemein gegen Unterdrückerregime wütete und in diesem Zusam­menhang die »Hitler-Ideologie« als »giftigstes, ruchlosestes Produkt des menschlichen Geistes« geißelte. Einige andere jüngere iranische Mullahs waren NS-Deutschland freundlicher gesinnt: So etwa vor allem der glühende Antiimperialist Ayatollah Abu al-Qasem Kashani, der im Jahr 1943 wegen pro-deutscher Umtriebe von den Engländern verhaftet wurde – und der später eine bedeutende Rolle während des Mossadegh-Coups (1953 stürzten die CIA und der MI 6 den iranischen Premierminister Mohammed Mossadegh; Anm. d. Red.) spielen sollte. Die konservative Klasse der Kleriker im Iran enthielt sich jedoch politischer Stellungnahmen und beschränkte ihren Wirkungskreis auf die eigenen Ausbildungsstätten. Prominente Kleriker wie der Ayatollah Mohammad Hussein Burujirdi, der kurz nach dem Krieg als oberster schiitischer Religionsführer in Erscheinung trat, predigten politischen Quietismus (Strömung des islamischen Klerus, die eine aktive Beteiligung der Geistlichkeit in der Politik ablehnt, jedoch ein islamkonformes Handeln der politischen Führung fordert; Anm. d. Red.).

Versuchten auch die anderen Mächte, Muslime für die Kriegsteilnahme anzuwerben?
Bereits 1937 hatte sich Mussolini zum Schutzherrn der muslimischen Welt erklärt. Japan machte ähnliche Anstrengungen, durch eine entsprechende Islampolitik Muslime in Asien gegen Großbritannien, die Niederlande, China und die Sowjetunion zu mobilisieren. Aber auch die Alli­ierten bemühten sich mehr und mehr, den Islam zu instrumentalisieren. Die Amerikaner riefen in ihrer Propaganda nach der Landung der US-Truppen in Nordafrika zum Jihad gegen Rommels Armee auf. Auch Großbritannien bediente sich solcher Propaganda. Selbst der Kreml änderte 1942 seine Politik. Stalin baute neue Moscheen und organisierte muslimi­sche Kongresse. Der Mufti der sowje­tischen Muslime, Abdurrahman Rasulaev, Stalins »roter Mufti«, rief die Sowjet-Muslime wiederholt zum heiligen Krieg gegen die deutschen Invasoren auf.

Zu einem gewissen Grad kann diese Geschichte als Teil der sehr viel längeren Geschichte der Versuche europäischer Großmächte gesehen werden, den muslimischen Glauben für geopolitische und militärische Zwecke zu instrumentalisieren: Im Zeitalter des Imperialismus versuchten die europäischen Imperien regelmäßig, die muslimische Bevölkerung rivalisierender oder verfeindeter Kolonialmächte aufzuwiegeln. Historiker haben eine ganze Reihe solcher Fälle untersucht: Die britischen, französischen und osmanischen Versuche, die Krimtataren während des Krim-Kriegs zum Kampf gegen das Zarenreich zu bewegen; die bereits erwähnten Versuche der Mittelmächte, fromme Muslime im Ersten Weltkrieg zum Jihad aufzurufen; und nicht zuletzt die westliche Unterstützung islamischer antikommunistischer Bewegungen im Kalten Krieg – eine Episode, die mit der Unterstützung der Mujaheddin in Afghanistan endete.
 

 

David Motadel: Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich. Aus dem Englischen von Susanne Held und Cathrine Hornung. Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 568 Seiten, 30 Euro