Auf ihrem ersten Soloalbum singt Stella Sommer über die Schwierigkeiten des Glücks

Dreizehn Mal tröstende Melancholie

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Eigentlich ist mit dem Opener nahezu alles gesagt, was es über das Phänomen Glück zu sagen gibt: Glück kann man nicht teilen, aber die Einsamkeit, wobei diese nicht ganz unwesentlich ist, um glücklich zu sein. Außerdem ist Glück an Ressourcen gebunden. Sei es nun das Geld für den Lottoschein oder die Verfügung über bezahlbaren Wohnraum, um beispielsweise in Ruhe an diesen 13 wunderbaren Songs zu arbeiten, die nicht nur Stella Sommer glücklich machen dürften. Ebenso findet sich mit der Textpassage »13 Kinds of Happiness / someone I can tamper with« gleich zu Beginn des Songs eine luzide Reflexion auf das Verhältnis von Manipulation und Glück, die auf eine Allianz zwischen Sängerin und Publikum zielt und die bekanntlich nicht ohne Schein, Täuschung und Affirmation auskommt. Gleichsam wird eine ethische Frage aufgeworfen: Inwieweit mache ich mich schuldig in meinem Bedürfnis nach Glück?

Nachdem das Tor einmal aufgestoßen ist, geht es weiter in die schmerzhaften Grenzbereiche, in denen das Begehren nach Glück zum Verhängnis wird. In »For a Loner« ist es die Flucht aus der bedrückenden Zweisamkeit in die – selbst für einen notorischen Einzelgänger  – noch unerträglichere Einsamkeit. Das Fliehen als verzweifelter Akt, wenn sich eine Trennung bereits anbahnt, auf die man nicht zu reagieren weiß: »In the middle of a fight / I get to sing you a lullaby«. Das Wiegenlied nimmt dem Kind die Furcht vor dem Einschlafen, wenn es nachts allein im Dunkel des Zimmers zurückbleiben muss. In diesem Fall ist das Singen eher Anzeichen der Überforderung, und wenn Sommer fortfährt im Gesang »In the presence of your cry / there’s so many ways to die / It’s the meanest town on earth / for a Loner«, dann wird klar: Bei Liebeskummer erscheint einem jede Stadt, in der man sich aufhält, als die widerwärtigste.

Tatsächlich setzt der Song in der Art eines Schlaflieds ein, bei dem auch nicht das Glockenspiel fehlt. In dem Moment, wo es sich entschlummern ließe, setzt taktübergreifend das Schlagzeug ein, während die ­lockere Bassline sowie das launige Keyboardspiel dem gospelseeligen polyphonen Gesang den Boden bereiten: Plötzlich herrscht so etwas wie gelöste Aufbruchsstimmung.
Das ist ein generelles Charakteristikum des Albums: Selbst wenn es textlich um die unseligen Früchte von Bindungsangst, Kontrollverlust, Selbstbestätigungsdrang oder Narzissmus geht, sorgt der Sound dafür, dass nicht abgebogen wird in die Einbahnstraße der Verzweiflung. Auch dann nicht, wenn der Zusammenbruch droht, wie in »Collapse / Collapsing«. Selten gab es ein so traumwandlerisches Stück zum Thema Zusammenbruch, dessen Melancholie etwas Tröstendes hat. Der Refrain »Everything will collapse / Every­thing is collapsing« zieht Sommer stimmlich herrlich in die Länge, sodass man sich fragt: Ist es Ausdruck des Versuchs, den Kollaps doch noch aufzuhalten oder des Phlegmatismus, der eintritt, wenn nichts mehr geht und einem nur noch das Erdulden bleibt?

Ausnahmsweise harmonisch verhält es sich im brillanten Duett »Birds of the Night« mit Dirk von Lowtzow. Im Song haben sich, vom Rest der Welt ignoriert und verkannt, zwei Seelenverwandte gefunden. Einvernehmlich wird tagsüber geschlummert, sich gegenseitig gewärmt und nachts tiriliert. Genau, von Vögeln ist die Rede. Die Kongenialität beider Stimmen, deren Ähnlichkeit hinsichtlich Timbre und Intonation frappierend ist, entspricht der in den Lyrics evozierten Seelenverwandtschaft. Außerdem deutet sich ein utopischer Zustand an, in dem sich Missverständnisse und Kämpfe um Nähe und Distanz in der Annäherung der Stimmen aufheben. Traute Zweisamkeit im Modus des Gesangs? Bedenkt man, dass Sprache und Körper die Stimme gemeinsam haben, doch die Stimme weder allein Teil der Sprache noch Teil des Körpers ist, dann – ja, warum nicht. Es muss ja nicht immer alles Zeichen sein! Ach, wenn man doch ein Vöglein wär …

 

Stella Sommer: 13 Kinds of Happiness
(Affairs of the Heart)