Die AfD hat gute Chancen, in den hessischen Landtag einzuziehen

Erbarme, die Blaue komme

In Hessen versucht die AfD, sich als gemäßigt und diskussionsfreudig zu inszenieren, um ins Landesparlament einzuziehen. Doch die ­bürgerliche Fassade ist dünn.

»Wir wollen doch nur eure Argumente verstehen«, rief Klaus Herrmann in die Menge. Umgeben von Hunderten Demonstranten, die beim Wahlkampfauftakt der AfD am Sonntag in Wiesbaden unter dem Motto »Keine AfD im Landtag« protestierten, fühlte sich der hes­sische AfD-Landesvorsitzende sichtlich unwohl. An einem friedlichen und ­demokratischen Austausch sei er interessiert – doch diese Behauptung steht im Gegensatz zum Wahlprogramm seiner Partei.

Angesichts der Gegendemonstration hatte die AfD versucht, sich als Opfer einer breit angelegten und vom Staat unterstützten Kampagne darzustellen. Insbesondere die Beteiligung der ­hessischen Grünen, die mit der CDU die Landesregierung bilden, am Protest war der AfD ein Dorn im Auge. Auch die Oppositionsparteien SPD und »Die Linke« nahmen an den Protesten teil, CDU und FDP hingegen nicht. Herrmanns Co-Vorsitzender Robert Lambrou attestierte den beteiligten Parteien in einer Pressemitteilung einen »antidemokratischen Virus« und attackierte auch den Deutschen Gewerkschaftsbund für dessen klare Haltung gegen seine Partei.

Zum Wahlkampfauftakt am Abend nach der Demonstration sprach die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch, die vor zwei Jahren den Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an den deutschen Grenzen befürwortet hatte. Ein paar Tage später soll in Darmstadt der Bundesvorsitzende Alexander Gauland auftreten, der Anfang des Jahres die Nazizeit als »Vogelschiss in über 1 000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte« bezeichnet hatte.

In den jüngsten Umfragen erreichte die AfD in Hessen zweistellige Werte. Sie darf darauf hoffen, bei der Wahl Ende Oktober nach CDU und SPD drittstärkste Partei zu werden.

Doch auch ein Blick in das Landtagswahlprogramm zeigt, dass das Pochen auf den demokratischen Diskurs eher Kalkül als Überzeugung ist. So legt die hessische AfD ihren inhaltlichen Schwerpunkt vor allem auf die »innere Sicherheit«. Diese sieht sie bedroht und fordert deshalb eine erhebliche Stärkung der Polizei. Abschiebungen sollen forciert werden (»entschlossen abschieben«), die angebliche Islamisierung Deutschlands soll verhindert, die heterosexuelle Familie bevorzugt, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt aus der Sexualaufklärung in der Schule gestrichen werden (»Schluss mit Gender-Ideologie«) und öffentlich-rechtliche Medienanstalten sollen erheblich verkleinert werden. Auch der Klimawandel wird dem Programm zufolge aufgebauscht, er sei kein echtes Problem. Statt einer »Ideologie des Multikulturalismus« soll eine »deutsche Leitkultur« gestärkt werden. Das Programm ist eine stramm rechte Kampfansage.

»Das ist ein allgemeines Pamphlet, wie man es von der AfD kennt«, bewertet Benno Hafeneger das Programm im Gespräch mit der Jungle World. Der Erziehungswissenschaftler beschäftigt sich intensiv mit dem Auftreten der AfD in den Parlamenten und veröffentlichte kürzlich die Studie »AfD in Par­lamenten: Themen, Strategien, Akteure«. Hafeneger bemängelt insbesondere den fehlenden Bezug zu landespolitisch relevanten Themen. Vor allem der »Hass auf Gender-Politiken«, das Zurückdrängen von Frauenförderung sowie die Forderung nach mehr Abschiebezentren werden seiner Einschätzung nach die Wahlkampfthemen der AfD in Hessen sein. Die »Diktion des Pamphlets« zeigt Hafeneger zufolge die politische Ausrichtung des Landesverbands zwischen »rechtskonservativer Sachbezogenheit und deutschnationalem Populismus mit völkischen Einsprengseln«.