Der Protest gegen das umstrittene Nationalstaatsgesetz in Israel geht nun erst richtig los

Ein überflüssiges Gesetz

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Warum viele Israelis das Nationalstaatsgesetz ablehnen, brachte dieser Tage der Kolumnist Ben-Dror Yemini auf den Punkt. Auch er hat kein Problem damit, Israel als einen jüdischen Staat zu etikettieren. »Schließlich verstanden wir uns schon immer so«, schrieb er in der Zeitung Yedioth Ahronoth. »Das Begriffspaar wird allein im UN-Teilungsplan aus dem Jahr 1947 genau 29-mal benutzt.« Auch dass das Adjektiv »jüdisch« vor dem Substantiv »Staat« für viele Araber und Europäer, die nie ein Problem mit einer Islamischen Republik Pakistan oder Islamischen Republik Iran hatten, heute immer noch ein Grund zur Aufregung sein kann, überrascht ihn nicht. »Schon als US-Präsident Obama bei seinem Besuch in Ramallah vor einigen Jahren von Israel als einem jüdischen Staat sprach und die Palästinenser aufforderte, dieses als Faktum anzuerkennen, brachte er Abbas und seine Leute damit auf die Palme«, so Yemini. Zwar habe Israel keine Verfassung, aber nach 1950 seien zahlreiche Basisgesetze erlassen worden, die die wesentlichen Rechte seiner Bürger festschreiben. Darin war bereits von Israel als jüdischem und demokratischem Staat die Rede. »Das Nationalstaatsgesetz ist daher absolut überflüssig gewesen.« Nicht nur, weil die Beziehungen zu den Drusen dadurch leiden. Auch das Verhältnis zur Diaspora könnte Schaden nehmen. Von der Anti-Defamation League in den USA bis hin zu den wichtigsten Repräsentanten der Juden in Großbritannien hagelte es Kritik, weil der »jüdische Charakter« Vorrang vor demokratischen Aspekten erhalten habe. »Sogar das American Jewish Committee (AJC), eine der bedeutendsten jüdischen und proisraelischen Organisationen, verurteilte das Nationalstaatsgesetz auf das Schärfste«, so Yemini.

Profiliertester Gegner der Entscheidung vom 19. Juli ist Staatspräsident Reuven Rivlin, der immerhin Netan­yahus Partei Likud angehört. Nach mehreren Treffen mit Vertretern der Drusen, aber auch der Beduinen soll er gesagt haben, dass er die Gesetzesvorlage, die seiner Unterschrift als Staatsoberhaupt bedarf, nur in arabischer Schrift unterschreiben würde. Das jedenfalls ließ Thabet Abu Rass vom Abraham Fund, einer jüdisch-beduinischen NGO, verlauten. Aus dem Büro des Staatspräsidenten wollte man das nicht kommentieren.

Netanyahu versucht nun, die Wogen zu glätten. So rief er eine Arbeitsgruppe ins Leben, die den Status der drusischen und tscherkessischen Minderheiten neu verhandeln will. Daran soll unter anderem Scheich Muafak Tarif, das spirituelle Oberhaupt der Drusen, teilnehmen. Doch schon ein Treffen mit Vertretern der Drusen im Hauptquartier der Streitkräfte in Tel Aviv am Donnerstag vergangener Woche endete vorzeitig im Streit. Angeblich hatte der drusische Brigadegeneral Amal As’ad gegenüber dem Ministerpräsidenten die Formulierung »Apartheidsstaat« benutzt, weshalb dieser wutentbrannt den Raum verließ. As’ad, der nicht nur ein hochdekorierter ­Veteran zahlreicher Kriege ist und einen Bruder bei Kämpfen im Gaza-Streifen verloren hat, sondern auch als Unterstützer des Likud gilt, bestreitet diese Anschuldigung. In Karmiel kam es ebenfalls zu einen Eklat, als Avi Dichter, der ehemalige Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, auf den die Initiative für das Nationalstaatsgesetz zurückgeht, bei einer Zeremonie von drusischen Veteranen ausgebuht wurde.

Am Wochenende demonstrierten der Internetzeitung Times of Israel zufolge schätzungsweise 50 000 Drusen sowie ihre Unterstützer in Tel Aviv gegen das Nationalstaatsgesetz. Das letzte Wort dürfte also noch nicht gesprochen sein.