Armut und Repression in Ägypten unter der autoritären Regierung Abd al-Fattah al-Sisis

Geknebelt unter dem General

Seite 2 – Wachstum und Armut
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Al-Sisi indes inszeniert sich als Retter Ägyptens. Die tiefe Wirtschaftskrise, die Ägypten nach der Revolution 2011 und der Ära Mursi erfasste, sieht er als überwunden an. Das gibt ihm mit dem einsetzenden Wachstum – für 2018 werden fünf Prozent prognostiziert, vor allem in den Bereichen Tourismus und Industrie, das oft an megalomanische infrastrukturelle Bauvorhaben geknüpft ist –, großen, wenngleich weitgehend stoischen Rückhalt in der Bevölkerung. Es regiert der Superlativ, wenn es um die »neue Hauptstadt« bei Kairo geht; »die größte Kirche«, »die größte Moschee«, »das größte Opernhaus des Nahen Ostens« erwachsen aus dem Wüstensand. Auch der Suez-Kanal soll deutlich vergrößert werden. Es geht um Milliarden Euro teure Prestigeprojekte, ähnlich dem mächtigen Nilstaudamm bei Assuan, den al-Sisis Vorbild, der einstige Präsident Gamal Abdel Nasser, in Oberägypten unweit der Grenze zum Sudan fertigstellen ließ.

Der Tourismus hat länger unter den unsteten politischen Verhältnissen und islamistischen Attentaten gelitten. Doch dieses Jahr sollen erstmals seit 2011 wieder mehr als elf Millionen Urlauber Ägypten bereisen. Sie konzentrieren sich zu rund 80 Prozent auf die Küste des Roten Meeres von Hurghada, ein Ort, der von der Krise stark gezeichnet ist, bis in den Süden. Den Sinai meiden die meisten Urlauber immer noch wegen Bombenanschlägen wie zuletzt Ende 2017 etwa in Dahab oder in al-Rawda, wo über 300 Menschen vor einer Moschee getötet wurden. Zurzeit schützt ein großes Militäraufgebot den Sinai mit peniblen Kontrollen an unzähligen Checkpoints.

Der starke Wertverlust des ägyptischen Pfunds scheint vorerst gestoppt, doch sorgte dieser dafür, dass die Preise für Grundnahrungsmittel sich binnen weniger Jahre fast verdreifacht ­haben. Die meisten Ägypterinnen und Ägypter leiden darunter, der Kampf um bürgerliche Freiheiten wird da oft zur Nebensache. Ein Kilo Zucker kostet mittlerweile so viel wie in Deutschland, Rindfleisch ist längst ein Luxusgut, Milch auch fast. Der gesetzliche Mindestlohn erreicht noch keine 80 Euro monatlich, die Arbeitslosigkeit beträgt rund zehn Prozent. Bei jungen Erwerbsfähigen ist sie deutlich höher, und das bei einer im Durchschnitt sehr jungen Bevölkerung.

Auch die Pensionen reichten bei weitem nicht aus, erzählt der Kopte Adam K. in einem Teehaus in Kairo. Allein die Kosten für nötige Medikamente betrügen zehn Euro pro Woche, da bleibe nicht mehr viel übrig, sagt er und rührt in seinem Tee – mit frischer Minze, das sei ihm wichtig, betont K.

Über ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Die Slums von Kairo zählen zu den größten der Welt. An den Ausfahrten der größeren Städte zeigt sich das Elend. Von den Müllbergen der Millionenstädte zehren nicht nur streunende Hunde und Katzen, sondern auch Nutztiere wie Esel und Ziegen – und nicht zuletzt die Menschen.

 

Der Tradition entkommen

Um eine Familie mit mehreren Kindern zu ernähren, braucht es meist zwei ­Personen im Haushalt, die arbeiten. Das gibt den Frauen Ägyptens abseits der traditionellen Rolle der Hausfrau und Erzieherin vor allem in den Ballungsräumen mehr gesellschaftliches Gewicht und ökonomische Möglichkeiten. Der Kampf um mehr Frauenrechte bleibt im Überwachungsstaat unter ­al-Sisi jedoch schwierig, selbst wenn Ägyptens Feministinnen lange als Speerspitze der Bewegung im Nahen Osten galten. Mittlerweile gelten jene, die mehr Rechte einfordern, mitunter gleich als Staatsfeinde, wie jegliche Personen, die Kritik am status quo unter al-Sisi äußern. Erst Ende September wurde die Feministin Amal Fathy wegen eines Facebook-Beitrags, in dem sie über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung sprach, zu zwei Jahren Haft verurteilt.

In Kairo trägt die große Mehrheit der Frauen auf den Straßen ein Kopftuch. In Alexandria sind es weit we­niger. Ägyptens Mittelmeermetropole mit mehr als fünf Millionen Einwohnern wirkt weltoffener und weit europäischer. Hier sind Frauengruppen in typischen Teehäusern zwar immer noch selten anzutreffen, aber keine Aus­nahme­erscheinung wie in Luxor oder Assuan. Erini T. ist eine 22jährige kop­tische Christin aus Alexandria, die neben dem Pharmaziestudium in der ­Bibliothek von Alexandria als Führerin arbeitet und dank ihrer Schulausbildung fließend Englisch spricht. »Ich will an einer ausländischen Universität ein akademisches Jahr absolvieren oder ein postgraduales Studium«, sagt sie.

Viele junge Menschen teilen diesen Traum, vor allem die der oberen Mittel­schicht. Der 20jährige Mahmoud E. aus Kafr al-Dawar, einer Vorstadt Alexandrias, hat bereits einen Studienplatz für Medizin im fernen Osten Russlands. Ende Oktober bricht er dorthin auf.

Im Süden Ägyptens finden sich mehr Burkaträgerinnen, auch wenn die Vollverschleierung in Ägypten nicht üblich ist. Der Englischlehrer Nabil kommt aus der Mittelmeerstadt Marsa Matruh an der Grenze zu Libyen. Er arbeitet in der Oasenstadt Siwa und zeigt ein Foto seiner Frau – in einer Burka. Er fragt, ­warum sich so viele Europäer scheiden ließen. Er verstehe das nicht. So etwas wie eine Scheidung, auch wenn es in Ägypten die Möglichkeit gebe, gehe nicht einher mit den Prinzipien des Islam, betont er.

Viele junge Frauen halten von solchen Vorstellungen nichts. Amira K. ist 32 Jahre alt und lebt in Kairo. »Ein Kopftuch trage ich so gut wie nie«, sagt sie. Sie arbeitet als Tattookünstlerin sowie Beauty- und Fitnessberaterin in der Hauptstadt. Die beste Werbung für sie ist ihre Präsenz in sozialen Netzwerken, unverschleiert wohlgemerkt. Auch sie würde gern einmal ins Ausland ­reisen.

Ärmeren Menschen und Arbeiterinnen und Arbeitern geht es weniger ­darum, im Ausland neue Erfahrungen zu sammeln, sie wollen dort lieber Geld verdienen. Ägypten lässt seine Bürgerinnen und Bürger aber nicht einfach ziehen. Sie müssen schriftliche Einladungen, ausreichende Bankeinlagen und feste Zusagen von Stellen oder Ausbildungsplätzen vorweisen. Männer brauchen zudem einen Nachweis, dass sie ihren ein- bis dreijährigen Militärdienst abgeleistet haben oder davon freigestellt wurden.