In Guatemala gibt es Proteste gegen den Versuch der Regierung, Strafermittlungen gegen korrupte Politiker zu behindern

Frontalangriff auf die Justiz

In Guatemala demonstrieren Tausende Menschen gegen den Versuch der Regierung, Strafermittlungen gegen korrupte Politiker und Unternehmer zu behindern. Manche sprechen gar von einem Putsch der Regierung gegen die Verfassung.

Plakate mit den Slogans »Jimmy nicht erwünscht« und »Nein zum Pakt der Korrupten« trugen die Demonstrierenden am Donnerstag vergangener Woche in Guatemala-Stadt. Der Demonstrationszug, an dem sich Tausende beteiligten, zog von der Universität San Carlos, der größten öffentlichen Universität Guatemalas, ins Stadtzentrum. Vor dem Präsidentenpalast machte er schließlich halt, in Sprechchören wurde Präsident Jimmy Morales dazu aufgefordert zu gehen.

Der »Pakt der Korrupten«, wie eine Allianz aus korrupten Politiker, Militärangehörigen und Unternehmern landesweit geschmäht wird, ist auf dem besten Weg, die Macht in Guatemala zu übernehmen. Längst haben die Korrupten die staatlichen Institutionen unterwandert und versucht, Ermittlungen der Justiz zu behindern. Doch die Kommission der Vereinten Nationen gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) steht diesem Ziel im Weg. Das rund 170 Mitarbeiter starke Ermittlungsteam erhielt Ende 2006 das Mandat, das Justizsystem in Guatemala zu stärken, nahm 2007 die Arbeit auf und ist unter seinem Leiter Iván Velásquez Gómez bis an die Wurzeln der Korruption vorgedrungen. Bestes Beispiel dafür ist der Fall des ehemaligen Präsidenten Otto Pérez Molina, der nach großen öffentlichen Protesten Anfang September 2015 zurücktreten musste, weil die in Kooperation mit dem Justizministerium agierenden UN-Ermittler stichhaltige Beweise für das vom ihm geführte Korruptionsnetzwerk »La Línea« (Die Telefonhotline) vorlegen konnten.

Im August und September 2015 nahmen im von mehr als drei Jahrzehnten Bürgerkrieg (1960–1996) geprägten Land bis zu 150 000 Menschen an den Protesten teil, die den korrupten ehemaligen General zum Rücktritt zwangen. Auch der überaus einflussreiche Unternehmensverband CACIF war damals mit von der Partie. »Doch diesmal ist das nicht der Fall. Der Protest wird vor allem von sozialen Organisationen und den Studenten getragen«, sagt Edgar Pérez Archila der Jungle World. Der Anwalt ist Gründer und Direktor einer renommierten Menschenrechtskanzlei in Guatemala-Stadt und weiß, woran das Fernbleiben des CACIF liegt: »Einflussreiche Unternehmen sind Teil des Pakts der Korrupten, der in Guatemala die Macht an sich reißt.«

An dessen Spitze steht Präsident Morales. Im September 2015 war er noch mit dem Slogan »Weder korrupt noch ein Dieb« als Außenseiter bei den Präsidentschaftswahlen angetreten. Der Fernsehkomiker und evangelikale Laienprediger kandidierte für den Frente de Convergencia Nacional (Front der nationalen Annäherung, FNC). Viele Menschen in Guatemala, die vom politischen Establishment die Nase voll hatten, setzten ihre Hoffnungen in den politischen Newcomer. Doch sie übersahen, dass die Partei von einer Riege pensionierter Armeeangehöriger gegründet worden war, die im Hintergrund die Strippen ziehen.

Morales, gegen den die Justiz wegen illegaler Wahlkampfspenden bereits dreimal einen Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt hat, ist vom vollmundigen Unterstützer der CICIG-Ermittler zu deren erklärtem Feind geworden, da sie immer mehr Beweise für die korrupten Seilschaften in Parlament und Politik zusammengetragen haben. Derzeit wird gegen 37 Parlamentsabgeordnete, den Präsidenten und Vertreter zahlreicher einflussreicher Unternehmen ermittelt. Ende August entschied Morales, das Mandat für die Kommission nicht zu verlängern. Die CICIG muss im September nächsten Jahres das Land verlassen. Der Kolumbianer Velásquez darf bereits seit dem 4. September nicht mehr nach Guatemala einreisen, so hat es die Regierung verfügt. Doch das Verfassungsgericht urteilte am 17. September, das sei ein Verstoß gegen den Vertrag mit den Vereinten Nationen sowie ein Bruch guatemaltekischen Rechts und forderte die Regierung auf, den leitenden CICIG-Ermittler einreisen zu lassen.
Die guatemaltekische Regierung stellte sich dagegen und forderte ihrerseits die UN dazu auf, binnen 48 Stunden einen neuen

Vorsitzenden für die CICIG zu ernennen. Das sei ein »Putsch gegen die Rechtsstaatlichkeit«, sagt Pérez Archila. »Uns fehlt die internationale Unterstützung. Die USA schauen nur zu, während sich Europäer und Kanadier kritisch geäußert haben. Doch solange die USA stillhalten, hat der Pakt der Korrupten freie Bahn«, so der Jurist. Daran haben die Proteste der Bevölkerung, die seit drei Wochen vor allem in den großen Städten abseits der Hauptstadt stattfinden, bisher nichts ändern können. Vor allem die Mittelschicht in der Hauptstadt ist eingeschüchtert, weil Eliteeinheiten der Armee mehrfach durch die Straßen patrouillierten. »Das sorgt für traumatische Erinnerungen an die Jahre der Diktatur«, meint der Dokumentarfilmer Sergio Valdés Pedroni, der bereits die Proteste gegen Pérez Molina begleitete.

Der »Pakt der Korrupten«, dem rund die Hälfte der Parlamentsabgeordneten angehört, arbeitet mit Einschüchterung, Schmiergeld und Gesetzesinitiativen, um die Befugnisse der Justiz einzuschränken. Rund 25 verschiedene Gesetzesinitiativen seien im Parlament anhängig, die bereits erreichte progressive Entwicklungen zurücknehmen oder den Spielraum der Justiz einschränken würden – vom Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe bis zur Entmachtung des Obersten Gerichtshofs, sagt Claudia Samayoa, die Direktorin der guatemaltekischen Menschenrechtsorganisation Udefegua. »Das ist ein Putsch gegen die Verfassung, bisher aber ohne Blutvergießen«, sagt die Menschenrechtlerin, die sich seit Jahren für die CICIG engagiert.

Immerhin hat UN-Generalsekretär António Guterres der guatemaltekischen Regierung eine klare Abfuhr erteilt. Er lehnte am Mittwoch vergangener Woche eine Neubesetzung der Leitung der CICIG ab. Zur Not werde Velásquez die Arbeit der UN-Kommission von außen leiten.