ჯუნგლები - Durch die Punkszene von Tiflis mit der Band Vodka Vtraiom

Gegen Krieg, Pop und alles andere

Die Fans singen jeden Song mit, aber ein Album haben Vodka Vtraiom noch nicht veröffentlicht. Spaß haben sie trotzdem. Ein Streifzug durch den Underground von Tiflis.

»Wie habt ihr uns gefunden?« Das ist Borgirs erste Frage, nachdem wir uns begrüßt haben. Pünktlich ist der Schlagzeuger der Band Vodka Vtraiom an unserem Treffpunkt vor dem Dunkin’ Donuts am Freiheitsplatz in Tiflis erschienen. »Na, zuerst mal mag ich keine elektronische Musik«, sage ich und schon streckt mir Borgir die Hand entgegen und schüttelt sie. »Mein Mann«, sagt er.

Offensichtlich war das die richtige Antwort. Ich erkläre, dass mir ihre Musik gefällt. Wegen der herrlich schroffen Stimme ihres Sängers und weil sie georgische Texte haben. Borgir schlägt vor, für das Interview in die nahegelegene Wohnung eines Freundes zu gehen. Mittlerweile ist Bassist Roman zu uns gestoßen und hat eine Plastiktüte voller Vodka-Vtraiom-Buttons mitgebracht. Er fischt zwei Buttons heraus und überreicht sie uns. »Mögt ihr Bier?« fragt Borgir. Wir nicken. Er selbst trinkt keinen Alkohol. Wir holen eine Zweiliterflasche Bier vom Kiosk und spazieren alle zusammen durch die Altstadt. Während er hier und da Nachbarn begrüßt, weist er uns auch auf ein karges Lädchen hin, in dem zwei Gothic-Typen Schmuck und T-Shirts verkaufen, aber auch Piercings machen. Tiflis Underground.

Wenn es den Jungs von Vodka Vtraiom darum ginge, mit ihrer Musik möglichst viel Geld zu verdienen, würden sie nicht Punk mit sozialkritischen Texten machen. Nicht in Georgien. Wer hier so etwas macht, meint es ernst.

Ein Treppchen hoch, links neben der Haustür geht es in eine Einzimmerwohnung. Ein schlichter, rechteckiger Raum mit Bett, Couch, Regal und vier Hockern an einem kleinen Tisch. Auf der Couch wartet schon ein großer Mann mit durchdringendem Blick.

Kesha, der Sänger von Vodka Vraiom. Kesha spricht kein Englisch, deshalb übersetzt Borgir. Ich packe meine Tasche aus und ­zeige Jungle World-Ausgaben. Jetzt bloß nicht zu dick auftragen. Nicht den Angeber aus Berlin mimen. Vertrauen ist wichtig. Es gibt in diesem Moment keine andere Währung, die zählt. Wenn es den Jungs von Vodka Vtraiom darum ginge, mit ihrer Musik möglichst viel Geld zu verdienen, würden sie nicht Punk mit sozialkritischen Texten machen. Nicht in Georgien. Wer hier so etwas macht, meint es ernst. Zum Glück ist Chris dabei. Vielleicht hilft ihr »Cock Sparrer«-T-Shirt. Wir gehen zum Rauchen in den Hausflur und trinken Bier. »Was haltet ihr von Rammstein?« will der Gitarrist wissen. Chris verdreht die Augen. Das Rammstein-Gespräch habe ich bislang in jedem Land geführt. Überall finden sie Rammstein cool. Meine Antwort ist immer die Gleiche: »In Deutschland mögen nur Idioten Rammstein. Ich bin trotzdem froh über Rammstein. Denn vor ihnen war die einzige international bekannte deutsche Band Scorpions. Und die finde ich einfach doof.« Der langhaarige Typ im Metal-T-Shirt fragt: »Und was haltet ihr von Landser?« Klar, er will provozieren. Ich sage: »Nazis sind scheiße.« Das müsste eigentlich genügen, aber Chris regt sich richtig auf und besteht darauf, ihn auf gute deutsche Punkbands hinzuweisen. Borgir fragt mich, welche deutsche Punkband ich am besten fände. Ich sage: »Alle, in denen Jens Rachut gespielt hat.« Ratlose Blicke. Chris lacht laut. »Hast du eben Jens Rachut gesagt?« ruft sie von hinten, amüsiert über meine scheinbar abwegige Antwort. Aber da zähle ich schon die Bandnamen auf: »Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Alte Sau«. Ich übersetze. Alle lachen. Alle verstehen. Das sind gute Namen für Punkbands.

Wir setzen uns für das Interview ans Tischchen. Links von mir Kesha, rechts Borgir. Der Rest hat sich im Raum verteilt. Ich frage nach den Ursprüngen der georgischen Szene. Borgir erzählt, dass die georgische Alternativszene immer recht stark gewesen sei.

Als die Sowjetunion Ende der achtziger Jahre kollabierte, hätten sich sofort viele neue Bands gegründet. Es habe zwei verschiedene Szenen gegeben, eine in Tiflis, die von Post-Punk und Alternative Punk geprägt war, eine in Kutaissi, die eher für Hardcore Punk stand. Leider hielt diese Entwicklung nur wenige Jahre an, weil in den 1990er Jahren mehrere Kriege in Georgien aus­brachen. Das Leben sei schrecklich gewesen. Ohne Strom, Gas, Wasser und Essen haben man nicht daran denken können, Musik machen. Anfang der nuller Jahre trat dann die zweite Generation von georgischem Punk an, zu der auch Vodka Vtraiom gehörten. Die Hauptidee von Vodka Vtraiom sei gewesen, gegen alles zu protestieren, was existierte: gegen die schlechten Lebensbedingungen, aber auch gegen die sehr schlechte georgische Popmusik. Darüber hinaus war die erste Generation des georgischen Rock und Post-Punk eher poetisch. Sie dagegen wollten Hardcore und aggressiven Punk spielen. Zuerst waren sie ein Trio. Vodka Vtraiom ist Russisch und bedeutet Wodka für drei.

Kesha und Borgir sind Flüchtlinge aus Abchasien. Borgir meint, das hätte zwar keinen direkten Einfluss auf ihre Texte, der Krieg und ihr ­Leben als Flüchtlinge hätten ihre Einstellungen in sozialen Fragen aber geprägt. Kontakt nach Abchasien haben sie keinen, es sei kompliziert. Erst vor einem Jahr fand Borgir mit Hilfe von sozialen Medien seine Patentante wieder, die er 25 Jahre nicht gesehen hatte. Vor zehn Jahren, erzählt Borgir, haben Vodka Vtraiom einmal bei einem Konzert selbst­gemachte schwarze T-Shirts mit der abchasischen Flagge getragen, um das georgische Publikum zu provozieren – es gebe in Georgien eine aggressive Haltung gegen Abchasier. Diesen Hass lehnen sie ab. Sie glauben, dass es besser sei, miteinander zu reden und sich anzufreunden.

Ich möchte wissen, wo sie schon überall gespielt haben. Mittlerweile ist die erste Zweiliterflasche Bier ausgetrunken. Jemand geht raus zum Bierholen und kommt mit zwei weiteren Monsterflaschen zurück. Borgir erklärt, dass es für sie sehr leicht sei, in Armenien und Aserbaidschan aufzutreten. Da waren sie schon oft, dieses Jahr schon drei Mal. Letztes Jahr waren sie mit der polnischen Anarcho-Punkband Life Scars auf Tour in Polen. Sie würden natürlich gerne mal in Westeuropa spielen, aber das sei schwierig.

Obwohl die Band seit 14 Jahren besteht, unzählige Gigs gespielt hat und jeder georgische Punk ihre eingängigen, humorvollen und sozialkritischen Songs mitsingen kann, wurden ihre Songs bislang nur im Internet veröffentlicht. Vodka Vtraiom sind die berühmteste georgische Band ohne Album. In Georgien gibt es keinen Markt für sozialkritischen Punk und interna­tional gibt es keinen Markt für georgische Musik. Vor drei Wochen veröffentlichten sie auf Youtube den antimilitaristischen Song »Isev movida dro« (»Es ist schon wieder so weit«). Schlicht und schön animiert ist das Video von der Illustratorin Qeti Margania.

Nach einer Stunde ist das Interview vorbei. David fragt: »Und? Habt ihr noch Lust, eine Band zu sehen?« Na, aber sicher! »Gibt’s noch Bier?«, fragt Chris. Großes Gelächter. Die letzte Flasche ist leer, und so setzen wir uns kurze Zeit später mit der ganzen Gang in ein Großraumtaxi und fahren los. Gitarrist Alex er­zählt mir, dass er Vodka Vtraiom als Kind im georgischen Fernsehen ­gesehen hab und sich nie hätte träumen lassen, dass er eines Tages mal mit ihnen zusammenspielen würde. Wir kommen am Dive Club an.

»Wundert euch nicht, ist so’n Hipster-Club«, hat Borgir uns gewarnt. Es wird Bier bestellt und noch mehr Leute werden uns vorgestellt: Der da ist Schauspieler und hat schon in einem Almodóvar-Film gespielt, dieser Hals- und Handtätowierte dort ist abstrakter Maler, da ist der Sänger von Every Dog Has Its Day, das ist der verrückte Sänger von Monoplane. »Du wolltest doch Qeti, die Illustratorin, kennenlernen«, meint Borgir. »Die arbeitet hier nebenan in der Bar.« Borgir kennt alle, kommt mit allen aus und spricht gut Englisch. Er ist der perfekte Connector. Monoplane spielen drei Sets. Ihr charismatischer Frontmann Waleri Khachidze hat eine Reibeisenstimme, die sich auch für Monoplanes Balladen eignet. Der Dive Club liegt zwar im urban hotspot Fabrika, aber das scheint das Underground-Publikum von Monoplane nicht zu stören. Sie können jeden Song der Band mitsingen. Plötzlich sagt Borgir: »Kommt! Ihr müsst die echten Punks treffen.« Er führt uns weiter weg vom Club hinter eine Reihe geparkter Autos zu einer Gruppe junger Leute in schwarzen T-Shirts. Kesha biete Wodka an. Eine Plastikflaschenbong geht rum. Wir sind angekommen.