Die AfD könnte künftig vom Verfassungsschutz beobachtet werden

Die Berater sollen prüfen

Die AfD bekennt sich zwar offiziell zum Grundgesetz, doch 13 Landesämter für Verfassungsschutz haben belastendes Material über sie gesammelt. Bis Jahresende soll über eine Beobachtung der AfD entschieden werden.

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner ist dafür, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, dagegen. Die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, will es, der CDU-Sicherheitsexperte Patrick Sensburg auch, der CDU-Bundestagsabgeordnete Volker Kauder eher nicht. Die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, ist dafür und Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, ist es auch: Viele Politiker wollen, dass der Verfassungsschutz die AfD künftig beobachtet. Der Inlandsgeheimdienst Thüringens hat die AfD bereits zum Prüffall erklärt. Auf einer Tagung im März beschlossen die Verfassungsschützer von Bund und Ländern, Material über die AfD laufend zu sichten und zu bewerten. Ende vergangener Woche haben nun 13 Landesverfassungsschutzbehörden dem Bundesamt für Verfassungsschutz belastendes Material über die AFD zur Verfügung gestellt.

Drei Länder, darunter Sachsen, beteiligten sich trotz eines Aufrufs des Bundes nicht an der Recherche. Bis Jahresende soll nun die Entscheidung fallen, wie die AfD künftig eingestuft wird. Es gibt Hinweise darauf, dass viele Mitglieder, Mandatsträger und Funktionäre der Partei trotz der immer wieder behaupteten Treue zum Grundgesetz nicht nur keine allzu leidenschaftlichen Anhänger des demokratischen Rechtsstaats sind, sondern sich als Teil eine revolutionären Bewegung sehen. Das Rentenkonzept des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke trägt deutlich völkische Züge: Staatliche Zuschüsse, die dafür sorgen sollen, dass Rentner künftig nicht mehr auf die Grundsicherung angewiesen sind, soll es nur für Deutsche geben. Mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes passt das nicht zusammen.

Götz Kubitschek nannte die mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz »ein scharfes Schwert«.

Mit seiner Dresdner Rede vom Januar 2017, in der Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als »ein Denkmal der Schande« bezeichnete, war er für seine Partei stilbildend. Der Politiker selbst konnte sich später auf die Position zurückziehen, das Mahnmal erinnere ja nun einmal an eine Schande und er sei falsch verstanden worden. Ähnliche Aussagen zur Shoah und zum Nationalsozialismus gibt es aus AfD-Kreisen häufig: Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland nannte die NS-Zeit einen »Vogelschiss in unserer über 1000jährigen Geschichte«, Alice Weidel schrieb in einer Mail über die Politiker der demokratischen Parteien: »Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und haben die Aufgabe, das deutsche Volk klein zu halten, indem molekulare Bürgerkriege in den Ballungszentren durch Überfremdung induziert werden sollen.« Der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon überstand ein Parteiausschlussverfahren, obwohl er in einem seiner Bücher schrieb: »Als sich im 20. Jahrhundert das politische Machtzentrum von Europa in die USA verlagerte, wurde der Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form sogar zu einem entscheidenden Wirk- und Machtfaktor westlicher Politik.« Gedeon bezeichnete das Judentum als »inneren Feind des christlichen Abendlandes«. Solche Äußerungen sind in der AfD keine Minderheitenpositionen.

In ihrem Buch »Inside AfD« beschreibt die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber eine hidden agenda der Partei, die Ziele verfolge wie die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Revision der deutschen Ostgrenzen und die Ausweisung aller Muslime aus Deutschland. Weil die Zeit nicht reif sei, würden solche Ideen jedoch noch nicht der Öffentlichkeit vorgestellt. Und auch nicht alle Mitglieder der AfD würden sich bei der Durchsetzung ihrer Politik auf Wahlen beschränken wollen, sagte Schreiber der Jungle World: »Viele träumen davon, sich das Land in einem Staatsstreich anzueignen.« Auf den Weg dorthin haben sich manche bereits begeben: Teile der AfD kooperieren mit den Identitären, demonstrieren gemeinsam mit Neonazis oder arbeiten mit dem rechtsextremen Publizisten Götz Kubitschek zusammen. In der AfD und ihrem Umfeld ist die Angst vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz groß. Die Partei geht davon aus, dass ihr Erfolg in den vergangenen Jahren auch damit zusammenhing, dass sie in manchen Teilen der Öffentlichkeit das Image einer bürgerlichen Partei wahren konnte – im Gegensatz zu rechtsextremen Parteien wie der NPD, »Der III. Weg« oder »Die Rechte« Kubitschek nannte die mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt »ein scharfes Schwert«.

Die Partei dürfe »keinesfalls leichtfertig mit ihr umgehen«. Bei Seminaren der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung werden Funktionäre davor gewarnt, allzu offen mit rechtsextremen Parolen in der Öffentlichkeit aufzutreten. In einer von der Taz zitierten Präsentation der Stiftung wird die »Beobachtung durch den VS« als »existentielle Bedrohung« für die Partei und die »letzte Möglichkeit« der »herrschenden Parteien« bezeichnet, mit dem Geheimdienst »die AfD wieder kleinzukriegen«. Vorsorglich drohte Alice Weidel bereits im September für den Fall einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit einer Klage. Falls die AfD mit einem solchen Schritt vor Gericht tatsächlich Erfolg hätte, könnte die Partei sich einmal mehr als verfolgtes Opfer der etablierten Politik darstellen. Die Verfassungsschutzbehörden dürfen in Deutschland nur tätig werden, wenn »tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen«, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer Ausarbeitung von 2016. Was »tatsächliche Anhaltspunkte« sind, ist nicht genau definiert, es handelt sich um einen »unbestimmten Rechtsbegriff«.

Die Verfassungsschützer können mit ihrer Arbeit beginnen, wenn sie der Ansicht sind, dass »tatsächliche Anhaltspunkte« vorliegen. Aber vor Gericht können Parteien dagegen klagen. Ein deutlicher Anhaltspunkt liegt laut dem Bundesverfassungsschutzgesetz vor, wenn eine Organisation offensichtlich vorhat, die »Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen«. Das tut die AfD allerdings nicht. In ihrem Programm bekennt sie sich zum Grundgesetz. Auch genügen »bloß vereinzelte Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger des Personenzusammenschlusses« nicht, wie der Wissenschaftliche Dienst schreibt. Andererseits ist die AfD auch mit Höckes Taktik der Andeutungen nicht sicher vor dem Verfassungsschutz: »Äußerungen sind unter Berücksichtigung des konkreten Kontextes zu interpretieren (zum Beispiel: Verwendung von Signalwörtern, verdeckte Aussagen und ›Zwischentöne‹«. Und es muss auch nicht gleich die ganze Partei beobachtet werden. »Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen eines Personenzusammenschlusses können sich auch aus verfassungsfeindlichen Bestrebungen einzelner Gruppierungen innerhalb des Personenzusammenschlusses ergeben«, so der Wissenschaftliche Dienst. Bereits im Jahr 2015 hatte der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die damalige AfD-Vositzende Frauke Petry getroffen. Schreiber berichtet in ihrem Buch, Maaßen habe Petry Ratschläge gegeben, wie die AfD einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könne. Daß es nun doch bald soweit sein könnte ärgert Höcke offenbar. Auf dem Landesparteitag der AfD in Thüringen verglich er den Verfassungsschutz am vergangenen Wochenende mit der Stasi und bezeichnete ihn als »Herrschaftssicherungsinstrument des Establishments«.

Mit der Linkspartei waren die Verantwortlichen seinerzeit übrigens weniger zimperlich. Nach ihrer Gründung wurde sie jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet. Vor allem einzelne Arbeitsgemeinschaften wie Cuba Sí, die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum galten als »offen extremistische Zusammenschlüsse der Partei«. Auch wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung der Linkspartei 2014 eingestellt hat, hält beispielsweise das bayerische Landesamt daran fest, einzelne Gruppen innerhalb der Linkspartei zu beobachten. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2017 heißt es: »Innerhalb der Partei ›Die Linke‹ gibt es mehrere offen extremistische Strukturen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung abzielen. Sie stellen teilweise die parlamentarische Demokratie infrage, sprechen der rechtsstaatlichen Ordnung die Legitimation ab oder unterhalten Kontakte zu gewaltorientierten Autonomen. Diese offen extremistischen Untergliederungen versuchen, auf die Partei ›Die Linke‹ Einfluss zu nehmen.«