Die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt

Die neuen Alten

Warum Traditionalisten von der rekonstruierten Architektur der Frankfurter Altstadt enttäuscht sein müssen.

Die Eröffnung der »neuen« Altstadt in Frankfurt am Main hat eine Debatte belebt, die unter dem Stichwort »Rekonstruktionsdebatte« in der ­Architekturszene schon längere Zeit die Gemüter erhitzt. Für Aufsehen sorgte der ausführliche Kommentar des Architekturtheoretikers Stephan Trüby in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Darin wirft Trüby der Stadt Frankfurt vor, dem neurechten Journalisten Claus Wolfschlag aufgesessen zu sein. Dieser hatte 2005 gemeinsam mit der rechtskonservativen Partei »Bürger für Frankfurt!« die erste Initiative zum Wiederaufbau des 1944 zerbombten Stadtzentrums eingereicht und für die politische Durchsetzung des Bauprojekts gekämpft. Am 9. Mai dieses Jahres wurden die Bauzäune der fertiggestellten Altstadt dann entfernt. Lediglich Geschäfte und Bewohner fehlen noch. Nach deren Einzug soll im September eine weitere großangelegte Eröffnungsfeier stattfinden.

Die Frankfurter Altstadt ist nur ein Beispiel für die Rekonstruktionsbewegung, die den Wiederaufbau von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäuden forciert. In Frankfurt wurde schon in den fünfziger Jahren das Goethe-Haus nachgebaut, in den achtziger Jahren folgte die Rekonstruktion der Häuser auf dem Römerberg in unmittelbarer Nähe der Altstadt. 2013 eröffnete das Schloss Herrenhausen in Hannover, 2014 das Stadtschloss Potsdam, und das Berliner Schloss soll im September 2019 eröffnet werden.

Die Frankfurter Altstadt ist nur ein Beispiel für die Rekonstruktionsbewegung, die den Wiederaufbau von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäuden forciert.

Oft müssen bestehende Bauten dem Wiederaufbau weichen. So musste der Palast der Republik in Berlin abgerissen werden, in Frankfurt traf es das in den siebziger ­Jahren errichtete Technische Rathaus. Obwohl sich die Bevölkerung an ­diesen brutalistischen Bauten oft nicht gerade erfreute, verkörperten sie doch einen Fortschritt gegenüber dem Alten. Der Brutalismus zeugte vom nicht wettzumachenden Bruch in der Geschichte und verkörperte zweckgerichtete Gestaltung und Planung. Schließlich schafft die Zerstörung des Alten auch Raum für Neues. In Chicago etwa nutzte man den großen Brand von 1871, der die Stadt größtenteils zerstörte, um auf den Trümmern moderner und effizienter zu bauen. Architekturgrößen wie Frank Lloyd Wright sind aus dem folgenden Bauboom hervorgegangen. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs boten stadtplanerisch die Möglichkeit,  Neues und ­Experimentelles zu schaffen. Durch die Rekonstruktion historischer Bauten jedoch werden die Folgen des Nationalsozialismus als historischer Bruch architektonisch kaschiert. Deshalb warnt Trüby, dass sich der Rekonstruktionstrend in Deutschland zu einem »Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten« entwickeln könnte.

Ein Blick auf die Veröffentlichungen Claus Wolfschlags scheint Trübys Annahme Recht zu geben. Sein bereits 1995 veröffentlichter Artikel »Heimat bauen« liest sich wie eine auf Architektur gemünzte Standardversion von Modernismus-Kritik, in der keine antimodernistische Phrase fehlt. Die moderne Architektur ist demnach ahistorisch, internationalistisch, zu groß, passt nicht in die Umwelt, ist farblos und gleichmachend. Kurz, die maßlose Moderne tötet den besonderen Charakter von Heimat, Volk und Tradition. Ohne mythische Verklärung der Vergangenheit als wohligen Ort kommt auch Wolfschlag dabei nicht aus. Der weitere Vorwurf, die moderne Architektur »schämt sich der Erde«, deutet auf Wolfschlags Verständnis von Architektur als Vermittler zwischen Volk und Muttererde. Statt mit Stahl und Beton in die Höhe zu bauen, geht es ihm um das Heimischwerden und die Verwurzelung mit dem ­vertrauten Boden. Aus der Mystifizierung von Geschichte, Natur und Mensch konstruiert Wolfschlag jenes Bild, vor welchem Theodor W. Adorno als dem »unheilvollen Wunschbild einer heilen Welt« warnte.