უცხოეთი - Die extreme Rechte sieht sich durch die Ereignisse in Sachsen gestärkt

Eskalation mit Ansage

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Gerade in Chemnitz wäre es ein Leichtes gewesen, denjenigen eine klare Absage zu erteilen, die am vorletzten Montag zu mehreren Tausend durch die Stadt marschierten. In der Stadt gibt es ein etabliertes Neonazimilieu, das über hervorragende Kontakte im gesamten Bundesgebiet verfügt. Das Chemnitzer »Blood & Honour«-Netzwerk oder die unter der Selbstbezeichnung »HooNaRa« (Hooligans, Nazis, Rassisten) agierenden Hooligans des Fußballvereins Chemnitzer FC genießen bei Nazis in der Bundesrepublik hohes Ansehen. Die Kernzelle des NSU fand nicht umsonst ihren ersten Unterschlupf in Chemnitz. Die meisten Zeugen, die in dem fünfjährigen NSU-Prozess gehört wurden und dem Neonazimilieu angehören, stammen aus Chemnitz und Umgebung.

Auch wenn die Gruppen unter den ursprünglichen Namen nicht mehr aktiv sind, haben sie Wurzeln in der Stadt geschlagen, aus denen sich neue rassistische Organisationsformen bilden konnten. Da ist das neonazistische Label »PC Records« mit seinem Umfeld, und da sind Gruppen wie die Hooligans von »Kaotic Chemnitz«, die zu ersten Zusammenrottungen aufriefen. Im Chemnitzer Vorort Einsiedel gelang ab Herbst 2015 nach dem Vorbild des nahegelegenen Schneeberg ein Schulterschluss zwischen Neonazis, die dem NSU-Umfeld nahestanden, Kameradschaften und rechten Parteien bis hin zu einem damaligen CDU-Gemeinderat und der Mehrheit der Bürgerschaft. Eine ähnliche Mischung konnte man zu Beginn vergangener Woche in der Chemnitzer Innenstadt beobachten. Während rechtsextreme Hooligans gleich zu Beginn der Demonstration Flaschen und Feuerwerkskörper auf eine Gegendemonstration warfen, zündete die neonazistische Kleinpartei »Der III. Weg« bengalische Feuer. Der Rechtsanwalt Martin Kohlmann, Verteidiger der rechtsterroristischen Gruppe Freital, rief vom Rednerpult mit Bezug auf 1989, es brauche eine neue »Wende« und diese müsse gründlicher sein als die vorherige. Die Masse antwortete mit dem Sprechchor: »Ausmisten, ausmisten!«

Die extreme Rechte, von »Der III. Weg« bis hin zur AfD, interpretiert solche ­Demonstrationen als einen vorrevolutionären Zustand. Ob es Tausende Neonazis aus ganz Europa waren, die anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg durch die Stadt marschierten, große Pegida-Aufmärsche oder fehlerhafte Lageeinschätzungen der Behörden, die in Freital, Heidenau und Bautzen dazu führten, dass das staatliche Gewaltmonopol vorübergehend außer Kraft gesetzt war – Sachsen ist immer für einen Erfolg von rechts gut.

Der antifaschistische und zivilgesellschaftliche Widerstand ist außerhalb von Leipzig vergleichsweise schwach. Hinzu kommt, dass das hohe Aufkommen an Demonstrationen in den vergangenen Jahren zu Ermüdungserscheinungen bei den Menschen in Sachsen geführt hat, die sich gegen den Rechtsextremismus engagieren. Auch das nutzen Pegida und ihr Umfeld, um den öffentlichen Raum zu besetzen. »Dieser Zorn, diese Wut, sie haben ihre Berechtigung«, jubelte die rechtsextreme Initiative »Ein Prozent« in einem Rundbrief nach den Ereignissen in Chemnitz. Dass die AfD im kommenden Jahr in Sachsen die Landtagswahlen gewinnen und damit erstmals in einem Bundesland Regierungsgeschäfte übernehmen könnte, erfüllt diejenigen, die in Chemnitz »Ausländer raus« grölen, mit Vorfreude.

Am vergangenen Samstag setzte sich die AfD gemeinsam mit Pegida an die Spitze der rechtsextremen Demonstration, angeblich mit der Absicht, den Protest zu disziplinieren. Spätestens zum Ende des sogenannten Trauermarsches, als Teilnehmer Polizeiketten durchbrachen und Journalisten angriffen, war klar, dass das nur leere Worte waren. Seite an Seite mit Pegida und Pro-Chemnitz – die AfD übt nun auch öffentlich den Schulterschluss mit diesen Kräften.

Ungetrübt ist die Freude der Rechtsextremen jedoch nicht. Am Montag kamen rund 65 000 Menschen zu einem Gratiskonzert aus Protest gegen die rassistischen Aufmärsche nach Chemnitz. Nach der Veranstaltung unter dem Motto »Wir sind mehr« twitterte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die Konzertbesucher seien »Merkels Unter­tanen« und »abscheulich«.