Flüchtlinge, sexuelle Gewalt und die Tücken der Kriminalitätsstatistik

Die Zahlen des Patriarchalen

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Statistische Angaben über Tatverdächtige bei Sexualdelikten liefern also höchstens erste Anhaltspunkte, um Rückschlüsse auf gesamtgesellschaftliche Probleme zu ziehen. Dem Landeskriminalamt Niedersachsen zufolge kommt es bei Sexualdelikten nur in sechs Prozent der Fälle zu Anzeigen. Es kommt gerade dann selten zu Anzeigen, wenn es sich beim Täter um den ehemaligen oder derzeitigen Partner handelt. Die Zahlen im Bereich der häuslichen Gewalt sind allerdings seit Jahren konstant hoch. Eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2004 zum Thema Gewalt gegen Frauen ergab, dass 25 Prozent aller Frauen Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Partner erlebt hatten, 13 Prozent aller Frauen waren nach ihrem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevanten Formen sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen.

Eine 2008 ebenfalls vom BMFSFJ herausgegebene Studie zu Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen unterschied nach dem Faktor Herkunft, speziell zwischen deutschen, türkischen und Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion. 37 Prozent der Frauen mit türkischem Migrationshintergrund waren körperlicher oder sexueller ­Gewalt durch einen früheren oder ihren aktuellen Partner ausgesetzt ge­wesen, im Vergleich zu 26 Prozent der deutschen und 27 Prozent der Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion. Allerdings spielte auch die Schulbildung eine Rolle. Die Zahlen zu häuslicher Gewalt an türkischen Frauen glichen sich denen der anderen beiden Befragungsgruppen erheblich an, wenn die türkischen Frauen über eine abgeschlossene Ausbildung und Zugang zum Arbeitsmarkt verfügten.

Dass Gewalt gegen Frauen auch vor dem großen Flüchtlingszuzug des Jahres 2015 kein Randphänomen in Deutschland war, ist offensichtlich. Doch Susanne Schröters Verweis auf die Notwendigkeit, »patriarchalische Gepflogenheiten« und »gewaltlegitimierende Normen« in den Herkunftsländern von Flüchtlingen nicht außer Acht zu lassen, ist angesichts vorliegender Zahlen angebracht: Einer Uno-Studie aus dem Jahr 2013 zufolge berichteten 99,3 Prozent aller ägyptischen Frauen davon, körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Der jüngste, zwischen 2010 und 2014 erhobene World Values Survey zeigt, dass die Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität im Nahen Osten und in Nordafrika deutlich von Ungleichheit und Gewalt geprägt sind. Männer, die aus Ländern dieses Raumes nach Deutschland kommen, legen ihre geschlechtliche Sozialisierung und ihr Frauenbild nicht an der deutschen Grenze ab.