Die Fertigstellung des neuen Großflughafens in Istanbul ist ein Prestigeprojekt des türkischen Präsidenten, streikende Arbeiter stören da nur

Technofest ohne Arbeiter

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Dass vor allem ein Exempel statuiert werden soll, scheint plausibel. Schließlich rechnet die Regierung mittlerweile offiziell damit, dass die Inflationsrate bis Jahresende auf 20 Prozent steigt. Wegen schwindender Kaufkraft ist im Juni und Juli der Automarkt eingebrochen. Mittlerweile kaufen die Menschen in der Türkei auch kaum noch Schuhe. Eine Kette von über 100 Schuhgeschäften und ein renommierter Schuhproduzent mussten Gläubigerschutz beantragen. Doch das harte Vorgehen gegen die Streikenden erklärt sich nicht nur daraus. Der Bau des größten Flughafens der Welt hat für Erdoğan auch eine hohe symbolische Bedeutung.

Eine Woche nach der Niederschlagung des Streiks feierte der Präsident mit großem Pomp auf dem teilweise fertiggestellten Flughafen ein »Technofest«. Mehr angekündigt als vorgeführt wurde einheimische Technik, insbesondere Militärtechnologie. Erdoğan schwärmte von Panzern, Helikoptern, Drohnen und Raketen. Insgesamt sollen 600 Rüstungsprojekte in Arbeit sein. In seiner Rede beschwor der Präsident die Kraft der Träume: Wenn die Türken ihren Träumen gefolgt seien, hätten sie in der Geschichte fast immer gewonnen. Bei großen Vorhaben sei es aber auch klar, dass man sabotiert werde. Ein Hinweis auf die Wirtschaftskrise, die, wie der Präsident behauptet und seinen Landsleuten immer wieder einschärft, in Wirklichkeit nur Sabotage sei. Bis auf eine weitere Ermahnung Erdoğans, alle Geschäfte in Türkischer Lira abzuwickeln, musste dieser Hinweis auf die triste Gegenwart reichen.

Des Weiteren wetterte der Präsident gegen die »Verwestlichung«: »Die Jugendlichen, die wir in den Westen geschickt haben, damit sie Ingenieure werden, kehren mit verführtem Geist, vergiftet ins Land zurück.« Allerdings zeigen weder die ständigen Appelle, die Lira zu stützen, noch die Ermahnungen der Jugend viel Wirkung. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Auswanderer um 42 Prozent gestiegen. Während früher Auswanderer hauptsächlich aus anatolischen Dörfern kamen, stammt derzeit die Mehrzahl aus den türkischen Metropolen; es sind die Jungen und gut Ausgebildeten, die das Land verlassen. Sie entsprechen im Alter und sozialen Profil denjenigen, die Erdoğan vor fünf Jahren bei den Gezi-Protesten getrotzt haben.

Arbeiter von der nahen Baustelle durften nicht auf das Technofest. Sie sollen schuften, damit Erdoğan wie ­geplant am 29. Oktober das Hauptterminal des neuen Flughafens eröffnen kann. Am selben Tag soll der nach Mustafa Kemal Atatürk benannte alte Flughafen seine Tore schließen. Das Datum, an dem Erdoğan eisern festhält, ist der 95. Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik durch Atatürk, der auch deren erster Präsident war. Am Tag der Einweihung muss Erdoğan spätestens das Geheimnis lüften, wie der neue Großflughafen heißen wird. Sollte es der »Recep-Tayyip-Erdoğan-Flughafen« werden, wäre das ein symbolträchtiger Übergang von Atatürk zu Erdoğan. Auch wenn das Spekulation ist, hat der Termin eine hohe propagandistische Bedeutung und jeder Tag Streik gefährdet Erdoğans Symbolpolitik.

Landen will der Präsident auf dem neuen Flughafen übrigens in seinem neuen Flugzeug im Wert von rund 500 Millionen US-Dollar, das ihm der Emir von Katar geschenkt haben soll. Die Opposition vermutet hingegen, Erdoğan habe es mitten in der Wirtschaftskrise heimlich gekauft. Er fliegt nun in der gleichen Klasse wie US-­Präsident Donald Trump. Erdoğan hat noch zwei weitere große und neun kleinere Flugzeuge sowie drei Helikopter zu seiner Verfügung. Pläne für ein Sommerschlösschen am Meer mit 300 Zimmern und 65 Hektar Grundstück wurden gerade vorgestellt. Ein Staatsempfang erster Klasse in Berlin erwartet den Traum- und Schaumtänzer auch noch. Erdoğan dürfte es schwerfallen, sich in die Lage eines Bauar­beiters in einer verwanzten Unterkunft zu versetzen, selbst wenn er es wollte.