Donald Trump droht mit der Kündigung eines Vertrags zur atomaren Abrüstung

Die Renaissance der Atomrüstung

Im Oktober hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, aus einem wichtigen Atomabrüstungsvertrag mit Russland auszusteigen. Ein neues atomares Wettrüsten könnte die Folge sein.

Bob Woodward, Inbegriff des liberalen US-amerikanischen Journalismus, hält seinen Präsidenten für einen Idioten. Sein neues Buch hat er »Fear« genannt. Donald Trump behaupte sich nur deswegen an der Macht, weil er sich auf das Geschäft mit der Angst verstehe. Wenn man betrachte, wie er in normalen Zeiten operiere, resümiert Woodward, »dann gnade uns Gott, wenn er eine Krise meistern muss«. Trump, der das Buch als eine Ansammlung von Lügen bezeichnete, versteht Woodwards Bedenken nicht als Warnung, sondern als Ansporn. Was kann er noch tun, um die Krise zu befeuern?

Trump scheint an einer regelrechten Allergie gegen Abkommen, Diplomatie und internationale Zusammenarbeit zu leiden. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Oktober kündigte er an, den Vertrag zur Regulierung von atomar bewaffneten Mittelstreckenraketen zu kündigen – weil Russland bereits dagegen verstoßen habe.

Der Nahe Osten könnte bei einer künftigen Stationierung von Atom­raketen eine zentrale Rolle spielen.

Zu den ersten Taten seiner Amtszeit gehörte der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen mit der haltlosen Begründung, es gebe keinen Klimawandel und wenn doch, dann sei er nicht von Menschen verursacht. Im nächsten Akt drohte Trump Nordkorea mit »Feuer und Zorn«. Via Twitter ließ er dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong-un ausrichten, »dass auch ich einen Atomwaffenknopf habe, aber er ist viel größer und mäch­tiger als seiner, und mein Knopf funktioniert!«

Dann war das Atomabkommen mit dem Iran an der Reihe, Trump zufolge der »schlechteste Deal aller Zeiten«. Die Begründung, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm nicht aufgegeben habe, war zwar nicht haltlos – aber unbewiesen. Daran änderte auch der Beitrag des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu nichts, der wenige Tage zuvor die Erbeutung eines iranischen Atomarchivs durch den Geheimdienst Mossad bekannt gegeben hatte. Netanyahu präsentierte im israelischen Fernsehen ein Dutzend Folien von angeblich 50 000 Dokumenten in israelischem Besitz. Diese betrafen allerdings ira­nische Aktivitäten vor dem Abschluss des Atomabkommens. Das entspricht 0,02% der erbeuteten Informationen und die betrafen iranische Aktivitäten vor dem Abschluss des Atomabkommens. Die Auswertung der restlichen 99,98% der Dokumente hat möglich­erweise weitere Erkenntnisse zutage gefördert.

Schließlich ist der Vertrag über die Begrenzung atomarer Mittelstreckenraketen (Intermediate Nuclear Forces –, INF) zum Gegenstand Trump’scher Kündigungswut geworden. Das Abkommen wurde im Dezember 1987 von ­Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnet und beendete eine achtjährige erbitterte Auseinander­setzung zwischen den Regierungen der Nato-Staaten und der westeuropäischen Friedensbewegung, die mit häufig sechsstelligen Teilnehmerzahlen Demonstrationen, Menschenketten, Mahnwachen und Blockaden gegen die Nuklearrüstung organisierte. Insbesondere die frisch gegründeten grünen Parteien erhielten dadurch Zuspruch, der sie bald in die Parlamente hievte.

Dass Politiker, die sich als Führer ihrer Nation ansehen, sich durch Aufrüstung profilieren, folgt einer fast schon naturgesetzlichen Logik. Der militärisch-industrielle Komplex, der sie zu dem gemacht hat, was sie geworden sind, fordert seinen Tribut. In den Augen seiner Wähler würde Trump eine jämmerliche Figur abgeben, böte er nicht etwas Ähnliches an, wie Ronald Reagans »Krieg der Sterne« (SDI) oder George Bushs war on terror. Dann kann sich der abgehängte, unverstandene, sozial benachteiligte und kulturell beschädigte weiße Mann, der unter den Hypotheken für sein Eigenheim leidet und die Raten für seinen SUV abstottert, zufrieden in den Sessel fallen lassen. Krankenversicherung? Können die Russen gut gebrauchen, wenn sie Bekanntschaft mit unseren Raketen machen.

 

Jenseits der nationalistischen Motive von Größe, Stärke und Überlegenheit gibt es allerdings ein anderes, weniger ideologisches Motiv für Trumps Widerwillen gegen Entspannung. Die Arsenale der Atommächte veralten, auch aus technischen Gründen. Das Plutonium, mit dem die Sprengsätze meist schon vor Jahrzehnten befüllt wurden, unterliegt physikalischen Prozessen. Mit der Zeit büßt es ­seine Reinheit und damit auch seine zuverlässige ­Explosionskraft ein. Das Thema wurde lange aufgeschoben oder vernachlässigt, bis die Militärs feststellten, dass es ein Problem gibt. Möglicherweise kann der Feind nicht mehr 20mal vernichtet werden, sondern nur noch 19mal. Die Abschreckung ist in Gefahr, der Overkill wird immer kleiner.

Diese Situation nutzen die Militärstrategen, um nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Wenn schon neues Plutonium für Bomben, dann auch eine Verdoppelung der Zahl der Sprengköpfe pro Rakete, Optimierung ihrer Zielsteuerung, Verminderung ihres Gewichts, schnellere Cruise Missiles, neue strategische U-Boote und so weiter. Und dann soll auch eine Modernisierung der nuklearen Logistik, Erneuerung der Schnellen Brüter, Wiederaufarbeitungsanlagen, Schiffsreaktoren, Bombenlabors her. Astronomische Summen machten in Militärkreisen die Runde. Gegen Ende von Barack Obamas Amtszeit als Präsident schätzte das Congressional Budget Office, dass die Modernisierung des Atomarsenals zwischen 2015 und 2024 etwa 350 Milliarden Dollar kosten werde. Trump verdreifachte diesen Betrag. Eine Billion war auch die Summe, von der das Pentagon von Anfang an ausging. Großbritannien und Frankreich kalkulieren ungefähr mit einem Zehntel dieser Summe.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt vollzieht sich eine Renaissance der Atomwaffen. Ihre Modernisierung ist in Ost und West beschlossene Sache und wird gigantische Summen verschlingen, die an anderer Stelle, wo man sie dringend braucht, fehlen werden. Um diese Absurdität, die eigentlich ein Verbrechen ist, zu rechtfertigen, bedarf es eines handfesten Konflikts, einer drohenden Gefahr und eines gemeinen Feindes. Den Vorwand lieferte Russland freiwillig: dazu ist Putin allemal bereit.
In einer Rede an die Nation stellte Präsident Wladimir Putin Ende Februar neue Raketentypen vor, die kein anderes Land besitze und die mit herkömmlichen Mitteln nicht abzufangen seien. So antworte Russland auf die Abwehrsysteme, welche die USA stationiert hätten. In der ihm eigenen, leicht spöttischen Art nahm Putin auf die geplanten US-Rüstungsanstrengungen Bezug und gab zu verstehen, dass Russland mit seinen Projekten schon weiter sei.

Doch es geht nicht nur um Ankündigungen und verbale Attacken. Russland wie auch die USA setzten im Syrien-Krieg Cruise Missiles mit konventionellem Sprengstoff ein, die aus den Entfernungen abgeschossen wurden, um die es im INF-Vertrag geht. Der Nahe Osten könnte auch bei einer künftigen Stationierung von Atomraketen eine zentrale Rolle spielen. Ähnliches gilt für den Korea-Konflikt. Dort werden die Entspannungsschritte, die von den Präsidenten Süd- und Nordkoreas, Moon Jae-in und Kim Jong-un kürzlich beschlossen wurden, von den USA misstrauisch beäugt. Sie beschweren sich über chinesische Mittelstreckenraketen, die sie mit einiger Berechtigung mehr fürchten als Kims angebliche Wasserstoffbombe. Hier sieht das US- Militär, das in Südkorea und der Region stark und natürlich auch nuklear präsent ist, Nachholbedarf.

Anders als in den achtziger Jahren sollte der Konflikt um INF also nicht nur aus einem europäischen Blickwinkel betrachtet werden, obwohl sich Polen und Litauen anscheinend bereits für Stationierungen anbieten. Deutschland könnte, ebenso wie andere Nato-Staaten, im Rahmen des Nordatlantikpakts verpflichtet werden, eine Modernisierung der in der Eifel noch vorhandenen US Atomwaffen zu akzeptieren.
Schlechte Aussichten, aber beinahe noch abenteuerlicher sind die sicher bald wieder aufflackernden Debatten über eine eigene europäische Nuklearmacht. Wer die Abschreckung nur deswegen kritisiert, weil man zu den »nuklearen Habenichtsen« gehört, und zugleich damit liebäugelt, sie selbst zu bedienen, verliert seine Glaubwürdigkeit. In Europa reduziert sich jede nukleare Abschreckung auf eine Selbstabschreckung.

Die Idee einer parteiübergreifenden Schar von Strategen, den nächsten Schritt bei der europäischen Einigung auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik zu unternehmen, folgt der fehlgeleiteten Vorstellung, Zustimmung zur EU ließe sich durch eine Demonstration der Stärke gewinnen. Die EU braucht aber vielmehr eine Strategie zur Überwindung der wirtschaftlichen Benachteiligung des Südens und Ostens. Sie wird nicht von außen, sondern von innen bekämpft.