Die Entwicklungen im Mordfall Khashoggi in der Türkei

Politik der Enthüllungen

Im Mordfall Jamal Khashoggi inszeniert sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Wächter von Rechtsstaatlichkeit. Unterstützung erfährt er dabei durch einen Kolumnisten der Tageszeitung »Hürriyet«.

Die türkischen Medien beschäftigen sich weiterhin mit dem Mord an ­Jamal Khashoggi. Besonders eifrig dabei ist ein Kolumnist der Tages­zeitung Hürriyet, Abdulkadir Selvi, der seit dem 22. Oktober regelmäßig Nachrichten der Istanbuler Staatsanwaltschaft veöffentlicht. Selten wurde so ausführlich über die Aufklärung eines Journalistenmordes in der Türkei berichtet. Selvi schrieb am 31. Oktober, die türkischen Behörden hätten gemeinsam mit dem saudischen Generalstaatsanwalt Saud al-Mujib Videoaufzeichnungen ausgewertet, die türkische Seite sei aber misstrauisch geworden, als al-Mujib darauf bestand habe, eine ­Kopie der Audioaufnahmen zu erhalten, auf die die türkischen Behörden ihre Anschuldigungen stützen. Die türkischen Behörden verweisen ihrerseits darauf, dass sich der saudische Staatsanwalt weigert, Angaben zum Verbleib der Leiche zu machen.

Al-Mujib war am 28. Oktober in Istanbul eingetroffen und hatte mehrere Gespräche mit dem obersten Staatsanwalt von Istanbul, İrfan ­Fidan, geführt, bevor er das saudische Konsulat im Viertel Levent inspizierte. Die regierungsnahe Demirören News Agency berichtete, al-Mujib habe die Türkei verlassen, nachdem er am 31. Oktober das Istanbuler Büro des türkischen Geheimdiensts MİT besucht hatte.

Abdulkadir Selvi streicht die Rolle Erdoğans bei der Aufklärung des Mordes an Khashoggi heraus, als gelte es, die türkische Regierung für den nächsten Friedens­nobelpreis vorzuschlagen.

Khashoggi, ein Kolumnist der ­Washington Post und Kritiker des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, wurde im Konsulat getötet, als er dort am 2. Oktober ­Dokumente für seine bevorstehende Heirat mit einer türkischen Staatsbürgerin ­abholen wollte. Nach tagelangem Dementierten hatte Saudi-Arabien am 25. Oktober zugegeben, dass der Journalist bei seiner Festnahme in dem Gebäude getötet worden war.

Jetzt hat sich der türkische Chef­ermittler İrfan Fidan offiziell zu den Todesumständen Khashoggis geäußert: Der Journalist sei nach Betreten des Konsulats in Istanbul erwürgt worden, seine Leiche hätten die Täter zerstückelt und entsorgt. Damit widdersprach Fidan Darstellungen, es habe sich um einen Unfall ­infolge eines Kampfes gehandelt. Der türkische Präsident Recep ­Tayyip Erdoğan hatte bereits eine Woche zuvor von einem »geplanten« und ­»politischen« Mord gesprochen, ohne auf die näheren Umstände einzugehen.

Das Zusammenspiel von Politik, Justiz und Medien ist im Fall Khashoggi offenkundig. Auch die Tageszeitung Hürriyet, die mitlerweile zum regierungsnahen Konzern Demirören gehört, spielt dabei eine ­gewichtige Rolle, insbesondere deren Journalist und Buchautor Abdulkadir Selvi. Nach dem vereitelten Militärputsch im April 2016 war Selvi, dem enge Kontakte zur AKP nachgesagt werden, von der regierungstreuen Tageszeitung Yeni Safak zu Hürriyet gewechselt. Eine Personalie, die als weiteres Zeichen für eine Annäherung des Hürriyet-Verlegers Aydın Doğan an die regierende AKP gedeutet wurde.

Selvi streicht in seinen Kolumnen die Rolle Erdoğans bei der Aufklärung des Mordes an Khashoggi heraus, als gelte es, die türkische Regierung für den nächsten Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Der Präsident inszeniert sich unterdessen als ­Hüter der Menschenrechte und forderte, dass die 18 in Saudi-Arabien festgenommenen Verdächtigen in der Türkei vor Gericht gestellt werden.

Regierungssprecher Ömer Çelik verkündete am 31. Oktober: »Der Präsident der Republik wird nicht zu­lassem, dass dieser gemeine Mord vertuscht wird. Diese Tat kann nur von höchster Stelle befohlen worden sein. Wir werden das aufklären.« ­Selvi fragte in seiner Kolumne: »Warum hat der saudi-arabische Staats­anwalt seinen türkischen Kollegen das Wissen über den Fundort der Leiche verheimlicht? Vielleicht hat er die Türkei besucht, um den Mordfall nicht zu lösen, sondern um den Kronprinzen zu retten.«

Der Skandal um den Mord an Jamal Khashoggi kommt der türkischen Regierung nicht ungelegen, schließlich fanden etwa zur selben Zeit ­Gespräche über die Zukunft Syriens statt. Wenig Beachtung findet der Umstand, dass die Türkei erneut in Syrien vor allem gegen die Kurden vorgeht. Die Weltöffentlichkeit staunt unterdessen über die hartnäckige und tadellose Arbeit der türkischen Justiz. Dabei treibt İrfan Fidan als Generalstaatsanwalt ansonsten Ermittlungsverfahren und Prozesse ­gegen Oppositionspolitiker und Journalisten voran. Ein hochrangiger ­türkischer Beamter sagte der Nachrichtenagentur AFP am 31. Oktober, dass saudi-arabische Beamte offenbar nicht gewillt seien, »wirklich« mit der Türkei zusammenzuarbeiten. »Die saudischen Beamten schienen in erster Linie daran interessiert zu sein, welche Beweise die türkischen Behörden gegen die Täter hatten«, erzählte der Beamte im Schutz der ­Anonymität. »Wir hatten nicht den Eindruck, dass sie eine echte Zu­sammenarbeit bei der Untersuchung wollten.«

Immerhin wurde Fidan von seinem Amtskollge al-Mujib nach Saudi Arabien eingeladen. Eine Einladung, der er wohl nicht nachkommen wird, da Erdoğan hartnäckig eine Auslieferung der Täter in die Türkei fordert. Erdoğan machte zudem die saudische Regierung für die ­Tötung des Journalisten direkt verantwortlich. Der Befehl, Khashoggi zu töten, sei von den »höchsten Ebenen« der saudischen Regierung gekommen.

Der Mord an Khashoggi und seine Hintergründe bieten Anlass zu vielen Spekulationen. Nicht nur, dass sich die saudische Seite weigert, Fragen über den Verbleib von Khashoggis Leiche zu beantworten und die Identität des türkischen Mitarbeiters preiszugeben, der sich nach saudischer Darstellung um die Beseitigung des Leichnams gekümmert haben soll. Auch die türkische Regierung weigert sich, die Quelle ihrer Beweise offenzulegen und Auskunft über die Tonaufnahmen zu geben, über die sie angeblich verfügt.

Oppositionsführer Kemal Kılıçda­roğlu von der Republikanischen Volkspartei (CHP) vermutet ein Komplott. Solch ein Mord könne nicht ohne Wissen des türkischen Präsidenten verübt werden. Belege für seine Behauptung lieferte er nicht.

Überhaupt hat sich so manche Spekulation inzwischen als haltlos ­erwiesen, etwa die Darstellung der Journalistin Melanie Phillips. Die aus dem Ausland berichtende Nachrichtenplattform Ahval zitiert ausführlich aus einem Artikel Phillips’ von der Nachrichtenagentur Jewish News Syndicate, der betont, dass Khashoggi dem saudischen Geheimdienst ehemals zugearbeitet habe und ein Unterstützer des dortigen Systems sei. Das Bild eines fortschrittlichen Säkularisten sei ganz falsch, dies beweise schon Khas­hoggis Nähe zur türkischen Regierung. Kashoggis Verlobte ist die Tochter eines früheren Berater Erdo­ğans. Seine Kritik am Kronprinzen und seine Nähe zu Katar und der Türkei seien der saudischen Führung ein Dorn im Auge gewesen. Seine geplante Heirat mit einer türkischen Diplomatin aus dem Umfeld der AKP sei eine Gelegenheit gewesen, seiner habhaft zu werden. Die aus Saudi-Arabien angereisten Agenten ­hätten Khashoggi nicht umbringen, sondern entführen sollen. Nach Betreten des Konsulates habe man ihm ein ­Betäubungsmittel verabreicht und es fehldosiert, deshalb sei der Journalist gestorben. »Er war schon 60, über­gewichtig, das hat sein Körper nicht ausgehalten.« Als Quelle für diese abstruse Theorie werden »wohlinformierte Kreise« genannt.
Aufklärung sollte man sich allerdings weder von ungenannten Quellen noch von der türkischen Regierung erwarten, denn alles, was dereit von der türkischer Justiz über die Medien lanciert wird, muss man als Teil der türkischen Regierungspolitik verstehen.