Die Urteile im NSU-Prozess sind gesprochen. Von umfassender Aufklärung kann nicht die Rede sein

Wie ein Schlag ins Gesicht

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Beachtlich bleibt auch die Rolle, die Eminger im Verfahren spielte. Berühmt geworden sind seine nazistischen Tattoos, von denen Fotos großformatig an die Wände des Gerichtsaals projiziert wurden. Eminger war der einzige Angeklagte, der von seinem Schweigerecht Gebrauch machte. Zudemfiel er mit provozierender Kleidung auf. So trug er einmal das Sweatshirt der finnischen NS-Blackmetal-Band Satanic Warmaster. Eminger, der bis September 2017 auf freiem Fuß geblieben war, wurde 2015 bei ­einer Demonstration des Münchner Pegida-Ablegers Bagida, gesehen, ebenso bei dem großen Nazi-Musikfestival im thüringischen Themar 2017. Stets präsentierte er sich als der gutgelaunte Vollnazi, der zu sein er sich offen bekennt. So ließ er seinen Ver­teidiger Herbert Hedrich zu Beginn des Plädoyers Anfang Mai verkünden: ­»Unser Mandant ist Nationalsozialist, der mit Haut und Haaren zu seinen Überzeugungen steht; keiner hat das so gesagt; das Wort Nationalsozialist hat heute Premiere hier im Saal.« Entsprechend reagierten die anwesenden Gesinnungsgenossinnen und -genossen schon mit begeistertem Applaus auf die Verkündung der geringen Haftstrafe für »ihren André«.

Vollends zum Desaster wurde die Urteilsverkündung durch die von Götzl in knapp vier Stunden teilweise unverständlich heruntergeratterte Urteilsbegründung, die – ganz im Sinne der Anklagebehörde – den NSU auf Beate Zschäpe, die beiden toten Mittäter und allenfalls eine Handvoll Helferinnen und Helfern reduzierte.

Als Götzl zum Schluss noch die sofortige Aufhebung des Haftbefehls gegen Eminger verkündete, brachen die Nazis im Zuschauerbereich in offenen Jubel aus, ohne dass es Konsequenzen für diese Verhöhnung der Opfer gegeben ­hätte.

Die Entscheidung des Senats beruht auf dem Paragraphen 129a, der von ­einer terroristischen Vereinigung erst ab drei Mitgliedern spricht. Ohne ­Beate Zschäpe als »Vollmitglied« hätte es diese  Vereinigung also gar nicht gegeben und die Anklage wäre mit ­lautem Krach zusammengestürzt. Die etwa 370tägige Beweisaufnahme hat tatsächlich viele tragfähige Indizien und Belege dafür erbracht, dass Zschäpe nicht das Heimchen am WG-Herd des Terror-Duos Mundlos und Böhnhardt war, als das sie in ihren eigenen Ein­lassungen und in den Plädoyers ihrer Verteidiger dargestellt wurde. Vor ­Gericht  konnte gezeigt werden, dass Zschäpe voll und ganz hinter dem ­terroristischen Programm stand, auf Augenhöhe mit den beiden Männern handelte und am Schluss sehr viel Energie darauf verwendete, den letzten Unterschlupf in der Zwickauer Frühlingsstraße, ohne Rücksicht auf potentiell gefährdete Personen, zu zerstören und die perfiden Bekenner-DVDs als »Vermächtnis« des NSU bundesweit zu verschicken.

Die nach wie vor brennenden offenen Fragen zur Verstrickung von Verfassungsschutzsbehörden in den NSU-Komplex – immerhin hatten verschiedene Inlandsgeheimdienste mindestens 40 namentlich bekannte Informantinnen und Informanten im mehr oder weniger nahen Umfeld des NSU platziert –, die Fragen nach dem institutionellen Rassismus der Ermittlungsbehörden und nach dem Unterstützungsnetzwerk kamen in der Urteilsverkündung nicht vor. Das Wort »Verfassungsschutz« fiel in dem ganzen Sermon nicht ein einziges Mal. Eine mög­liche Mitverantwortung von Behörden für den NSU-Terror und deren gezielte Vertuschung etwa durch umfangreiche illegale Aktenvernichtung kam ebenso wenig zur Sprache.
Zweifellos muss davon ausgegangen werden, dass das Kerntrio zahlreiche Mitwisser, Unterstützer und sehr wahrscheinlich sogar Mittäter hatte.

Insbesondere die Anwältinnen der Nebenklage Antonia von der Behrens, Edith Lunnebach und Seda Başay-Yıldız sowie der Anwalt Mehmet Daimagüler haben in ihren Plädoyers nach dem Schlussvortrag der BAW die klaren Hinweise auf Helferinnen und Helfer vor Ort herausgearbeitet – und die offensichtliche Weigerung der Ermittlungsbehörden, hier zu ermitteln. Nichts davon kam in der Urteilsbegründung vor.

Wie ein Weckruf wirkte bei der Verkündung der Urteile der plötzliche Aufschrei des Nebenklägers İsmail Yozgats nach der Nennung des Namens seines am 6. April 2006 vom NSU in Kassel ­ermordeten 21jährigen Sohns Halit. Spätestens in diesem Moment wurde klar, wie wenig das Gericht sich um die Ansprüche und Bedürfnisse der Betroffenen des NSU-Terrors scherte. Kein Wort an die Hinterbliebenen der Morde, die Verletzten der Bombenanschläge und Traumatisierten der Banküberfälle. Nur die Zwischenrufe des alten gramgebeugten Vaters eines Ermordeten verdarben Götzl den Versuch, das NSU-Problem einfach mal so eben wegzu­nuscheln.

Als Götzl zum Schluss noch die sofortige Aufhebung des Haftbefehls gegen Eminger verkündete, brachen die Nazis im Zuschauerbereich in offenen Jubel aus, ohne dass es Konsequenzen für diese Verhöhnung der Opfer gegeben ­hätte. Für die Betroffenen muss dies wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, das Ende der Hoffnung auf etwas wie Gerechtigkeit oder Genugtuung.

Bundesrepublikanisch aber ist alles wiedergutgemacht: Die Täter sind (überwiegend) in Haft, der Rechtsextremismus bekämpft, die NSU-Verbrechen »aufgearbeitet«, die wehrhafte Demokratie und ihr Rechtsstaat haben sich glänzend bewährt, Richter Götzl wird kurz vor der Pensionierung zur Belohnung für die Wahrung der Staatsräson zum Vizepräsidenten des im September wieder eingeführten Bayerischen Obersten Landesgerichts ­be­fördert. Prozessbeobachter Tom Sundermann auf zeit.de wendet es national: »An diesem Prozess ist Deutschland gewachsen.« Na dann.