Die Mieterbewegung in Berlin wächst, weitere Besetzungen sind geplant

Herbst der Besetzungen

Die steigenden Mieten in Berlin gefährden auch das Klein­gewerbe und linke Projekte. Die Protestbewegung wächst und erfasst allmählich auch Künstler, die der Immobilien­branche als unfreiwillige Werbe­träger dienen sollen.

In Berlin geht der von der Bewegung »Recht auf Stadt« ausgerufene Herbst der Besetzungen weiter. Wie bei den Besetzungen der vergangenen Wochen sollte auch dieses Mal auf die sozialen Konsequenzen der kapitalistischen Verwertung von Wohnraum aufmerksam gemacht werden. Besonders deutlich wurde das bei der Besetzung der Berlichingenstraße 12 in Moabit. »Hier wurden die teils jahrelang in dem Männerwohnheim wohnenden Bewohner aus dem Haus geworfen, weil mit der Unterbringung von Geflüchteten mehr Geld zu verdienen war. Ein Beispiel von vielen, wie durch die ­Auslagerung von sozialen Aufgaben an profitorientierte Unternehmen Bedürftige gegeneinander ausgespielt werden«, schrieb die Berliner Obdach­losenhilfe, die die Besetzung unterstützte.

Mehrere Monate lang hatten sich dort Wohnungslose gegen ihren Rausschmiss gewehrt und betont, dass sie sich nicht gegen Flüchtlinge ausspielen lassen wollten. Seit 2017 steht das ­Gebäude leer. Daran dürfte sich nichts ändern. Nach sechs Stunden räumte die Polizei das Haus, nachdem der Eigentümer Strafantrag gestellt hatte. Die Besetzer sind wütend auf den Berliner Senat, der die Räumung nicht ver­hindert hat, auch wenn Politiker von Grünen und Linkspartei eine Enteignung des Hauses vorschlugen. Tatsächlich ist die kapitalfreundliche Gesetzeslage der Grund dafür, dass für Menschen mit geringem Einkommen nicht genug Räume zur Verfügung stehen.

Neben Mietern sind davon auch immer mehr Kleingewerbetreibende ­betroffen. So wurden der linken Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« nach 33 Jahren zum Jahresende die Räume gekündigt. Das Haus gehört mittler­weile einer Luxemburger Briefkastenfirma, die einige Wohnungen über­teuert mit befristeten Verträgen vermietet. Bereits wenige Tage nach Bekanntwerden der Kündigung äußerte sich Solidarität im Schillerkiez, wo es seit mehreren Jahren eine rege Mieterbewegung gibt. »Mit dem ›Syndikat‹ sollen auch wir Bewohner aus dem Kiez verschwinden, die die Stammgäste in der Kneipe sind«, sagte ein älterer Mann auf einem Nachbarschaftstreffen. Dort sagte auch der Neuköllner Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann (Grüne), dass nur öffentlicher Druck das »Syndikat« retten könne. Juristisch gebe es bei einem Gewerbemietvertrag kaum Chancen auf Erfolg.

Die Mieterbewegung in Berlin wächst nach wie vor. So haben sich in der Ini­tiative »Kunstblock and beyond« junge Künstler zusammengeschlossen, die als Zwischennutzer von Gebäuden vor der Sanierung umworben werden. Als solche haben sie keine Rechte und müssen wieder verschwinden, wenn der Umbau beginnt. Dem Ruf als Gentrifizierer wider Willen treten die im Kunstblock kooperierenden Künstler nun entgegen. »Keine Kunststückchen und kein kreatives Kapital mehr für die Finanzialisierung von Stadtraum«, lautet eine Forderung auf einem Informationsblatt, mit dem besonders die Vorgehensweise des Immobilienentwicklers Pandion AG rund um den Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg kritisiert wird.

Wo einst die Autoverleihfirma Robben & Wintjes ihr Domizil hatte, sollten teure Lofts entstehen. Vor Baubeginn gab es einige Kulturevents samt Preisverleihung. Der Kunstblock rief die involvierten Künstler zum Kulturstreik auf. Statt an der Preisverleihung teilzunehmen, sollten sie auf der Straße dagegen protestieren, für Aufwertungsprozesse instrumentalisiert zu werden. Allerdings solidarisierte sich nur der Berliner Künstler Johannes Paul Raether mit dem Anliegen des Kulturblocks.

Für dessen Mitglieder ist das keine Überraschung. Man habe vor dem Eingang viele Gespräche geführt, in denen junge Künstler zwar die Forderungen des Kulturblocks unterstützten. Zugleich seien sie jedoch froh gewesen, dass sie Räume gefunden haben, in ­denen sie ihre Arbeiten präsentieren können. Denn solche Räume sind im weitgehend durchgentrifizierten Berlin in den vergangenen Jahren knapp ­geworden. Das nutzen Immobilienfirmen, die wie einst Fürsten und später das liberale Bürgertum als Kunstmäzene auftreten. Der Kunstblock spricht von einer »Artwashing-Kampagne« der Immobilienwirtschaft.

Die auch außerhalb Berlins wachsende Mieterbewegung plant im nächsten Jahr eine bundesweite Demonstration mit gemeinsamen Forderungen an die Politik. Öffentlicher Druck kann vielleicht dafür sorgen, dass einige ­Gesetze mieterfreundlicher gestaltet werden. Doch die Eigentumsordnung wird dabei sicher nicht in Frage gestellt werden. Daher soll es auch über den Herbst hinaus weitere Besetzungen in Berlin geben.