Der französische Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon echauffiert sich über Ermittlungen gegen ihn und seine Partei

Mélenchon tobt

Der französische Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon wütet gegen Strafermittlungen, die ihn und seine Partei LFI betreffen. Diese distanziert sich immer stärker von linken Positionen.

»La République, c’est moi!« (Die Republik bin ich!) Diesen Ausspruch tätigte der französische linksnationalistische Politiker Jean-Luc Mélenchon am Dienstag voriger Woche. Genauer gesagt schrie er ihn dem Polizisten entgegen, der ihm zu diesem Zeitpunkt den Weg verstellte. Die Polizei durchsuchte gerade den Sitz seiner Partei La France insoumise (Unbeugsames Frankreich, LFI), am Morgen war bereits Mélenchons Wohnhaus durchsucht worden. Es geht um Vorwürfe wegen Scheinbeschäftigung im EU-Parlament und illegaler Wahlkampffinanzierung, zu denen Vorermittlungen laufen. Als der Polizist dem zweifachen Präsidentschaftskandi­daten erwiderte, er habe soeben einen Staatsanwalt geschubst, entgegnete Mélenchon, er, also der Polizist, sei aber kein Staatsanwalt. Der Staatsanwalt stand allerdings hinter dem Polizisten und war bei Mélenchons Versuch, sich zum Parteibüro zu drängeln, ebenfalls zur Seite gestoßen worden. Der linke Politiker selbst stellte Videos des Vorfalls ins Netz. Er forderte, doch bitte gegen die tatsächlichen Kriminellen vorzugehen. Mélenchons Ausfälle brachten ihm ein weiteres Verfahren wegen ­Behinderung der Justiz und tätlichen ­Angriffen auf Amtspersonen ein.

In den vergangenen Jahren hat ­Mélenchon sich immer wieder als polternder Wüterich hervorgetan, etwa wenn ihm eine journalistische Frage nicht gefiel. Dieses Mal ärgerten ihn die Ermittlungen zu der Finanzierung seines Präsidentschaftswahlkampfs 2017 und der Beschäftigung von Funktionären der LFI im Europaparlament. Im Zuge dieser Untersuchung wurden auch die Häuser neun weiterer Personen durchsucht sowie die Zentrale der LFI und die des 2009 von Mélenchon gegründeten Parti de Gauche (Linkspartei, PG), einer erheblich kleineren, ideologisch weniger diffusen und weniger nationalistischen Partei. Seit der Gründung der LFI 2016 wurde der PG, auch durch Mélenchon selbst, immer weiter an den Rand gedrängt.

Bereits im Frühjahr 2017 hatte die Europaparlamentarierin Sophie Montel, die damals noch den rechtsextremen Front National vertrat, Vorwürfe, ihre Partei habe Mittel der Fraktion im ­Europaparlament illegalerweise für rein inländische Ausgaben verwendet, mit dem Hinweis gekontert, andere Parteien täten dies auch. Dabei verwies sie auf Mélenchons Mitarbeiter, was zu den Ermittlungen führte. Hinzu kamen Vorwürfe offizieller Stellen, einzelne ­Posten in Mélenchons Wahlkampfkostenabrechnung, für die Kostenerstattungen geltend gemacht wurden, seien erheblich überteuert. Es geht vor allem um die Tätigkeit von Sophia Chikirou. Sie war ein Jahr lang für 15 000 Euro monatlich hauptamtlich in Mélenchons Wahlkampfstab beschäftigt. Andere Mitarbeiter erhielten bestenfalls den gesetzlichen Mindestlohn.

Chikirou galt als Mélenchons Geliebte. Bei der Durchsuchung von dessen Wohnung trafen die Ermittler sie an. Dadurch stehen die Ermittler nun vor der Frage, ob die überteuerten Abrechnungen sogar als Versuch Mélenchons gewertet werden können, sich selbst Staatsgelder anzueignen. Vor laufenden Kameras beklagte sich Mélenchon, in »feiner Unterwäsche« aus seiner Wohnung geholt worden zu sein, um seine privaten Beziehungen zu erklären.
In seinem Eifer griff der Politiker auch Pressevertreter verbal an. Er rief dazu auf, Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders France Inter »das Leben zu versauen«, und forderte seine Anhängerschaft zum Boykott des in der ganzen Linken rezipierten Internetmagazins Médiapart und zu Abonnementkündigungen auf. Diese Medien hatten ­kritisch über ihn berichtet.

Vor laufenden Kameras beklagte sich mélenchon, in »feiner Unterwäsche« aus seiner Wohnung geholt worden zu sein, um seine privaten Beziehungen zu erklären.

Das Vorgehen der Ermittler war tatsächlich in einigen Punkten kritikwürdig. Durch seine Ausfälle hat Mélenchon allerdings die Chance vertan, dies öffentlich zu skandalisieren. Der bürgerlich-konservative Senatspräsident Gérard Larcher ist der Auffassung, ­Mélenchons Reaktion sei »unterirdisch«, die Durchsuchungen selbst seien ­jedoch nicht ganz ordnungsgemäß gewesen, die eingesetzten Polizeimittel schienen zumindest übertrieben. So durfte der gesetzliche Vertreter von LFI, Manuel Bompard, der Durchsuchung der Parteizentrale nicht beiwohnen und eine unbekannte Anzahl von Dateien wurde von den Rechnern kopiert. Dass es drei Wochen zuvor zu einer Debatte gekommen war, weil Präsident Emmanuel Macron sich persönlich in die Ernennung des Pariser Oberstaatsanwalts eingemischt hatte, macht die Sache nicht besser.

In seiner Wut suchte Mélenchon ­jedoch kaum nach Bündnispartnern in einer breiteren, auch journalistischen Linken. Für den bürgerlichen Fernsehsender BFM TV, bekannt für seinen Sensationsjournalismus, war es eine willkommene Vorlage, dass die Ab­geordneten des rechtsextremen Rassemblement National (RN, früher Front National) – gegen den ebenfalls wegen Finanzdelikten ermittelt wird – Mélenchon in der Nationalversammlung applaudierten. Der Sender blendete die Bilder der klatschenden ­Abgeordneten immer wieder ein.

Doch auch bei der LFI ist eine ideologische Annäherung an die Rechte zu beobachten. So distanziert sich die ­Partei immer stärker von linken Positionen, etwa im Bereich der Migrations­politik. Wie bei Sahra Wagenknechts sogenannter Sammlungsbewegung »Aufstehen« scheint dahinter die Annahme zu stecken, so könne man rechten Parteien Wählerstimmen abspenstig machen. Mélenchon, der noch 2012 einen dezidiert antirassistischen Wahlkampf betrieben hatte, ­weigerte sich im September zusammen mit anderen aus der LFI-Führung, ­einen Aufruf für die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer durch das Schiff »Aquarius« zu unterzeichnen, den fast alle prominenten Vertreterinnen und Vertreter der etablierten Linken unterstützten. Seine Begründung lau­tete, er sei nicht für die allgemeine Freizügigkeit der Menschen, denn Migra­tion und Flucht seien für die Betroffenen eine schlimme Erfahrung – würden die Fluchtursachen bekämpft, blieben die Menschen auch gern zu Hause. Der prominenteste Vertreter von LFI zeigt sich immer offener für rechte Positionen, auch in dem Bemühen, diffus EU-kritische Wählerinnen und Wähler von links und rechts anzusprechen.