Jeffrey Herf, Historiker, im Gespräch über die Grundlagen des Antisemitismus in den USA

»Ein Spiel mit dem Antisemitismus«

Jeffrey Herf ist Geschichtsprofessor an der Universität ­Maryland. Er forscht auf dem Gebiet der Geistes- und Kulturgeschichte Europas. Zuletzt beschäftigte er sich mit dem Antisemitismus der ost- sowie westdeutschen Linken. In der »Washington Post« stellte Herf in Frage, ob Trump überhaupt wisse, was Antisemitismus bedeutet. Mit der »Jungle World« sprach Herf über Verschwörungstheorien, die obsessive Beschäftigung mit Israel und die Rolle der Medien bei der ­Bekämpfung und ­Verbreitung von Vorurteilen und Hass.
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In einem Kommentar für die »Washington Post« nach dem Attentat in Pittsburgh schrieben Sie, Donald Trump verstehe – wie die meisten US-Amerikaner – nicht, was Anti­semitismus sei. Wie meinen Sie das?
Ich denke nicht, dass Donald Trump Anti­semit ist und beabsichtigt, den Juden zu schaden. Aber er versteht nicht, wie gefährlich verschwörungstheoretisches Denken ist. Schlimmer noch: Er setzt diese Art des Denkens gezielt ein, um die Ängste und Ressentiments seiner Wählerinnen und Wähler zu schüren. Er gibt den Leuten schlicht das, was sie wollen, und damit ist er sehr erfolgreich. Dadurch ist Trump daran ­beteiligt, in den USA ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Anti­semitismus – die weltweit populärste Verschwörungstheorie – immer mehr Fuß fasst.

Können Sie Beispiele für Trumps Umgang mit Verschwörungstheorien nennen?
Nehmen wir etwa den wirklich ekel­erregenden letzten Werbeclip aus Trumps Präsidentschaftswahlkampf 2016. Darin wird über »globale Macht­eliten« geraunt – im Zusammenspiel mit Fotos von prominenten jüdischen Persönlichkeiten wie George Soros, Lloyd Blankfein und Janet Yellen. Das war klar und deutlich ein Spiel mit dem Antisemitismus. Nazi-Propagandisten hätte dieser Clip wohl als zeitgemäßes Update ihrer eigenen Arbeit aus den dreißiger Jahren gegolten. Indem Trump rechte Verschwörungstheoretiker und ihre Medien unterstützt, verleiht er dieser paranoiden und brandgefährlichen Art zu denken eine zusätzliche Legitimation. Dazu kommt die mangelnde Kritik an antisemitischen Verschwörungs­theorien. Als etwa Neonazis in Charlottesville »Jews will not replace us« skandierten, sagte Trump öffentlich, unter den Demonstrierenden seien »sehr gute Leute« gewesen.

»Wir Juden stehen im Zentrum der prominentesten Verschwörungs-theorie: der jüdischen Weltverschwörung.«

Wie bewerten Sie Trumps öffentliche Reaktion auf das Attentat von Pittsburgh?
Nach einer Weile hat Trump mit den antisemitischen Motiven des Attentäters das Offensichtliche benannt, allerdings in kritikwürdiger Rhetorik: Antisemitismus sei, so Trump, etwas, von dem man »glauben könnte«, dass es »heutzutage nicht mehr existiert«. Um hiervon auszugehen, muss man jedoch sehr naiv und uninformiert sein über die Geschichte und Gegenwart des ­Judenhasses in den USA und auch weltweit. Immer noch wird viel zu häufig angenommen, der Antisemitismus sei mit der Niederlage Nazi-Deutschlands verschwunden.

Halten Sie eine breite Koalition ­gegen den Antisemitismus in den USA dennoch für möglich?
Wir alle, die Zivilgesellschaft und die politischen Entscheidungsträger, sollten uns schleunigst und intensiv damit ­beschäftigen, woher der Hass auf Juden kommt und wie er wirkungsvoll bekämpft werden kann. Auch aus der jüdischen Community in Pittsburgh werden Trumps Reaktionen auf das Attentat und sein Umgang mit Verschwörungstheorien deutlich kritisiert. Die Politiker der Republikanischen Partei hingegen tendieren meiner Wahrnehmung nach dazu, die Verbindung zwischen Trumps verschwörungstheoretischer Rhetorik und dem wachsenden Antisemitismus zu leugnen. Auch für viele Antirassisten ist der Hass auf uns Juden ein Rätsel.

Woran liegt das?
Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Juden nicht in die klassischen Denkschemata vieler Antirassisten passen: Da die Mehrheit der Juden in den USA keine schwarze Hautfarbe hat, gelten wir als weiß und damit nicht als Diskriminierte, sondern als Teil der diskriminierenden Mehrheitsgesellschaft. Dazu kommt die Ignoranz vieler linker Antirassisten über die Verbindungen zwischen Antisemitismus und Antizionismus, Angela Davis oder Linda ­Sarsour sind hierfür gute Beispiele. Wir müssen uns dringend darüber klar werden, warum so viele Menschen sich so obsessiv und mit zweierlei Maß an Israel abarbeiten und warum sie ein Problem damit haben, dass die Juden ­einen eigenen Staat haben.

Ist Ihnen im gesellschaftlichen Umgang mit dem Attentat auch Positives aufgefallen?
Dass die muslimische Community von Pittsburgh nach dem Attentat Geld ­gesammelt und ihre Unterstützung kundgetan hat und auch die Repräsentanten der dortigen protestantischen und katholischen Kirche ihre Solidarität, ihr Mitgefühl, ihre Wut und ihre Trauer ausgedrückt haben. Ich hoffe zudem ­darauf, dass die Spannungen zwischen den Minderheiten, wie sie etwa von der Bewegung »Black Lives ­Matter« und BDS-Initiativen verstärkt worden sind, in Zukunft zumindest intensiver diskutiert werden. Ich habe den Eindruck, seit der Wahl Trumps gibt es hier nicht nur negative Entwicklungen. Dazu hat auch die gute Presseberichterstattung infolge des Attentats beigetragen.

Wie meinen Sie das?
In den letzten Tagen ist die Arbeit von Journalisten der Washington Post, der New York Times, von CNN und National Public Radio besonders wichtig gewesen. Man setzte sich kritisch mit der Verbindung zwischen den Verschwörungstheorien von Trump und dem zunehmenden Antisemitismus in den USA auseinander. Minderheiten wurden dabei nicht gegeneinander ausgespielt. Ich selbst durfte dort auch einiges zur Debatte beitragen, wofür ich sehr dankbar bin. Es ist sehr wichtig, dass über den Journalismus wissenschaft­liche Erkenntnisse einem breiten Publikum bekannt gemacht werden. In den letzten Tagen war das möglich.

Nicht alle Mediennutzer dürften demgegenüber aufgeschlossen sein.
Natürlich gibt es Leute, die die genannten Medien pauschal als Teil des »korrupten Establishments« denunzieren. Das ist klassischer Antiintellektualismus und natürlich Teil des Problems, über das wir gerade sprechen. Viele Menschen lehnen es ab, auch mal längere Artikel, wissenschaftliche Bücher oder gedankenreiche Essays zu lesen. Statt dessen ziehen sie populistische Botschaften von Tweets und kurzen Videoclips vor. Das erschwert die ­Debatte, zumal sich im Internet extreme Stimmen besser finden und vernetzen können. Hasserfüllte politische Positionen finden online eine enorm große Community.

So wie im Fall des Attenttäters von Pittsburgh.
Allerdings. Er hatte in aller Öffentlichkeit getwittert, er werde nicht hinnehmen, dass die Hilfsorganisation Hebrew Immigrant Aid Society »Eindringlinge ins Land bringt«, und er werde nicht zusehen, wie »unser Volk abgeschlachtet« werde. »Alle Juden müssen sterben«, rief er dann, als er die Synagoge betrat. Wir Juden stehen nach wie vor im Zentrum der prominentesten Verschwörungstheorie: der jüdischen Weltverschwörung, die im Verborgenen die Strippen zieht und ­alles Ehrenwerte und Gute zersetzt. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie die einschlägigen Bibel-Interpretationen mit dem Hass auf Juden und auf Israel zusammenhängen. Beim Attentäter von Pittsburgh war der klassische rechte Antisemitismus am Werk, der seine Wurzeln in den antijüdischen Aspekten des Christentums und ihrer Säkularisierung in Form der nationalsozialistischen Verschwörungshteorien hat. ­Gegen diese und ähnliche paranoide und hochgefährliche Vorstellungen müssen wir entschieden vorgehen.