Essay - Isaac le Maire war der Erfinder der ungedeckten Leerverkäufe

Glanz und Elend des ersten Aktionärs

Isaac le Maire hat zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Leerverkäufe erfunden und ging am Ende selbst leer aus.

Bevor George Soros als Finanzier ­zivilgesellschaftlicher und politischer Initiativen gehasst wurde, wurde er als Börsenspekulant gehasst. Im September 1992 war er beispielsweise maßgeblich an dem beteiligt, was Schwarzer Freitag genannt wird (dessen Geschichte vor allem aufgrund diverser Fehler der Politik äußerst interessant ist, aber darum geht es an dieser Stelle nicht).

Soros war auch als Short Seller bekannt geworden – dabei geht es darum, mit Aktien zu handeln, die man sich von einem Broker ausleiht, weil man davon ausgeht, dass ihr Kurs sinkt, denn dann kann man diese Anteile zum vereinbarten Termin weit billiger einkaufen und zum Ausgangspreis zurückgeben. Und macht, wenn alles klappt, Gewinn (abzüglich der Provision, natürlich).

Short Sales sind keine neue Erfindung. Der erste dokumentierte Versuch, von sinkenden Kursen zu profitieren, fand in den Jahren 1609 und 1610 in Amsterdam statt.

Das gilt insgesamt als moralisch anrüchig. Dabei sind Leerverkäufe weiter verbreitet und vor allem im Alltag akzeptierter als allgemein angenommen – wie auch James Chanos, zeitweilig einer der erfolgreichsten Short Seller der Welt, findet: »Wenn eine Fluggesellschaft Ihnen heute ein Ticket für einen Flug im September verkauft, macht sie einen Leerverkauf für einen Sitz. Sie bezahlen für eine Leistung in der Zukunft. Die Fluggesellschaft nimmt Geld und leistet später.«

Nun sind Short Sales aber keine neue Erfindung. Der erste dokumentierte Versuch, von sinkenden Kursen zu profitieren, fand in den Jahren 1609 und 1610 in Amsterdam statt.

Die Geschichte dieser ersten Leerverkäufe und ihres Erfinders Isaac le Maire ist untrennbar mit der »Verenigde Oost-Indische Compagnie« (VOC) verbunden, und diese wiederum mit dem Achtzigjährigen Krieg, der von 1568 bis 1648 zwischen dem katholischen Spanien und den protestantisch-calvinistischen späteren Niederlanden tobte. Dazu kommen ein Königsmord und viele Rache­akte, Bespitzelungen, Machtmissbrauch, die Entdeckung der Route um Kap Hoorn und zahlreiche Intrigen. Und am Ende steht ein fehlerhaft beschrifteter Grabstein.

Viel ist über die ersten Lebensjahre des Isaac le Maire, der später einer reichsten Einwohner der Niederlande werden sollte, nicht bekannt. Er wurde vermutlich 1558 oder 1559 im heute belgischen Doornik (französisch: Tournai) geboren. Sein Vater Jacques Arnoutsz le Maire war ein Kaufmann, der mit der damals zu Schweden gehörenden estnischen Stadt Narva Handel trieb. Bis 1513 war Doornik französisch gewesen, wurde dann aber vom englischen König Heinrich VIII. erobert, acht Jahre später ging es an die Habsburger über.

Als Isaac acht oder neun Jahre alt war, begann der Tachtigjarige Oorlog, der mit einer zwölfjährigen Unterbrechung 80 Jahre dauernde ­Unabhängigkeitskrieg der »Republik der Sieben Vereinigten Provinzen« der calvinistischen Niederlande gegen das katholische Spanien der Habsburger. Wie der Dreißigjährige wird auch dieser Krieg 1648 mit dem Westfälischen Frieden enden.

Fest steht, dass Isaac mindestens drei Brüder hatte, die ebenfalls Kaufmänner mit weitverzweigten Kontakten waren. Pierre le Maire lebte als Vertreter von Isaac um 1600 in Hamburg, David le Maire in Livorno, wo er 1617 starb, woraufhin der Bruder Salomon le Maire dessen Geschäfte übernahm.

1581 wurde Doornik nach langer Belagerung durch die Spanier von Alexander Farnese erobert. Er ließ die protestantische Bevölkerung überraschenderweise nicht ermorden, sondern gab ihr ein Jahr Zeit, die Stadt zu verlassen – was ein kluger Schachzug war, denn dadurch waren die Holländer bei späteren Belagerungen nicht mehr ganz so ­geneigt, bis zum bitteren Ende zu kämpfen.

Die le Maires – die Hugenotten waren – emigrierten praktisch sofort nach Antwerpen. Antwerpen war Mitte des 16. Jahrhunderts die größte niederländische Stadt und das Handels-, Kultur- und Finanzzentrum West- und Nordeuropas.

Im selben Jahr heiratete der Seiden- und Juwelenhändler Jacques van de Walle dort Isaacs Schwester, die verwitwete Susanna le Maire.

Van de Walle hatte ein Vermögen durch den Handel mit Russland gemacht. Isaac war damals 22 Jahre alt und Gewürzhändler von Beruf, von seinem Schwager lernte er in dieser Zeit alles, was es über Auslandsgeschäfte zu wissen gab.

Mit Erfolg: Drei Jahre später war er bereits als wohlhabender Händler registriert, außerdem war er Kapitän der Bürgerwehr der Stadt, die damals von den Spaniern belagert wurde.

1585 heiratete er die Antwerpe­nerin Maria Jacobsdr Walraven. Das »dr« steht für dochter, also Tochter, wie das »z« für zon, Sohn, beide Patronyme waren damals verbreitet. Mit ihr bezog er ein Haus in der Antwerpener Kaasstraat, das »Schilt van Bourgognien« hieß.

Das Paar wird insgesamt 22 Kinder bekommen, von denen acht vermutlich kurz nach der Geburt sterben. Insgesamt werden zum Zeitpunkt des Todes von le Maire am 20. September 1624 neun Nachkommen in seinem Testament stehen.

Viel Zeit blieb den le Maires nicht, sich im neuen Haus einzuleben. Am 17. August 1585 ergab sich Antwerpen nach rund einjähriger Bela­gerung. Im Gegensatz zur sogenannten Spaanse Furie (Spanische Furie) Anfang November 1576, als für Spanien kämpfende Söldner plündernd und mordend durch die eingenommene Stadt gezogen waren und zwischen 8 000 und 10 000 Bewohner töteten sowie ein Drittel der Häuser niederbrannten, erging es den Einwohnern diesmal vergleichsweise gut. Den nichtkatholischen Antwerpenern wurde eine Vierjahresfrist eingeräumt, in der sie ihre Geschäfte regeln und die Stadt verlassen sollten. Wie die le Maires emigrierten die meisten sofort.

Damit begann der Exodus einer Generation aus den katholischen Teilen der Niederlande, die nur wenig später in Amsterdam die Vormachtstellung der Niederlande als Handelsnation mitbegründen ­sollte.

Die Bevölkerung von Amsterdam verdoppelte sich zwischen 1580 und 1600. Fast ein Drittel der neu Hinzugezogenen stammte aus den südlichen Niederlanden, den unter spanischer Herrschaft stehenden Gebieten, die heutzutage größtenteils in Luxemburg und Belgien liegen. Die meisten der später erfolgreichsten Kaufleute waren in dieser Zeit als junge Männer aus eben diesen »südlichen Niederlanden« in die Metropole gezogen.

Neuankömmlinge wurden dort allerdings nicht mit offenen Armen empfangen, vermutlich ist der 40 Jahre andauernde Kampf le Maires gegen das Amsterdamer Handelsestablishment auch darauf zurückzuführen, dass man ihm nie wirklich das Gefühl gab, dazuzugehören.