Unter Horst Seehofer ist die CSU im Begriff, den Kreis der bürgerlich-demokratischen Parteien zu verlassen

Das Staatsstreicherl geht weiter

Seite 3 – Ende einer Ära, oder: Warum die Taktik gegen Seehofer aufgeht, die Strategie aber gefährlich ist


Die nadelstichartigen Staatstreicherl Seehofers und seiner Leute sind allerdings nur möglich, weil die Ära Merkel sich dem Ende zuneigt. Es ist möglicherweise taktisch klug, dass die Kanzlerin auf die Attacken mit solcher Gelassenheit reagiert, strategisch indessen ­öffnet das der Rechten neue Felder. Die Kanzlerin überlebt, aber das Amt des Kanzlers ist beschädigt; man mag vielleicht zur politischen Pragmatik zurückkehren, aber die Umgangsformen sind kontaminiert. Zur Spaltung in Volksfeinde und Volkstreue, die die Rechtspopulisten in der Gesellschaft bewirken, führt das CSU-Staatsstreicherl auf der Ebene der Parteiendemokratie. Selbst­verständlich wird eine »Versöhnung« inszeniert. Aber damit ist nicht vom Tisch, dass es in Zukunft nicht mehr allein um einen Regierungswechsel gehen könnte, sondern womöglich um einen Regimewechsel, auf jeden Fall um fundamentale Ver­änderungen der politischen Zustände.

Man muss sich Seehofer als getriebenen Menschen vorstellen. Denn anders als für seine Vorgänger gibt es für ihn kein Zurück nach Bayern; dort regiert sein Brutus gleichender Ziehsohn Söder.

Es ist nicht einfach bloße Willkür, dass die Flüchtlingspolitik das Feld für das Staatsstreicherl bildete. Diese ist die Bruchlinie der deutschen und der europäischen Politik. Seehofers »Masterplan« ist vor allem unrealistisch, genauer gesagt: praktisch unsinnig. Das aber ist kein Fehler, sondern Absicht: Die Öffentlichkeit soll durchaus wissen, dass es in Wirklichkeit um etwas anderes geht. Nachdem Strauß und Stoiber daran gescheitert sind, im System der bundesdeutschen Demokratie an die Macht zu kommen, weiß ihr Nachfolger, dass er dazu das System ändern muss. Seehofer und Söder ­vertreten nicht mehr den rechten Flügel der traditionellen Parteien- und Parlamentsdemokratie, sondern bilden den Brückenkopf – um in der militarisierten Sprache zu bleiben – der rechtspopulistischen, postdemokratischen Bewegungen im bisherigen Macht­zentrum.

 

Der aufgehende Stern der europäischen Rechten

Nach allen Überlegungen zu Taktik, Strategie und politischer Ranküne lässt sich eine Mutmaßung dennoch nicht ignorieren: Seehofer und Söder tun gar nicht so, sie denken sich gar keine schlauen Pläne aus. Sie sind wirklich so.
Ein Anhaltspunkt dafür zeigt sich in der Sprache. Von 69 Abschiebungen nach Afghanistan als »nicht bestelltem« Geburtstagsgeschenk sprach See­hofer – dass so etwas einem Rechtspopulisten bei seinen Anhängern nicht schadet, ist bekannt.

Man muss sich Seehofer als getriebenen Menschen vorstellen. Denn anders als für seine Vorgänger gibt es für ihn kein Zurück nach Bayern; dort regiert sein Brutus gleichender Ziehsohn Söder. In Berlin wird Seehofer gewiss in keiner Mitte-rechts-Regierung nach Merkel willkommen sein, selbst nicht bei jenen, die seine Ansichten teilen. Nur wenn er selbst Bundeskanzler würde, hätte er eine politische Zukunft, doch da greift das klassische deutsche Gesetz: Ein Bayer wird nicht Kanzler, die Angst vor ­einer Verseppelung der Republik ist zu groß. Doch was dann?

Antwort gibt vielleicht die Reaktion der internationalen Presse auf das Treffen Seehofers mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini (Lega) und dem österreichischen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in Innsbruck. Selbstverständlich konnte es dort nicht zu einer Einigung in der Frage der ­Zurücknahme von Flüchtlingen kommen – jeder muss schließlich seine ­eigene nationalistische Agenda bedienen –, aber umso mehr herrschte ideologische und vor allem semantische Einigkeit. Salvini sprach von einer »Achse Italien–Deutschland« für die Zukunft, und die Assoziation zu vergangenen Zeiten war nicht weniger deutlich als Kickls Wunsch, die Flüchtlinge zu »konzentrieren«. Seehofer zeigte zu alledem sein zufriedenes Gesicht und las vermutlich mit Genug­tuung, wie ihn die internationale Presse darstellte: als den aufgehenden Stern der äußeren Rechten in Europa.