Die Erfindung der »globalisierten Klasse«

Hefe und Hülle

Was kümmert mich der Dax Von

Schön wäre es ja: Man zieht in ein anderes Land, weil man dort mehr verdient oder der Chef es so will, ist einigermaßen eloquent im Englischen, und schon ist Schluss mit der leidigen Vaterländerei. Man wird Kosmopolit, einfach so. Doch bedauerlicherweise gibt es keinen Beleg dafür, dass die von Rechts- und Linksnationalisten imaginierte »globalisierte Klasse« von »Weltbürgern« existiert. Am ehesten müsste sie sich ja unter den Expats finden, unter Menschen also, deren Status und Einkommen so hoch sind, dass es unschicklich wäre, sie Arbeitsmigranten zu nennen.

Ihr Leben ist jedoch geprägt von der Konkurrenz der Unternehmen oder NGOs und Nationen, deren Repräsentanten sie mit wenigen Ausnahmen sind. Bei einer Umfrage der Bank HSBC erkoren die Expats mit Singapur eine Diktatur zu ihrem Lieblingsland, mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten landeten noch zwei weitere unter den ersten zehn. Dass die meisten Expats sich von Auspeitschungen und Sklavenarbeit in der Umgebung ihres Arbeitsplatzes in ihrem Wohlbefinden nicht beeinträchtigt fühlen, spricht doch eher gegen die Herausbildung eines humanistischen Weltbürgertums, das sich die »glitzernde Hülle linksliberaler Werte« (Sahra Wagenknecht) übergestreift hat.

Allenfalls entwickeln sie eine große Toleranz für kulturelle Eigenarten auch der unerfreulichen Art. So finden sich viele Angehörige dieser »abgehobenen Parallelgesellschaft« (Alexander Gauland) auf der Gästeliste der Future Investment Initiative des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und ärgern sich darüber, dass dessen Initialen MBS nun als »Mister Bone Saw« gedeutet und sie vom Gezeter der Gutmenschen zu einer Absage genötigt werden. Selbst die New York Times benötigte den Wink mit der Knochensäge, um sich von MBS zu distanzieren. Es gibt zwar keine »globalisierte Klasse«, aber es gibt gute Gründe, sie zu erfinden. Gauland muss nicht aus Hitlers Reden über »eine kleine wurzellose internationale Clique« und Wagenknecht nicht aus der Prawda über »Profitjäger ohne Wurzeln (…) gewachsen auf der schimmligen Hefe des Kosmopolitentums« abschreiben.

Die »globalisierte Klasse« ist das notwendige Gegenbild zur angeblich natürlichen »Verwurzelung« der »kleinen Leute«. Man kann auch Bauer und Kosmopolit sein, wenn man reale und imaginierte Wurzeln unterscheidet. Doch unglücklicherweise hat sich die im »Manifest der Kommunistischen Partei« und auch von Lenin propagierte These, die kapitalistische Entwicklung führe zur Auflösung nationaler Schranken und Vorurteile, nicht bestätigt. Die Bourgeoisie bedarf des Nationalstaats zur Vertretung ihrer  Interessen, allzu viele Lohnabhängige verinnerlichen das Konkurrenzverhältnis und interpretieren es nationalistisch. Viele historische Beispiele gibt es daher für die desaströsen Folgen des auf der schimmligen Hefe des Nationalismus wachsenden Kampfes gegen angebliche und tatsächliche Feinde der Vaterländerei, welche Hülle auch immer die Kämpfer sich übergestreift haben.