Das »Treffen in Tunix« von 1978 in Westberlin

Von wegen die tun nix

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Zur politischen Macht gesellte sich eine vorauseilende Anpassung an die neuen ökonomischen Imperative des Kapitalismus. Kollektive, Projekte und Gründereuphorie waren paradigmatisch für eine neue Ökonomie der gutausgebildeten Mittelschicht. Der Tunix-Kongress sei ein »Start-up-Kongress der Alternativgesellschaft« gewesen, schrieb Dirk Knipphals aus Anlass des Jubiläums in der Taz. Alles bunt, alles vielfältig, alles selbstgemacht – die »Rebellion der Heinzelmännchen« (Wolfgang Pohrt) brachte das Bionade-Biedermeier hervor. Statt Fremdbestimmtheit wurde Eigeninitiative gefordert, eine Parole, die Gerhard Schröder (SPD) aufgriff, um das Solidarprinzip des Sozialstaats auszuhebeln.

Der Strand von Tunix – nur ein Naturschutzpark der Wohlgesinnten im funktionalen Gefüge der Kapitalverwertung? Weltflucht, die sich als Welteinverständnis erweist?

Die aus dem Tunix-Kongress hervorgegangene Projektkultur wird nun auf einem weiteren Kongress des Berliner HAU Hebbel am Ufer einer Revision unterzogen. Dort werden unter anderem Veteranen wie Helmut Höge und Cord Riechelmann sprechen. Zugleich wird es um eine Kritik der neuen Herrschaftsverhältnisse des Kreativkapitalismus gehen, in dem sich das Subjekt selbst zum Projekt gewandelt hat.

Felix Klopotek hat mit dem von ihm herausgegebenen Buch »Zonen der Selbstoptimierung« eine kritische Bestandsaufnahme der neuen Techniken des Selbst unter Bedingungen seiner umfassenden Verwertung vorgelegt; die Autorin Luise Meier spricht in ihrem Buch »MRX-Maschine« von einem »inneren Proletariat«, der Ausbeutung der Einzelnen in Eigenregie.

Die linke Projektkultur hat die Welt verändert. Die Frage ist nur, wie. Denn während andere Linke mit ihren Strategien offensichtlich scheiterten, sind die Alternativen durchaus erfolgreich gewesen: Die Grünen sind, ohne dass sie etwas dafür könnten, unerklärlich beliebt und in Umfragen zweitstärkste Partei nach ihrem konservativen Vorbild. Die Taz gibt es immer noch. Atomstrom wird nur noch importiert. Feminismus bricht auf Twitter alle Rekorde. Die CSD-Parade bereichert den Tourismusstandort Berlin. Schwule und Lesben gelten als brave Familienmütter und -väter. Und mit der Patientenverfügung kann man über die eigene sozialverträgliche Endentsorgung immerhin selbst entscheiden.

Das Problem mit den Erfolgen der Alternativen ist, dass die Welt in den Grundfesten doch dieselbe geblieben ist; das fällt auf diese Erfolge zurück. Im Grunde ist das in der Rede von der Alternative schon angelegt: Es geht um Pluralismus statt um den Unterschied ums Ganze. Der Strand von Tunix – nur ein Naturschutzpark der Wohlgesinnten im funktionalen Gefüge der Kapitalverwertung? Weltflucht, die sich als Welteinverständnis erweist? Vorbote des unternehmerischen Selbst? 40 Jahre nach dem Tunix-Kongress wird man diese Fragen diskutieren müssen.

 

»Wiedersehen in TUNIX! Eine Revision der Berliner Projektekultur« am 1. und 2. Dezember am HAU Hebbel am Ufer in Berlin.
Organisiert von Heimo Lattner, Annette Maechtel, Birgit Effinger und Anina Falasca. Mit Felix Klopotek, Luise Meier, Guillaume Paoli, Isabell Lorey, Tom Lamberty, Katja Diefenbach, Helmut Höge, Gertrud Koch, Cord Riechelmann und vielen anderen.