Debatte: Linke und Islamkritik

Die Muslime vor dem Koran retten

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Schröter koordiniert kritische Forschung zu Misogynie und Jihadismus und wird häufig als Islamkritikerin gehandelt, aber sie kann schon aus institutionellen Gründen keine echte Religionskritik liefern. Miso­gynie in Marokko und Autoritarismus in Saudi-Arabien lassen sich in Deutschland nur so lange beforschen, wie der Koran und die islamischen Rechtsschulen nicht als Ursache benannt werden. Kultur- oder religionskritische Perspektiven werden von derzeit hegemonialen wissenschaftlichen Standards als antimuslimischer Rassismus und »Essentialismus« kategorisiert.

Selbst dort, wo man irgendwo anerkennt, dass der Islam womöglich einige grundlegende Probleme hat, werden Kritiker der AfD den Islam verteidigen, aber Abschottungspolitik im Dienst der AfD vorantreiben – dieser fatalen Strategie folgen Politik und Akademie.

Aber ist nicht eigentlich an allem die Linke schuld? Dass Trump gewonnen hat, dass die AfD zulegt, dass der gemeine Arbeiter nicht zur Revolution schreitet, sondern regrediert, dass es keine bessere Gesellschaft gibt, dass sich der Islamismus ausbreitet? Hinter dem oft gehörten Lamento verbirgt sich nur selten reflexive Selbstkritik. Der Vorwurf gehört vielmehr zur Propaganda der rechten Querfront.
Der Islam erfuhr schon immer in der Geschichte universalistische, aufkläre­rische Kritik: die in der islamischen Welt entstehenden Kritiken; der »Traktat über die drei Betrüger« von 1719; Marx’ Polemik gegen den Islam (»Die Kriegs­erklärung. Zur Geschichte der orientalischen Frage«, 1854); die sozialpsy­chologische Feindaufklärung durch die Alliierten und Israel; die geschichts­wissenschaftliche Studien von Bernard Lewis.

Neurechte Islamkritik zeichnet sich dadurch aus, dass sie von der aufklä­rerischen Islamkritik abschreibt. Rechte Islamkritik zielt nicht auf globale islamistische Strukturen oder konsequente Ideologiekritik ab, sondern auf die identitäre Aufwertung des eigenen Kollektivs. Der Islam ist für die Rechte ebenso Mittel zum Zweck wie die (ex-)muslimische Islamkritik. Das Problem ist also nicht, dass Islamkritik nach rechts driftet, sondern dass viele, die heute die Kritik des Islam entdecken, schon vorher autoritäre Charaktere ­waren.

Die Frage, ob rechte Propaganda Linke von der Islamkritik fernhält, oder ob die Kritiklosigkeit der Linken am Islam Islamkritiker zur Rechten treibt, kann man nur für Individuen stellen. Für eine säkulare, der Aufklärung verpflichtete Linke bleibt die Situation, wie sie ist: gegen alte und neue Rechte, gegen das mörderische Abschottungsregime, gegen die Religion Islam, und das im Interesse der Muslime in aller Welt. Das ist so schwer nicht zu begreifen, wenn man einen einzigen Schritt vollziehen kann: Die Trennung zwischen Islam und Muslimen. Ob »Euro-Islam«, liberaler Islam, deutscher Islam oder säku­larer Islam.

Die einzig richtige Antwort auf Versuche, die Heterogenität der in den ­Islam hineingeborenen Menschen als Heterogenität des Islam zu verkaufen und damit Herkunft und Religion zu vermengen, hat dieser Tage die Jour­nalistin Ferda Ataman gegeben: »Wir verwenden die Zuschreibung als kul­turelles Stigma, aus dem man nicht rauskommt. Muslim bleibt Muslim. Egal ­ob gläubig oder nicht. Seid ihr verrückt?«