Trotz guter Voraussetzungen wird es eng für die US-Demokraten

Ballots and Bullets

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Ein Grund dafür ist demographischer Art. Viele demokratische Wählerinnen und Wähler leben in Städten. »Verschwendung« demokratischer Wählerstimmen nennen Empiriker wie ­Silver das. Die Republikaner und ihre eher konservativen Wähler dominieren das ländliche Amerika und das wiederum stellt einen Großteil des Landes dar.

Im Senat ist diese Ungleichheit sogar noch größer, weil jeder der 50 Bundesstaaten zwei Senatoren stellt – egal wie viele Einwohner er hat. Die 14 Staaten mit der geringsten Bevölkerungsdichte – vorneweg Montana – haben zusammen so viele Einwohner wie Kalifornien. Trotzdem haben sie alle zwei Senatoren. Von den 35 Senatsposten, die dieses Jahr neu vergeben werden, sind neun derzeit von Republikanern besetzt, aber 26 von Demokraten. Das heißt: Letztere müssen vor allem Sitze verteidigen, können aber kaum welche dazugewinnen.

In den Umfragen zur generic congressional ballot, vergleichbar mit der »Sonntagsfrage« in Deutschland, liegen die Demokraten dagegen zurzeit etwa acht Prozentpunkte vorn. Bei der regelmäßigen Umfrage, die viele verschiedene Meinungsforschungsinsti­tute erheben, wird gefragt, ob die Amerikaner wollen, dass ein Republikaner oder ein Demokrat ihren Wahlbezirk vertritt. Zieht man den strukturellen Vorteil der Republikaner von etwa sechs Prozentpunkten ab, läge der tatsächliche Vorsprung der Demokraten nur noch bei zwei Prozentpunkten – das wiederum entspricht dem Fehlerbereich von Umfragen.

Dazu kommt, dass die Republikaner in den vergangenen Wochen aufgeholt haben. Viele Konservative sind wütend darüber, dass die Demokraten den ­Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh einer intensiven Prüfung unterzogen haben. Sie glauben den Vorwürfen sexueller Belästigung nicht oder halten sie für eine Schmutzkampagne. Kavanaugh könnte dieses Jahr für den sogenannten homecoming effect gesorgt haben. Kurz vor Schluss des Wahlkampfs könnten zentristische Republikaner, die die Regierungspolitik kritisch sehen, widerwillig doch noch für die Kandidaten der Partei stimmen.

Die Demokraten müssen dieses Jahr nicht nur strukturelle Nachteile wettmachen, sondern auch die Versäumnisse der vergangenen Jahre. Weiße und alte Amerikaner gehen relativ zuverlässig zur Wahl. Nur bei 36 Prozent lag die Wahlbeteiligung bei den Midterm-Wahlen zuletzt 2014. Es war die niedrigste seit 70 Jahren. Besonders junge Amerikaner gehen bei den Zwischenwahlen nicht wählen, nur 13 Prozent gingen vor vier Jahren an die Urne. Dagegen wählen rund 43 Prozent der Amerikaner zwischen 45 und 64 Jahren – die votieren im Durchschnitt konservativer, während junge Wähler eher die Demokraten bevorzugen.

Im November könnte dennoch die Wut über Trump die Wahlbeteiligung bei jungen Menschen, Frauen, Minderheiten und den Anhängern der Demokraten in die Höhe treiben – auf 45 oder 50 Prozent, das jedenfalls meint der Politikprofessor Michael McDonald von der University of Florida. Zugleich könnte die Aussicht auf ein demokratisch dominiertes Repräsentantenhaus in der polarisierten Stimmung im Land auch viele Republikaner in die Wahl­lokale treiben.

Bei den Midterm-Wahlen 2010 sorgte die rechtskonservative Tea Party dafür, dass eine vom Triumph Barack Obamas noch siegestrunkene Demokratische Partei 63 Sitze im Abgeordnetenhaus verlor. Landesweit verlor die Partei in den Obama-Jahren 1 000 Mandate und politische Posten. Die Republikaner nutzten ihre neue Dominanz in den Bundesstaaten und schnitten Wahl­bezirke zu ihren Gunsten zu. Dieses sogenannte gerrymandering haben Gerichte bislang kaum korrigiert.

Dabei vertreten viele Amerikaner noch immer liberale Werte und Einstellungen. Umfragedaten, die von der Organisation Data For Progress zu­sammengetragen wurden, zeigen: Eine Mehrheit der Amerikaner ist für die ­Legalisierung von Marihuana, will einen Mindestlohn von 15 US-Dollar, eine Finanzmarkttransaktionssteuer und eine staatliche Gesundheitsver­sorgung – »Medicare for all«.
Doch weil das Wahlrecht der USA strukturelle Defizite aufweist, kommen diese gesellschaftlichen Mehrheiten nicht zum Tragen. Vielmehr können sich die Republikaner erlauben, un­populäre Projekte wie die Abschaffung des Affordable Care Act von 2010 ­(»Obamacare«) oder Steuererleichterungen für Reiche durchzusetzen.