Der Syrer Amed A. verbrannte in ­einer Gefängniszelle, inhaftiert war er aufgrund einer Verwechslung

Verwechslung mit Todesfolge

Der syrische Flüchtling Amed A. starb nach einem Brand in einer Gefängniszelle der JVA Kleve. Dort hätte er nie sein dürfen.

Als Landesjustizminister Peter Biesenbach (CDU) im Rechts- und Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags Stellung nahm, zeigte er sich »tief betroffen«. Der syrische Flüchtling habe den Brand am 17. September in seinem Haftraum »möglicherweise selbst verschuldet«, sagte er in einem seiner ersten Sätze. Zwölf Tage nach dem Brand war Amed A. seinen Verletzungen erlegen. Einen Tag zuvor war bekannt geworden, dass er zu Unrecht über zwei Monate in der JVA Kleve gesessen hatte. Er war mit einem Mann aus Mali verwechselt worden, den die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Diebstahls mit zwei Haftbefehlen suchte.

Gemeinsam mit Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) legte Biesenbach dem Landtag am Freitag vergangener Woche umfassende Berichte über den Fall vor. Alles hatte demnach seinen Anfang bei der Polizei in Kleve genommen. Am 6. Juli soll Amed A. vier Frauen an einem See in Geldern sexuell belästigt haben. Die Polizei nahm ihn mit auf die Wache. Der Syrer sei seit Oktober 2017 öfter polizeilich in Erscheinung getreten, sagte Reul. Es habe sich dabei bis zum 6. Juli ausschließlich um Verdachtsfälle gehandelt. »Gegen die Anschuldigungen kann sich der Verstorbene heute nicht mehr wehren«, kritisiert die Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz (Grüne) auf Anfrage der Jungle World.

Die Berichte zeigen ein institutionelles Versagen, das erst kurz vor dem Tod des Syrers aufgefallen war. Reul sagte: »Dafür, dass er an diesem Ort überhaupt erst gelandet ist, dafür trägt die Polizei die Verantwortung.« Doch wie konnte es zu der Verwechslung kommen? Amed A. war im März 2016 nach Deutschland geflüchtet. Bei der Einreise wurden ihm wie allen Flüchtlingen die Fingerabdrücke abgenommen. Er erhielt eine Identitätsnummer, zu der seine Personalien hinterlegt wurden: Amed A., geboren am 1. Januar 1992 in Aleppo, Syrien.

Erst zwei Wochen nach dem Brand wurde ein unabhängiger Brand­sachverständiger hinzugezogen.Es gebe Anhalts­punkte, dass Brand­stiftung vorliege.

Das waren die Daten, die die Polizeibeamten am 6. Juli sahen, als sie die Fingerabdrücke A.s überprüften. In der Kriminologie geht man davon aus, dass Fingerabdrücke bei jedem Menschen einzigartig sind. Zur Feststellung der Identität reichte das aber wohl nicht aus. A. führte keine Ausweispapiere mit sich. Als die Beamten ihn überprüften, stießen sie im System auf zwei Haftbefehle, die auf Amedy G., ­einen Mann aus Mali, ausgestellt sind. Er trägt einen Alias-Namen: Amed A.
Ohne weitere Überprüfung der Identität gingen die Polizisten davon aus, den Gesuchten aus Mali gefasst zu haben. Einen Abgleich der Fotos von Gefasstem und Gesuchtem, des Geburtsorts, der Beschreibungen der äußerlichen Merkmale habe es dabei nicht gegeben, so Reul. Nun läuft ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung im Amt, das von der Staats­anwaltschaft Kleve geführt wird – also einer Behörde, die eng mit den Polizisten in Kleve zusammenarbeitet. Einen Grund, die Polizisten aus dem Dienst zu nehmen, sah der Innenminister nicht.

Das Landeskriminalamt Hamburg tilgte die Fahndung nach Amedy G., der am 1. Januar 1992 in Timbuktu geboren worden sein soll. Auf den Haft­befehlen sollen eindeutig die Personalien von G. zu sehen sein. Amed A. kam dennoch am selben Tag in die JVA Geldern, die ohne sein Wissen für ihn die Aliaspersonalien Amedy G.s hinterlegte. Amed A. hatte nur eine Sparkassenkarte bei sich. Auf dieser stand der Name Amad A. Wie sich später herausstellte, war das nach eigenen Angaben sein richtiger Name. Vier Tage später wurde er in die JVA Kleve überstellt. Dort war er in einem Haftraum untergebracht, wo er unregelmäßig beobachtet wurde, weil er bei einem Erstgespräch Suizidgedanken geäußert hatte. Auch bei der Überstellung fiel der Fehler nicht auf.

Vom 19. bis zum 27. Juli kommunizierten die JVA Geldern, die JVA Kleve und die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen der beiden Haftbefehle, auf denen unterschiedliche Personalien angegeben sind. Mal hat der gesuchte Amedy G. die malische Staatsangehörigkeit, mal die deutsche, mal ist Timbuktu in Mali der Geburtsort, mal Nouakchott in Mauretanien. Beide Städte sind mehr als 4 000 Kilometer von Aleppo, dem Geburtsort von Amed A., entfernt.

Nur die Geburtsdaten stimmen überein: 1. Januar 1992. Hier liegt ein weiterer Fehler vor, der offenbar bereits bei der Einreise gemacht wurde. Amed A. hatte als Geburtsdatum stets den 13. Juli 1992 angegeben; geglaubt wurde ihm jedoch nicht. Im Bericht des Justizministeriums heißt es: »Oftmals bestehen Zweifel an der Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum, ins­besondere soweit es um die Frage der Minderjährigkeit geht. Häufig wird vor diesem Hintergrund das Geburtsdatum mit dem 1. Januar eines Jahres angegeben.« Doch bei seiner Einreise war Amed A. 23 Jahre alt.

Am 27. Juli erreichte eine Anfrage der Staatsanwaltschaft Hamburg die JVA Kleve, »ob dort Nachweise über die dort geführten Personalien des Verurteilten vorliegen«, so der Wortlaut der Anfrage, die der Jungle World vorliegt. Handschriftlich antwortete die JVA Kleve darauf: »Hier liegen keine Nachweise vor.«

Am 3. September sprach Amed A. mit einer Anstaltspsychologin. Sie beschrieb ihn als »gut erreichbar« und sagte: »Er machte eine Menge kaum nachvollziehbarer Angaben zur Person.« A. sagte der Psychologin, »er habe seinen Namen immer korrekt mit Amad A. angegeben und geboren sei er am 13. Juli 1992 – alle anders lautenden Angaben seien auf fehlerhafte Protokolle der Polizei zurückzuführen; die Daten aus dem Urteil seien ihm allesamt unbekannt. Das Urteil betreffe ihn nicht. Er kenne den Namen Amedy G. nicht, er sei nie in Hamburg gewesen, schon gar nicht zu der dort angegeben Tatzeit; da sei er noch gar nicht in Deutschland gewesen.« Es ist der einzige paraphrasierte Wortlaut des Syrers, der vorliegt.

Von den im Erstgespräch geäußerten Suizidgedanken hatte sich A. offenbar eine zügige Entlassung versprochen, heißt es im Bericht. Er habe nie an Suizid gedacht und sich auch nie selbst verletzt, sagte er der Psychologin.

Einige Tage vor dem Gespräch wurde man in Hamburg offenbar misstrauisch. Die Staatsanwaltschaft Hamburg verfügte am 20. August eine Anfrage an die Polizei in Kleve, »aufgrund welcher Erkenntnisse die dort geführten Personalien des Verurteilten geführt werden«. Dem Bericht des Justizmi­nisteriums zufolge wurde die Anfrage erst einen Monat später zugestellt. Bei der Polizei Kleve ging das Schreiben am 24. September ein, was dazu führte, dass die Personalien erneut überprüft wurden. Die Verwechslung wurde bekannt, auch in der Öffentlichkeit.

Doch bereits am 17. September hatte die Zelle gebrannt, in der Amed A. inhaftiert war – »aus nach wie vor nicht abschließend geklärten Umständen«, wie es im Bericht des Justizministeriums heißt. Auf Nachfrage von Berivan Aymaz im Rechts- und Innenausschuss hieß es, man habe ein verkohltes Feuerzeug neben der verkohlten Matratze gefunden.

14 Beamte seien bei der Untersuchung des Brands eingesetzt worden. Erst am 2. Oktober, zwei Wochen nach dem Brand und kurz nach dem Tod von Amed A., wurde ein ­unabhängiger Brandsachverständiger hinzugezogen. Es gebe Anhaltspunkte, dass Brandstiftung vorliege. »War der Häftling Raucher?« fragte Aymaz die Ministerien. »Den Wahrnehmungs­berichten nach war er Nichtraucher«, antwortete das Innenministerium, ­behauptete danach jedoch: »Der Gefangene hat wohl doch geraucht.«

Für Aymaz ist der Fall ein Polizei- und Justizskandal. »Es sind zahlreiche Alarmzeichen nicht wahrgenommen worden. Das Gespräch mit der Psychologin war der letzte Hilfeschrei, um deutlich zu machen, dass er nicht die Person ist, gegen die ein Haftbefehl vorliegt«, sagt sie. Aymaz fordert deshalb, dass auch Strukturen bei Polizei und Justiz überprüft werden müssten. »Wir werden darauf drängen, dass zügig offenstehende Fragen geklärt werden«, so Aymaz.