Unter Druck

Die gerichtliche Aufarbeitung des Abgasskandals macht Fortschritte. Am 1. November trat in Deutschland das Gesetz zur Musterfeststellungsklage in Kraft. Dieses ermöglicht es Einzelpersonen, via Verbände zu klagen. Noch am selben Tag reichte ein Bündnis, bestehend aus Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) und ADAC Klage gegen die Volks­wagen AG ein. Die systematische Manipulation von Abgaswerten hatte die US-Umweltschutzbehörde United States Environmental Protection Agency (USEPA) im September 2015 publik gemacht. Zum Zeitpunkt der Enthüllung war Herbert Diess Vorsitz­ender des Markenvorstands Volkswagen PKW. Seit April 2018 ist er zusätzlich Vorstandsvor­sitzender der Volkswagen AG. Außer US-Gerichten sitzen Diess seit Anfang September die eigenen Aktionärinnen und Aktionäre im Nacken. Sie ­fordern vor dem Braunschweiger Oberlandesarbeitsgericht (OLG) vier Milliarden Euro Schadensersatz und Diess wird der Marktmanipulation verdächtigt.

Der größte Autokonzern Europas weigerte sich bislang, Betroffene der Manipulationen zu entschädigen. CDU und CSU befürchten nun, dass VW »ausgesaugt« werden könnte, wie es ihrer Meinung nach in den USA geschieht. Dort gibt es die Möglichkeit, sogenannte Sammelklagen einzureichen. Im Unterschied zur Musterfeststellungsklage klagen dabei die Betroffenen selbst. Erhalten sie recht, kann das Urteil sogar von weiteren Betroffenen geltend gemacht werden. Das öffentliche Interesse am Dieselskandal sowie die hohe Anzahl der Involvierten veranlassten das OLG Braunschweig gar zum Umzug in die Braunschweiger Stadthalle. Das Instrument der Musterfeststellungsklage belebt das juristische Gewerbe.

Über die Dauer und Erfolgsaussichten der Musterfeststellungsklage von ADAC und Vzbv kann derzeit lediglich spekuliert werden. In ernsthafte Bedrängnis ­werden Diess und seine Volkswagen AG aber kaum kommen. Schließlich erzielten sie 2017 schon wieder Milliardengewinne. Die Abgasbelastung, die einigen Studien zufolge zu Tausenden Toten pro Jahr führen soll, wird sich dadurch nicht verringern. Ein Rechtsunternehmen will nun auch eine Musterklage gegen verantwortliche Autohersteller anstrengen, um diese für durch Abgase entstandene Gesundheitsschäden haftbar zu machen.