Debatte: Linke und Islamkritik

Die Muslime vor dem Koran retten

Der Unterschied zwischen identitärer und aufklärerischer Islamkritik ist, dass letztere »den Islam« von den Muslimen trennt.

Seyran Ateş wird kritisiert, weil sie auf einer Veranstaltung der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gesprochen hat. In einem Facebook-Post vom 10. November vermutetet der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger Ateş und andere muslimische Islamkritikerinnen und -kritiker in einer »Spirale, die sie immer aggressiver die Argumente der Rechten bedienen lässt«.

Im Fall Ateş lässt sich diese Vermutung leicht widerlegen. Dass sie in ihrer Rede die FPÖ nicht inhaltlich bediente, sondern kritisierte, hat Hannah Wettig vergangene Woche in dieser Zeitung bereits gezeigt (Jungle World 49/2018). Inhalte hat Ateş auch nicht aufgegeben, als sie zwei Wochen später der Preis einer Vereinigung annahm, die sich auf einen Hassprediger beruft, dessen Werk »Von den Juden und ihren Lügen« eine durchweg antisemitische Hetzschrift ist. »Im Andenken an das Wirken Martin Luthers« wurde Ateş vom Bund der Lutherstädte in Marburg den Preis mit dem Titel »Das unerschrockene Wort« verliehen. In der gleichen Stadt unterstützen sich Anhänger der Hamas und die SPD gegenseitig, wie Wissenschaftler vergangenes Jahr in Wort und Bild nachgewiesen haben. Ateş wurde bislang nicht dafür kritisiert, diesen Preis angenommen zu haben. Das Ansteckungsprinzip gilt nur für rechtsextreme Institutionen, nicht aber für ihre Themen.

Aber ist nicht eigentlich an allem die Linke schuld? Dass Trump gewonnen hat, dass die AfD zulegt, dass der gemeine Arbeiter nicht zur Revolution schreitet, sondern regrediert, dass es keine bessere Gesellschaft gibt, dass sich der Islamismus ausbreitet? Hinter dem oft gehörten Lamento verbirgt sich nur selten reflexive Selbstkritik. Der Vorwurf gehört vielmehr zur Propaganda der rechten Querfront.

Von Luther einmal abgesehen: In jeder größeren Partei befinden sich antisemitische Feinde Israels und nicht von der AfD, sondern von der CDU/CSU wurde die Politik der Abwehr von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU durchgesetzt und die türkische Mauer gegen syrische Flüchtlinge abgesegnet. So bigott die Bürgerinnen und Bürger oft im Umgang mit Juden und Geflüchteten sein können, von Islamkritikern erwarten sie hygienische Grenzarbeit nach rechts und dazu noch einen Islam ohne lästige »Fehlinterpretationen«. Letzteres liefert ihnen Seyran Ateş und dafür wird sie vor allem von Linken und der sogenannten bürgerlichen Mitte umworben. Ateş hat ihre zentralen Thesen gerade nicht den Argumenten der Rechten angepasst, sondern sie bedient ein eher linkes Vorurteil über den Islam. Sie suggeriert, es gebe eine theologische Lösung für die Probleme des Korans.

Damit verleugnet sie, was der Islam nun einmal ist: eine durch und durch vernunftfeindliche, autoritäre Religion, die ihren bedeutendsten Gottesbeweis in der Ausrottung und Versklavung jüdischer Stämme durch Mohammeds siegreiche Räuberbande sieht und für jeden Zweifel die Hölle androht – und das über 350-mal im Koran.

Es macht daher einen Unterschied, ob Ateş vor der FPÖ spricht oder ob der Publizist Hamed Abdel-Samad vor Burschenschaften und AfD auftritt, wie es 2015 in Marburg der Fall war. Abdel-Samad wurde damals von fast allen Seiten geschmäht, weil er den Koran kritisiert, Ateş wird von fast allen Seiten umworben, weil sie verspricht, den Koran zu retten. Abdel-Samad führt Muslime vom religiösen Islam, also aus den Moscheen, weg, die Imamin Ateş führt sie in ihre eigene hinein. Abdel-Samad war und ist ein Liberaler, der kein Gehör bei den Liberalen und Linken fand und der für die Freiheit für den Rest seines Lebens den Kopf hinhält. Er nutzt die Rechte aus realer Not als Sprachrohr, erstaunlicherweise meist, ohne deren Politik zu bedienen. Seine Kritik am Autoritarismus im Islam besteht aus seinen ureigenen Argumenten, die sich auch gegen AfD und Burschenschaften wenden lassen. Das gleiche gilt für Ahmad Mansour, dem man trotz einiger kritisierbaren Passagen kaum Anschlussfähigkeit an die Rechte vorwerfen kann.

Es gibt eben kein klares Muster im Verhalten von Islamkritikerinnen und -kritiker außer einer durchschnittlichen Anfälligkeit für die Propaganda der Neuen Rechten, die auch linke Nationalökonomen, wie etwa Sahra Wagenknecht, bedienen, oder manche Antideutsche, die sich nach Nestwärme sehnen.

Strukturelle Indifferenz findet man vor allem an den Universitäten. Die Professorin Susanne Schröter  etwa warnt im Deutschlandfunk vor der »Verdammung einer Weltreligion in Bausch und Bogen«.

Abschiebung hingegen sieht sie in einem Interview in der FAZ  als legitimes Sanktionsmittel: »Wer [sich nicht adäquat verhält], sollte hier auch nicht bleiben dürfen. Da bin ich relativ hart, wenngleich ich weiß, dass wir in diesem Punkt keine rechtliche Handhabe haben.« Entgegen der ewigen Klagen, die häufig von rechts kommen, liegt diese rechtliche Handhabe längst vor, ebenso wie der überparteiliche Konsens dazu. Nach Afghanistan wird abgeschoben, lediglich Reste des sub­sidiären Schutzes vor Folter oder Mord blieben bestehen (Paragraph 60 Abs. 3 und 7 AufenthG). Und die nach der Silvesternacht von Köln 2015/2016 noch einmal forcierte Abschottung trifft in aller Regel eher jezidische Geflüchtete als Straftäter.

 

Schröter koordiniert kritische Forschung zu Misogynie und Jihadismus und wird häufig als Islamkritikerin gehandelt, aber sie kann schon aus institutionellen Gründen keine echte Religionskritik liefern. Miso­gynie in Marokko und Autoritarismus in Saudi-Arabien lassen sich in Deutschland nur so lange beforschen, wie der Koran und die islamischen Rechtsschulen nicht als Ursache benannt werden. Kultur- oder religionskritische Perspektiven werden von derzeit hegemonialen wissenschaftlichen Standards als antimuslimischer Rassismus und »Essentialismus« kategorisiert.

Selbst dort, wo man irgendwo anerkennt, dass der Islam womöglich einige grundlegende Probleme hat, werden Kritiker der AfD den Islam verteidigen, aber Abschottungspolitik im Dienst der AfD vorantreiben – dieser fatalen Strategie folgen Politik und Akademie.

Aber ist nicht eigentlich an allem die Linke schuld? Dass Trump gewonnen hat, dass die AfD zulegt, dass der gemeine Arbeiter nicht zur Revolution schreitet, sondern regrediert, dass es keine bessere Gesellschaft gibt, dass sich der Islamismus ausbreitet? Hinter dem oft gehörten Lamento verbirgt sich nur selten reflexive Selbstkritik. Der Vorwurf gehört vielmehr zur Propaganda der rechten Querfront.
Der Islam erfuhr schon immer in der Geschichte universalistische, aufkläre­rische Kritik: die in der islamischen Welt entstehenden Kritiken; der »Traktat über die drei Betrüger« von 1719; Marx’ Polemik gegen den Islam (»Die Kriegs­erklärung. Zur Geschichte der orientalischen Frage«, 1854); die sozialpsy­chologische Feindaufklärung durch die Alliierten und Israel; die geschichts­wissenschaftliche Studien von Bernard Lewis.

Neurechte Islamkritik zeichnet sich dadurch aus, dass sie von der aufklä­rerischen Islamkritik abschreibt. Rechte Islamkritik zielt nicht auf globale islamistische Strukturen oder konsequente Ideologiekritik ab, sondern auf die identitäre Aufwertung des eigenen Kollektivs. Der Islam ist für die Rechte ebenso Mittel zum Zweck wie die (ex-)muslimische Islamkritik. Das Problem ist also nicht, dass Islamkritik nach rechts driftet, sondern dass viele, die heute die Kritik des Islam entdecken, schon vorher autoritäre Charaktere ­waren.

Die Frage, ob rechte Propaganda Linke von der Islamkritik fernhält, oder ob die Kritiklosigkeit der Linken am Islam Islamkritiker zur Rechten treibt, kann man nur für Individuen stellen. Für eine säkulare, der Aufklärung verpflichtete Linke bleibt die Situation, wie sie ist: gegen alte und neue Rechte, gegen das mörderische Abschottungsregime, gegen die Religion Islam, und das im Interesse der Muslime in aller Welt. Das ist so schwer nicht zu begreifen, wenn man einen einzigen Schritt vollziehen kann: Die Trennung zwischen Islam und Muslimen. Ob »Euro-Islam«, liberaler Islam, deutscher Islam oder säku­larer Islam.

Die einzig richtige Antwort auf Versuche, die Heterogenität der in den ­Islam hineingeborenen Menschen als Heterogenität des Islam zu verkaufen und damit Herkunft und Religion zu vermengen, hat dieser Tage die Jour­nalistin Ferda Ataman gegeben: »Wir verwenden die Zuschreibung als kul­turelles Stigma, aus dem man nicht rauskommt. Muslim bleibt Muslim. Egal ­ob gläubig oder nicht. Seid ihr verrückt?«