Alternative soziale Netzwerke geben Rechtsextremen eine Plattform

Open Source für Nazis

Die Nutzer alternativer sozialer Netzwerke wie Wrongthink oder Gab überbieten sich gegenseitig bei der Verbreitung von Antisemitismus. Auch der Attentäter von Pittsburgh nutzte derartige Plattformen im Netz.

Kaum war der Anschlag auf eine Pittsburgher Synagoge bekannt geworden, demonstrierten auf Alt-Right-Plattformen wie Breitbart bereits Tausende Nutzer, wie ernst die von den Betreibern gern zur Schau gestellte Solidarität mit Israel und den Juden zu nehmen ist. Neben Bemerkungen darüber, dass man hoffe, der Täter sei wenigstens ein »early voter« der Republikaner gewesen, fanden sich auch unverhohlene Freude über die jüdischen Toten, ­Holocaustleugnungen und die üblichen Verschwörungstheorien. Das Verhältnis der Alt-Right (der Name ist eine Reminiszenz an die Newsgroups, aus denen das frühe Internet bestand) zu Juden unterscheidet sich nicht wesentlich von dem einiger Linker. Wenn Juden sich als Kronzeugen für die eigene Ideologie instrumentalisieren lassen, werden sie auch von Anhängern anti­semitischer Verschwörungstheorien gern unter Verweis auf ihr Jüdischsein zitiert. Für rechte Islamhasser ist Israel das gelobte Land, solange es gegen Palästinenser vorgeht. Abgesehen davon haben sie aber, wie auch manche Antideutsche, kein Problem damit, Juden die Beschneidung oder das Schächten verbieten zu wollen.

Kurz vor dem Attentat kündigte Robert Bowers sein Vorhaben über Gab.com an. Das ist eine Art zensurfreies Twitter, das seit 2016 online ist und dessen Wettbewerbsvorteil darin besteht, dass rassistische und antisemitische Posts geduldet werden.

Wie der mutmaßliche Attentäter von Pittsburgh, Robert Bowers, zum anti­semitischen Terroristen wurde, ist nicht bekannt. Auch wenn er Donald Trump als »jüdisch beeinflusst« ablehnte, dürfte ihm nicht entgangen sein, wie oft der US-Präsident gegen die sogenannten Globalisten hetzt – ein Wort, das in der Alt-Right oft als Synonym für Juden verwendet wird. Bowers wusste vermutlich auch, dass Trump im vorigen Jahr unter den judenfeindliche Parolen rufenden Teilnehmern der »Unite the right«-Demonstration in Charlottesville »sehr gute Menschen« ausgemacht hatte.

Sicher ist hingegen, dass Bowers in sozialen Netzwerken keinen Hehl aus seinem Antisemitismus machte. Kurz vor dem Attentat kündigte er sein Vorhaben über Gab.com an. Das ist eine Art zensurfreies Twitter, das seit 2016 online ist und dessen Wettbewerbsvorteil darin besteht, dass rassistische und antisemitische Posts geduldet werden. Wer in anderen sozialen Netzwerken wegen Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus gesperrt wird, kann bei Gab ungestört weiter haten. Die Folge ist ein Sammelsurium an Hassnachrichten, Beleidigungen und Widerlichkeiten aller Art. Bei der Suche nach Bowers Motiv geriet die Plattform ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Ihr Betreiber ­Andrew Torba hat den Anschlag zwar umgehend verurteilt und mitgeteilt, dass man mit dem FBI zusammenarbeite, aber Firmen wie Paypal und Microsoft kündigten ihre Zusammenarbeit dennoch fristlos auf. Dass Bowers ein fanatischer Antisemit ist, hätte bei Gab nämlich bekannt sein können. Der Mann, der in seinem Profil verkündete, Juden seien »die Kinder Satans«, hatte ein verifiziertes Gab-Konto.

Torba ist die prominente Führungsfigur der sogenannten Alt-Tech-Bewegung in den USA, die sich gegen vermeintliche Zensur und für ihre Version der Meinungsfreiheit im Internet ­engagiert. Sie war von Torba im vorigen Jahr bekannt gemacht worden, als der Google-Manager James Damore nach einem sexistischen Memo über Frauen in der Tech-Branche fristlos entlassen worden war. In zahlreichen Interviews hatte Torba daraufhin von einer »Alt-Tech-Revolution« geschwärmt, die unmittelbar bevorstehe, weil rechte ­Mitarbeiter nicht länger schwiegen und die Vormachtsstellung der politisch korrekten, großen Firmen des Silicon Valley mit eigenen Projekten zu beenden planten. Neben Gab gibt es bereits ein rechtes Facebook namens Wrong­think, Voat als Alternative zu Reddit und Pewtube als Alt-Youtube. Mehrheitlich basieren diese Plattformen auf Open-Source-Software.

Torba ist in der rechten Szene gut vernetzt. Er ließ sich von dem rechten Verschwörungsideologen Alex Jones ­interviewen und trat gemeinsam mit dem ehemaligen Breitbart-Redakteur Milo Yiannopoulos auf. Noch kurz vor dem Anschlag auf die Synagoge gab er Breitbart ein Interview, in dem er in Anlehnung an die in Charlottesville von Nazis gerufene Parole »Jews will not replace us« an die großen Tech­firmen gerichtet verkündete: »You will be replaced.« 670 000 User habe ­seine Plattform bereits, sagte er, jeden Monat kämen 100 000 dazu. Im Juli hatte Trumps derzeitiger Wahlkampfmanager und früherer Digitalstratege Brad Parscale auf Twitter einen Dialog mit Torba geführt. »Ich bin nicht ­gegen Gab«, hatte er geschrieben, »ich möchte nur eine iPhone-App dafür ­haben. Ich bin sehr für etwas, das Twitter ersetzt«, denn das sei ihm viel zu links.

 

Für Gab läuft es dennoch nicht rund. Bereits im Sommer hatte das Unternehmen große Probleme. Prominente wie Yiannopoulos hatten monatelang nichts gepostet, 43 Prozent der User folgen niemandem, außerdem hatte ­Microsoft Gab gezwungen, einen antisemitischen Userbeitrag zu löschen. Nach dem Attentat von Pittsburgh ging die Plattform sogar kurzfristig offline, der Provider hatte ihr gekündigt. Erst am Sonntag war Gab wieder online. Als Registrar hatte sich ein Unternehmen namens Epik gefunden. Torba kündigte den Neustart ausgerechnet mit einer Nachricht an, die erstaunliche Parallelen zu Bowers’ Ansichten aufweist. Der hatte sich nämlich auf Gab mehrmals gegen populäre Verschwörungstheorien wie Pizzagate und Qanon ausgesprochen, vermutlich, weil sie nicht vorrangig antisemitisch sind. Torba schrieb nun: »Ich würde laut loslachen, wenn die Pizzagate-Anhänger von Twitter verbannt würden und dann keine Plattform mehr hätten. Würde sich dann überhaupt noch jemand um das kümmern, was sie sagen? Ver­mutlich nicht. Jeder mit einem IQ über 85 weiß ohnehin, dass Pizzagate Betrug ist.«

Bei Gab firmiert der Hass unter Meinungsfreiheit. Und so herrschte eine Stunde, nachdem die Plattform wieder online war, business as usual. Unter ­einem Foto von blonden Kindern postete ein Nutzer: »Das ist es, was die ­Juden zerstören wollen.«

Dass die Qanon-Verschwörungstheorie von Alt-Rightlern wie Breitbart und Alex Jones’ Infowars abgelehnt wird, ist nicht weiter verwunderlich. Zum einen ist das Verbreiten von Hass und Hetze ein Konkurrenzgeschäft. Die Einnahmen in Millionenhöhe möchte man nicht mit anonymen Konkurrenten ­teilen, auf deren Botschaften man keinerlei Einfluss hat. Zum anderen hat Qanon zwar in nur wenigen Monaten weltweit Zigtausende Fans und Unterstützer gewonnen, die die kryptischen Botschaften von der bevorstehenden Inhaftierungs- und Hinrichtungswelle unter der globalen Elite verbreiten. Aber die Qanon-Massen werden sich nicht unendlich lange mit Versprechungen hinhalten lassen. Seit einem Jahr wird ihnen immer wieder ver­sichert, dass Hillary Clinton und Barack Obama nun aber wirklich ganz bestimmt bald in Handschellen nach Guantanamo Bay gebracht würden. Doch immer wieder verstreicht der genannte Termin ohne die ersehnten Bilder von Soldaten, die demokratische Politiker und liberale Journalisten abführen.

Torba hat mit seiner Pizzagate-Bemerkung einen Punkt getroffen: Die von der Alt-Right so gehassten, angeblich zensierenden Marktführer wie Twitter und Facebook unternehmen noch immer kaum etwas, um Hass und Hetze zu unterbinden. Vor allem antisemitische Karikaturen und Drohungen werden oft nur so gesperrt, dass sie lediglich für deutsche Nutzer nicht mehr sichtbar sind. Nachdem am vergangen Wochenende eine Synagoge in Brooklyn mit judenfeindlichen Sprüchen beschmiert wurde, schaffte es eine der Parolen als Hashtag #Killalljews bei Twitter in die US-Toptrends.

Bei Gab firmiert der Hass unter Meinungsfreiheit. Und so herrschte eine Stunde, nachdem die Plattform wieder online war, business as usual. Unter ­einem Foto von blonden Kindern postete ein Nutzer: »Das ist es, was die ­Juden zerstören wollen.« Ein anderer forderte: »Betet für alle die Weißen, deren Nationen langsam von den Juden und ihren Importen aus der Dritten Welt zerstört werden.« Das seien sicher nur Provokateure, hieß es dazu bei Gabs Registrar Epik. Mit dem US-amerikanischen Alt-Rightler Christopher Cantwell hatte sich auch wieder ein verifizierter Account mit einem Kommentar eingefunden, der auf der Seite als »popular post« angezeigt wurde. »Hey Juden, wir sind wieder zurück auf Gab. Danke für das Presseecho, sehr bald wird der Durchschnittsbürger herausfinden, dass wir alle diese Probleme nicht hätten, wenn ihr abwesend wärt«, schrieb er. Bei der rechten ­Demonstration in Charlottesville 2017, wo es zu einem tödlichen Angriff auf die Gegendemonstrantin Heather Heyer kam, war Cantwell dabei gefilmt worden, wie er Gegendemonstranten attackierte. Anschließend wurde er als der »crying Nazi« landesweit bekannt: Unter Tränen sagte er, unschuldige Nazis würden von ihren blutrünstigen Gegnern tyrannisiert.