Frankreich friert wegen Terror­ermittlungen Gelder zweier Iraner ein

Bombenstimmung in Europa

In den Streit über die Atomvereinbarungen mit dem Iran platzen Ermittlungen in mehreren europäischen Ländern wegen eines angeblichen vereitelten Attentats auf die Volksmujahedin in Frankreich. Das Land hat deshalb Guthaben iranischer Würdenträger eingefroren.

Damit haben die Herrschaften wohl nicht gerechnet: in einem zentralen EU-Land werden die Guthaben eines iranischen Vizeministers, der für die Nachrichtendienste zuständig ist, und eines Diplomaten der Islamischen ­Republik eingefroren. Es geht um ein mutmaßlich geplantes Verbrechen ­gegen politische Widersacher des Regimes. Ein zweiter Gründerstaat der ­Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Vorläuferin der EU, hatte strafrechtliche Ermittlungen gegen beide in die Wege geleitet. Ein dritter Gründerstaat genehmigt die Auslieferung eines der betreffenden Diplomaten an den zweiten.

Bei dem dritten EU-Land handelt es sich um die Bundesrepublik Deutschland; die Genehmigung der Auslieferung des iranischen Diplomaten Assadolah Assadi an Belgien genehmigte am 27. September das Oberlandes­gericht Bamberg. Und in Frankreich entschieden die Behörden am 2. Oktober im Zusammenhang mit denselben von Brüssel ausgehenden Ermittlungen, Guthaben Assadis sowie des iranischen Vizeministers Sayed Hashemi Moghadam auf französischem Terri­torium einzufrieren. Das gilt vorläufig für sechs Monate. Eine solche vor­übergehende Beschlagnahmung von Geldern dürfte zwar unmittelbar nur geringen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte des Adressaten haben, sie ist jedoch eine eindeutige diplomatische Warnung. Die iranische Regierung protestierte offiziell gegen die Sanktion und behauptete, ihre französischen Amtskollegen seien falsch informiert, aufgrund eines »Komplotts des amerikanischen Regimes und des zionistischen Regimes«.

Iranische Diplomaten und Minister wurden insbesondere in der Bundes­republik in der Vergangenheit mitunter sehr viel zuvorkommender behandelt. Genau vor einem Vierteljahrhundert, im Oktober 1993, empfing der Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator unter Bundeskanzler Helmut Kohl, Bernd Schmidbauer, in Bonn den damaligen iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahian. Die beiden Herren besichtigten gemeinsam den Kölner Dom, während die oppositionellen Grünen und iranische Exiloppositionelle protestierten. Die Minister vereinbarten eine behördliche Zusammenarbeit, offiziell ging es um unverfänglich klingende Themen wie die ­Bekämpfung von Umweltverbrechen. In der Öffentlichkeit dachte man indessen bei einer Erwähnung der Islamischen Republik Iran eher an andere Verbrechen wie die Ermordung von Oppositionellen im Ausland: Im September 1992 waren im Auftrag des iranischen Geheimdiensts Vevak vier iranisch-kurdische Opposi­tionelle in Berlin im Restaurant Mykonos erschossen worden. In den Jahren 1990 bis 1992 hatte es eine Welle von Anschlägen mit teils tödlichem Ausgang im Auftrag des Iran gegeben, etwa auf die Übersetzer von Werken Salman Rushdies in Norwegen und Japan; dazu zählt auch die Ermordung des ehemaligen iranischen Ministerpräsidenten Shapour Bakhtiar im August 1991 in Paris.

Die iranische Regierung behauptete, ihre französischen Amtskollegen seien falsch informiert, aufgrund eines »Komplotts des amerikanischen Regimes und des zionistischen Regimes«.

Die repressive politische Natur der Islamischen Republik Iran hat sich ­seither nicht grundlegend verändert, der Staat bleibt qua Verfassung reli­giös-ideologischen Grundlagen verpflichtet. Mordanschläge an Exil- und Oppositionsvertretern sind seltener ­geworden als vor 25 Jahren, allerdings wird eine Urheberschaft des iranischen Regimes an Todesfällen auf deutschem und niederländischem Boden in den Jahren 2015 und 2016 zumindest vermutet.

Seit dem 30. Juni dieses Jahres ist jedoch eine größere Affäre ins Rollen ­gekommen. An diesem Tag wurden in Woluwe-Saint-Lambert, einem Vorort von Brüssel, ein Iraner und eine Iranerin im Alter von 38 beziehungsweise 33 Jahren festgenommen. Das Paar mit Wohnsitz in Antwerpen befand sich im Besitz eines halben Kilogramms des Sprengstoffs TATP und eines Zünders. Bei Verhören behaupteten beide, sie seien iranische Oppositionelle. Auf Kontakte zu Regimevertretern angesprochen, behaupteten sie, vom Regime in Teheran unter Druck gesetzt worden zu sein, das auch ihre im Iran lebenden Familien bedroht habe. Solche Methoden sind zwar tatsächlich gängig, die belgischen Ermittlungsbehörden halten die beiden jedoch nicht für Oppo­sitionelle, sondern vielmehr für iranische Geheimdienstmitarbeiter.

Die Untersuchung führte daraufhin unter anderem zu dem in Österreich als Botschaftsmitarbeiter akkreditierten Assadollah Assadi, der den Sprengstoff in Luxemburg übergeben haben soll. Zu seinem Pech wurde er nicht in Österreich – wo er wegen seines Diplomatenstatus geschützt ist –, sondern im deutschen Unterfranken aufgegriffen. Deshalb kann er nach Belgien ausgeliefert werden. Die Behörden halten ihn für einen hochrangigen Mitarbeiter des Geheimdienstministeriums, das in der staatlichen Hierarchie des Iran ­direkt dem religiös-politischen Oberhaupt Ali Khamenei unterstellt ist. Eine weitere Spur führte nach Frankreich, wo kurz darauf der iranische Staatsbürger Mehrdad Arefani festgenommen und an Belgien überstellt wurde.

An den Ermittlungen sollen nach Angaben einer »diplomatischen Quelle« in Frankreich, die sich gegenüber den Agenturen AFP und Reuters sowie der Pariser Zeitung Le Monde äußerte, sowohl belgische und deutsche als auch israelische und albanische Nachrichtendienste beteiligt gewesen sein.

Die Rolle Albaniens ist darauf zurückzuführen, dass eine iranische Exil­organisation dort ihren Rückzugsort hat, wenn auch unfreiwillig. Es handelt sich um die sogenannten Volksmujahedin oder mujahedin-e khalq (etwa »Glaubenskämpfer des Volkes«). Rund 4 000 ihrer Kämpfer wurden im Irak, wo sie unter der bis 2003 regierenden Diktatur der Ba’ath-Partei unter Saddam Hussein ihren Sitz hatten, nach dem Einmarsch der USA festgesetzt. Später suchten die US-amerikanischen und irakischen Behörden einen Exil­ort für diese Kämpfer, den zunächst kein Land zur Verfügung stellen wollte, bis Albanien eine Aufnahme akzeptierte.

Die Volksmujahedin spielten vor und kurz nach der Revolution im Iran von 1979 vorübergehend eine wichtige Rolle, verloren dann jedoch den Machtkampf gegen die Fraktion des schiitischen ­politischen Islam unter Ayatollah Ruhollah Khomeini, die sich mittels Propaganda und Gewalt durchsetzen konnte. Die Volksmujahedin behaupteten ursprünglich, sie hätten erfolgreich eine »Synthese aus Marximus und Islam« bewerkstelligt. Die Wirklichkeit sieht profaner aus: Es handelt sich weder um Linke noch um Islamisten im klassischen Sinne, sondern um eine auf die Personen des Führer­ehepaars Massoud und Maryam Rajawi zentrierte Politsekte, die einen Führungsstil ähnlich dem in Nordkorea üblichen pflegt. Im Laufe der Jahre wurde die Sekte, die stets einen militärischen Arm unterhielt, in der Auswahl ihrer Bündnispartner immer weniger wählerisch. Diese reichten von Saddam Hussein bis hin zu einigen Persönlichkeiten aus dem Umfeld Donald Trumps.

An dem diesjährigen internationalen »Widerstandskongress« der Organisa­tion, den sie alljährlich in Villepinte im Pariser Umland veranstaltet, nahmen am 30. Juni etwa Sicherheitsberater John Bolton und Trumps Anwalt Rudy Guliani, ein vormaliger New Yorker Bürgermeister, teil. Auf diesen Kongress ­sollen die Anschlagsvorbereitungen gezielt haben. Das ist, vorbehaltlich ­einer juristischen Bestätigung der von den Behörden präsentierten Ermittlungsergebnisse, durchaus denkbar.

Die Volksmujahedin spielen im Iran kaum eine Rolle; die dortige Bevölkerung lehnt das amtierende Regime zwar mehrheitlich ab, aber die Volksmujahedin, die im Iran-Irak-Krieg bis 1988 in den Reihen der Armee Saddam Husseins kämpften, werden überwiegend als kaum besser betrachtet. Doch in den Augen des Regimes handelt es sich bei ihnen um besonders gefährliche »Ketzer«, da sie sich anders als linke oder monarchistische Oppositionelle selbst als muslimische Glaubenskrieger darstellen. Im Iran werden die Mujadehin in der offiziellen Termi­nologie als munafeqin bezeichnet, das heißt als »Heuchler« mit einem ­gefährlichen falschen Religionsbekenntnis.

Am selben Tag, an dem die Regierungsdekrete zum Einfrieren der Guthaben der beiden iranischen Funk­tionäre veröffentlicht wurden, durchsuchten 200 französische Polizisten ein schiitisches Zentrum im nordfranzösischen Grande-Synthe, das Centre Zahra. Diese seit 2005 bestehende Einrichtung stach bisher vor allem durch kruden Missionseifer hervor. Einer ihrer Vertreter, ein vom Sunniten- zum Schiitentum konvertierte Franzose algerischer Herkunft namens Yahia Gouasmi, kandidierte bei der EU-Parlamentswahl 2009 auf der mit einem Prozent der Wählerstimmen weit­gehend erfolglosen »Antizionistischen Liste« der französischen Antisemiten Dieudonné M’bala M’bala und Alain Soral, die in demselben Gebäude ihren Sitz hat wie das Centre Zahra. Gou­asmi, ein nicht eben heller Verschwörungstheoretiker, sorgte damals mit dem Ausspruch für Aufmerksamkeit: »Hinter jeder Scheidung in Frankreich steht ein Zionist.« Im selben Jahr ­besuchte Dieudonné M’bala M’bala den damaligen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad in Teheran.

Die Durchsuchung richtete sich ­gegen zwölf Personen, von denen elf die französische Staatsangehörigkeit ­sowie eine die syrische besitzen, insbesondere wegen des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen. Zwei von ihnen wurden danach der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Angeordnet wurde die Durchsuchung offiziell wegen Veröffentlichungen, die Gewalt im Namen des ­Jihad rechtfertigen.

Offenkundig handelte es sich um eine Warnung an die Adresse des Iran, der das Zentrum unterstützt, auch wenn kein direkter Zusammenhang zu den Vorwürfen hinsichtlich der Anschlagspläne am 30. Juni besteht. Dass militante Schiiten Attentate gegen ­Zivilisten auf französischem Boden verüben könnten wie die sunnitischen ­Jihadisten vom »Islamischen Staat« (IS), schien in jüngster Zeit eher unwahrscheinlich. Doch 1985/86 war es zu Anschlägen auf französische Kaufhäuser gekommen, mutmaßlich im Zusammenhang mit dem damaligen engen Bündnis der französischen Regierung mit Saddam Hussein im Iran-Irak-Krieg. Eine iranische Urheberschaft gilt als höchst wahrscheinlich.
Zugleich macht sich die französische Regierung derzeit auf internationaler Ebene für eine Neuverhandlung des

Atomabkommens mit dem Iran vom Juli 2015 stark, aus dem die US-Regierung im Mai ausstieg. Bei der UN-Vollversammlung Ende September sagte Emmanuel Macron, diese Vereinbarung sei seit 2015 das bessere Mittel gewesen, um den Iran vom »Weg zur ­militärischen Atomnutzung« abzuhalten. Offensichtlich versucht Frankreich, dem iranischen Regime zugleich gewisse Grenzen aufzuzeigen, um die französische Position nicht als direkte Unterstützung erscheinen zu lassen.