Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundrechte von Menschen in psychiatrischen Einrichtungen gestärkt

Ein Grundrecht wird festgezurrt

In einem Grundsatzurteil stärkte das Bundesverfassungs­gericht die Rechte von Menschen in der Psychiatrie. Das könnte die Zahl der Fixierungen senken.
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Das Bundesverfassungsgericht hat Fixierungen in Psychiatrien mit seinem Grundsatzurteil von vergangener Woche deutliche Grenzen gesetzt. Die darin festgeschriebenen Bedingungen könnten tatsächlich zu weniger Fixierungen führen. Zusätzlich müssten die Regierungen von Bund und Ländern jedoch den Personalmangel in den Landeskliniken beheben.

Es ist ein klares Urteil im Sinne der von psychiatrischer Gewalt Betroffenen. Wenn akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt und andere Mittel ausgeschöpft sind, dürfen Psychiatriepatienten zumindest an Armen, Beinen und Bauch am Bett festgebunden werden. Bei Fixierungen, die »absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde« überschreiten, haben künftig Richter darüber zu entscheiden, ob diese Bedingungen erfüllt sind. Dafür sollen sie täglich von sechs bis 21 Uhr erreichbar sein. Geschieht die Fixierung bei Nacht oder ist ihre Dauer nicht absehbar, soll die Genehmigung so schnell wie möglich eingeholt werden. Patienten sind darüber zu informieren, dass sie das Vorgehen im Nachhinein prüfen lassen können.

Dass dieser sogenannte Richtervorbehalt nun Verfassungsrang besitzt, ist zwei Patienten aus Baden-Württemberg und Bayern zu verdanken, die sich bis vors Bundesverfassungsgericht klagten, da sie sich durch eine bloß ärztlich angeordnete Fixierung in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt sahen. Die Richter gaben den Klägern recht, da es sich bei längeren Fixierungen um einen Freiheitsentzug mit »besonderer Eingriffs­intensität« handele, über den nur juristisch entschieden werden dürfe. In Baden-Württemberg reichte bisher die Anordnung eines Arztes, in Bayern praktisch auch, da dort keine gesetzliche Regelung existiert. Die Landesregierungen sind nun dazu angehalten, ihre Gesetze bis Ende Juni kommenden Jahres anzupassen. Bis dahin sind Fixierungen unter den Bedingungen des Urteils zulässig.

Andere Bundesländer werden nachziehen müssen. Bisher ist der Richtervorbehalt nur in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gesetzlich festgeschrieben. Nun findet sich der Richtervorbehalt sogar im Entwurf des umstrittenen Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, das Patientenrechte systematisch auszuhebeln sucht.
Es ist gut, wenn sich Ärzte vor der Justiz zu rechtfertigen haben. ­Jedoch zeigt die Praxis aus anderen Ländern, dass Richter die ärztlichen Anordnungen meist einfach abnicken.

Interessant wird das Urteil durch die Vorgabe, Fixierungen durch Eins-zu-eins-Betreuungen zu überwachen und zu dokumentieren. Damit werden Fixierungen an einen Personalaufwand geknüpft, der in den häufig unterbesetzten Kliniken schwierig zu erbringen sein dürfte. Die Zahl der Fixierungen könnte sinken, weil sie für die klinikinternen Abläufe weniger rational werden. Da gerade Personalmangel ein Grund für viele Fixierungen ist, die durch präventive Deeskalationsstrategien hätten vermieden werden können, könnte das Urteil Druck auf die Länder ausüben, die Personalsituation in den Kliniken zu verbessern. Geschieht das nicht, ist allerdings zu befürchten, dass stattdessen Zwangsisolationen in geschlossenen Räumen zunehmen werden, die im Gegensatz zur Fixierung bereits durch den richterlichen Unterbringungsbeschluss gedeckt sind, der die Zwangseinweisung legitimiert.