Donald Trumps Handelskonflikte mit der EU und China

Erweiterter Selbstmord

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Im Weißen Haus regiert auch deshalb ein Irrläufer, weil die soziale Polarisierung logischerweise in jenen Ländern besonders extrem ausfällt, die als ­Exporteure von fiktivem Kapital an der neuen internationalen Arbeitsteilung partizipieren. In Deutschland hat die starke Stellung der Industrie breiten Teilen der Arbeiterschaft in Sachen Prekarisierung und Verarmung noch eine Gnadenfrist verschafft – das Kapital braucht sie noch. Bei den working classes der USA ist der Depravierungs- und Demoralisierungsprozess viel ­weiter fortgeschritten. Unter Trump nimmt die Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhangs und der ­Ausschluss der Überflüssigen eine neue Qualität an. Der marktvermittelte Ausschluss wird nun von offen rassistischer und sexistischer Ausgrenzung ergänzt und überlagert. Trotz des Entsetzens über diese Entwicklung darf man nicht vergessen, dass der von den ach so weltoffenen Apologeten des Weltkapitals jahrzehntelang betriebene Entgesellschaftungsprozess die Vor­aussetzungen für diesen Umschlag geschaffen hat.

Bezeichnenderweise geht auch auf anderen Seite des Atlantik das Avantgardeland des Neoliberalismus und der Globalisierung bei der Zerschlagung des kapitalistischen Weltzusammenhangs voran. Ähnlich wie die USA ­unter Präsident Ronald Reagan hatte in Großbritannien die Thatcher-Regierung einseitig den Finanzsektor gefördert, die früheren Industrieregionen in einen einzigen rust belt verwandelt und Millionen Arbeitnehmer in den prekären Dienstleistungssektor abgedrängt.

Jahrzehntelang haben die britischen Konservativen die EU zum Sündenbock für diese »Nebenwirkung« der internationalen Arbeitsteilung gemacht, der London seine Position als wichtigster Finanzplatz Europas ­wesentlich verdankt. Durch das »Brexit«-Referendum ist das Alibi der britischen Konservativen zur praktischen Richtlinie des politischen Handelns geworden. Mit dem Versuch, über einen Ausgrenzungsnationalismus die ideologische Integration der sozial auseinanderdriftenden britischen Bevölkerung herzustellen, haben sich die ­Tories zu ihrer eigenen Bestürzung plötzlich den Auftrag eingehandelt, den transnationalen Rahmen, von dem die britische Wirtschaft auf Gedeih und Verderb abhängig ist, zu sprengen.

Trumps Handelskrieg entspringt der gleichen Logik. Das von der Finanzmarktdynamik getragene globale kapitalistische Regime, das einst unter ­US-amerikanischer Federführung installiert worden war, hält für breite Schichten der Arbeiterschaft im eigenen Land nur Verliererplätze bereit. Die klassische neoliberale Politik hat das jahrzehntelang ignoriert. Der Rechtspopulismus liefert einen äußeren Ersatzfeind, indem er die Partner­länder und ihre »unfairen Handelspraktiken« für die Malaise verantwortlich macht. Trump hat sich bereits im Wahlkampf darauf konzentriert, die identitären Bedürfnisse weißer Männer zu bedienen, die den regressiven Traum von der Wiederherstellung der verlorenen Ehre der »ehrlichen Arbeit« träumen. Dieser Linie bleibt er treu und liefert.

Der Kampf um die Modalitäten des britischen EU-Austritts, Theresa Mays verzweifelte Suche, einen Mittelweg zwischen ökonomischem Selbstmord und einer Missachtung des Ergebnisses des Referendums zu finden, trägt noch Züge einer Provinzposse. Trumps Handelskrieg läuft dagegen auf einen ­erweiterten Suizid hinaus. Schon das Spielen mit Zöllen und Gegenzöllen könnte eine neue Weltwirtschaftskrise auslösen. Der eigentliche GAU tritt aber ein, wenn die Versorgung der USA mit frischem Geldkapital abreißt. Der US-Präsident glaubt, dass ein Land mit 800 Milliarden Dollar Handelsbilanz­defizit seinen Handelskrieg nur gewinnen kann, und übersieht das Wesent­liche: Ein Handelskrieg gegen China, das ein Drittel der US-Staatspapiere hält, kann nur einen katastrophalen Ausgang nehmen.