Die rechtsextremen Motive des Attentäters vom Münchner Olympia-Einkaufszentrum wurden bisher nicht ausreichend beachtet

Ein Rassist wird entpolitisiert

Seite 2

Das Bundesamt für Justiz dagegen stufte die Tat bereits im März als rechtsextrem ein und bot den Angehörigen der Opfer finanzielle Hilfe, die sogenannte Härteleistung, an. Am 13. Juni beschloss der bayerische Innenausschuss einen Antrag, der die Landesregierung zu einer Neubewertung der Tat aufforderte. Die neuen Erkenntnisse verfestigten »die These, dass der OEZ-Attentäter über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügte und als Rechtsterrorist im Sinne eines einsamen Wolfs einzuordnen« sei, heißt es in der Begründung. Der Ausschuss stellte sich damit gegen die Landesregierung und die Behörden, Medienberichten zufolge sogar einstimmig, also inklusive der Stimmen der CSU-Ausschussmitglieder.

Kurz danach deutete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vorsichtig eine Kehrtwende an. »Natürlich war das keine Tat wie die NSU-Morde«, zitierte ihn die SZ, aber der Täter David S. habe »eindeutig auch ­rassistisches Gedankengut zunehmend verinnerlicht«.

Politisch hätte die Einordnung als rechtsextremer Terroranschlag erhebliche Konsequenzen. »Wenn David S. tatsächlich ein Rechtsterrorist war, dann wäre seine Tat der schwerste rechte Anschlag seit 1980, seit dem Oktoberfest-Attentat«, stellte die SZ fest. Statt der fünf versuchten oder vollendeten Tötungsdelikte, die der bayerische Verfassungsschutz in den vergangenen drei Jahren als politisch rechts motiviert einstufte, mindestens 14 – eher un­angenehm für die CSU, die lieber mit »viel Energie das Feindbild der links­extremistischen Verfassungsfeinde aufbaut«, sagt Stamm.

Interessant ist, dass im Fall S. eine Erkenntnis abgewehrt wird, die beim Islamismus selbstverständlich scheint: Der Terrorismus der Gegenwart ist nicht mehr nur der, der aus eingeschworenen Gruppen heraus verübt wird. Stattdessen kann auch eine lose Vernetzung im Internet ausreichen, um ­Individuen so aufzuhetzen, dass sie eigenständig und ohne Masterplan zur Waffe greifen.
Gelegentlich wurde die nichtdeutsche Herkunft von David S. als Argument gegen ein rassistisches Motiv genannt. Gegen diese These hatte sich Matthias Quent in seinem Gutachten gewandt. »Dass David S. selbst aus einer Einwandererfamilie kommt, steht weder theoretisch noch empirisch in Widerspruch mit rassistischen Vorurteilen oder rechtsextremen Orientierungen.« Einwanderungsgeschichte und Rassismus schlössen sich keineswegs aus, so Quent.

Stamm arbeitet eng mit der Rechtsanwältin Claudia Neher zusammen, die Angehörige von Opfern der Tat vertritt. Die Juristin will nun einen Antrag auf Akteneinsicht beim FBI stellte, um mehr über die Erkenntnisse der US-Behörden zu erfahren. Stamm wartet derweil weiterhin auf das Ergebnis einer Anfrage an die Landesregierung. »Versäumnisse festzustellen und da dann im Zweifel auch Konsequenzen daraus zu ziehen«, das sei es, worum es ihr und Neher gehe.