Anna Veronika Wendland, Vorstand von Nuklearia e.V., im Gespräch über Atomenergie und das militärische Interesse autoritärer Regimes an dieser

»Bei autoritären Regimen ist Kernkraft beliebt«

Seit fast zehn Jahren hat Deutschland seine CO2-Emissionen nicht verringert. Die offiziell angestrebten Klima­schutzziele sind kaum noch erreichbar. Anna Veronika Wendland ist Osteuropa- und Technikhistorikerin am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg. Sie leitet Projekte zur Umwelt-, ­Konflikt- und Sicherheitsgeschichte und arbeitet ehrenamtlich als Vorstandsmitglied von Nuklearia e.V. Sie setzt sich für eine neue und sichere Form der Nuklearenergie ein.
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Atomkraft wird für die Energie­gewinnung immer irrelevanter. Weshalb setzt sich Ihr Verein dennoch für eine Nutzung ein?
Sie wird momentan auf Grundlage ­­einer politischen Entscheidung für Deutschland irrelevanter. Weltweit aber ist das nicht so. Wir stehen angesichts des Klimawandels vor völlig neuen Fragen. Wir sollten daher alle Möglichkeiten ausschöpfen, die zur Verfügung stehen, um für eine moderne, sichere und CO2-arme Stromversorgung zu sorgen. Deswegen müssen wir über moderne Kernenergie diskutieren, so wie das andere Länder auch tun.

Das Potential der Atomkraft, den Klimawandel zu stoppen, ist aber nicht besonders hoch.
Die Frage, ob ein Aufhalten des Klimawandels technisch in kurzer Zeit machbar ist, ist berechtigt, allein mit Blick auf die Errichtungskosten und die Bauzeiten von Kernkraftwerken. Wir ­haben auch nicht die Vorstellung, dass man die Welt mit Kernenergie retten kann. Aber sie kann im Verbund mit anderen Technologien eine Lösung sein, um Stromversorgungssysteme komplementär auszurichten. Das heißt, die Stromversorgung nuklear und erneuerbar zu gestalten.
Da wird hierzulande leider ein ­gegenseitiges Ausschlussverfahren propagiert. Auf der einen Seite gibt es in Deutschland viele Befürworter von Atomkraft, die im Grunde die achtziger Jahre zurückhaben wollen, mit Kohle- und Atomstrom. Das ist heute, angesichts des Klimawandels, natürlich ­keine Lösung mehr.

Andererseits gibt es jene, vor allem im grünen Milieu, die eine Energieversorgung allein mit erneuerbaren Energiequellen für ­möglich halten. Das wäre aber nur unter einer Voraussetzung möglich: man müsste die global verflochtene ­Industriegesellschaft abschaffen und eine radikale Relokalisierung von Wertschöpfungsketten und Mobilität betreiben. Das läuft letztlich auf eine rückwärts gewandte Öko-Utopie hinaus, die auch hinter Konzepte wie »green growth« zurückfällt. Das halten wir schon mit Blick auf einen globalen ­Lösungsansatz nicht für erstrebenswert. Gäbe es allerdings eine verwertbare Speichertechnik, müsste man neu diskutieren. Aber da sehe ich momentan keinen Durchbruch.

Auf den Schlachtfeldern in Syrien, dem Irak und im Jemen hat der Iran Dutzende Gründe geliefert, das Nuklearabkommen zu hinterfragen.

Ein großes Problem besteht in den unzureichenden Sicherheitskonzepten. Ist Atomkraft nicht schlicht zu gefährlich?
Im Vergleich der Stromerzeugungssysteme, vor allem im Vergleich zu Kohlestrom und Wasserkraft, steht die Kernenergie mit Blick auf menschliche Opfer pro produzierter Kilowattstunde erstaunlich gut da. Sie ist zweifelsohne die am höchsten »versicherheitlichte« Industrie, die wir haben. Abgesehen davon sind wir nicht unter allen Umständen für Kernenergienutzung.

Denn nicht überall kann man so ein großtechnisches System auch sicher betreiben. Selbst in einem Hightech-Land wie Japan mussten wir nach ­Fukushima feststellen, dass die innere Verfassung der japanischen Atomwirtschaft erstaunliche Parallelen zur sowjetischen Atomwirtschaft in der Zeit von Tschernobyl hatte.

In beiden Fällen gab es keine ausreichende strukturelle Trennung von Aufsichtsorganen und Betreibern. In beiden dominierte ein System von Befehl und Gehorsam und Gesichtswahrung, das eine hinter­fragende Grundhaltung erschwerte. Wissen über Fehler und Mängel wird in solchen Systemen nicht angemessen weitergegeben. Beides – Selbstkritik und gut organisierte Wissensweitergabe – gehört aber zu den Grundvoraussetzungen einer funktionierenden ­Sicherheitskultur.

Man kann nicht pauschal aufgrund eines schweren Unfalls in einem Land auf andere Standorte rückschließen – zum Beispiel von Tschernobyl und ­Fukushima auf die Sicherheitskultur der deutschen oder schweizerischen Anlagen.

Müsste auch die Nuklearenergie der Zukunft wieder so hoch sub­ventioniert werden, wie das bisher der Fall war?
Keine neuartige Form der Energiewirtschaft wurde ohne staatlichen Einfluss etabliert. Hätte der Staat in Deutschland da in der Anfangsphase nicht kräftig nachgeholfen, hätten wir heute keine Kernenergie. Auch in der Entsorgung engagiert sich der Staat. Aber im Gegenzug bekamen wir auch Anlagen, die mit enorm hoher Ver­fügbarkeit Strom produzierten, und die anders als die »Erneuerbaren« nie per Umlage auf den Strompreis finanziert werden musste. Damals wurden vor allem Forschung und einzelne Kraftwerks­projekte staatlich gefördert. Die »Erneuerbaren« hingegen liefern, trotz starker Förderung, nach wie vor kaum gesicherte Leistung, also das, was für eine stabile Stromversorgung von zentraler Bedeutung ist.

In den Ländern, die Atomenergie nutzen, werden die Programme oft militärisch querfinanziert. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Viele Atomwirtschaften beziehen ihre Tradition aus der militärischen Nutzung. Das betrifft alle großen Atomwaffenstaaten. Dort gab und gibt es überall einen enorm hohen personellen und materiellen Verflechtungsgrad mit dem militärischen Sektor. Gerade bei staatlich geführten Atomwirtschaften ist das immer noch so. Im Fall von Russland haben wir es da mit einem einzigen großen Staatskonzern zu tun, der den kompletten Brennstoffzyklus unter sich hat.

Auch die Türkei, Jordanien und Weißrussland bauen momentan Atomkraftwerke. Müssen wir auch hier mit einer Verflechtung von ­zivilen und militärischen Interessen rechnen?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Denn wenn ein Staat nach der Bombe greift, dann ist der Leistungskernreaktor ein eher umständlicher und teurer Weg dahin. Wer die Bombe will, geht den Weg über Urananreicherung wie der Iran oder über spezielle Reaktoren zur Produktion von ­Plutonium. Die Länder, die heute eine zivile Kernenergiewirtschaft auf­bauen wollen und sich der Prolifera­tionskontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation unter­werfen, versuchen aber vom kulturell produzierten Mythos der Kernenergie zu profitieren: vom Mythos der nationalen Größe durch Beherrschung einer komplexen Technologie. Bei autoritären Regimen ist die Kernkraft beliebt: Man ist wer, wenn man die Kerntechnik beherrscht. Dieses Motiv ist bei den Regimen in Weißrusslandund der Türkei, die heute eine Kernenergierwirtschaft neu aufbauen, neben den ­rationalen Gründen – wie beispielsweise die Erreichung von Klima­zielen –, ein sehr ernstzunehmendes.