Das Verhältnis von Pop und Panik in den achtziger Jahren

Gewöhnung an den Untergang

Eine Analyse der ausgehenden Achtziger als Vorspiel böser Zeiten.
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Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Aus dieser düsteren Erkenntnis, die Fredric Jameson zugeschrieben wird, folgt: Krisenhafte Veränderungen kapitaler Vergesellschaftung erscheinen nicht mehr als politische, sondern als ökologische Krise, als drohender Weltuntergang.

Noch in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhundert war ein solches Denken nicht eben verführerisch für Jugendbewegungen oder gar die sich herausbildende Popkultur; Auffassungen, die notwendig immer auf Mäßigung, Verzicht und Opfer hinauslaufen, erfreuten sich lediglich in Deutschland mit seiner Lebensreformbewegung und seinen frühen Öko-Eso-Bestsellern wie Erich Scheurmanns »Der Papalagi« (1920) größerer Beliebtheit.

Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts allerdings scheint sich sozu­sagen der deutsche Zustand zu verallgemeinern. Das nahende Ende des Nachkriegsbooms und damit der zu teuer gewordenen sozialen Integration qua Arbeitsplatz und Wohnungsbau kam als ökologische Mahnung daher: 1972 sah der von dem italienischen Unternehmer Aurelio Peccei initiierte »Club of Rome« nicht die Grenze der Profitabilität kapitaler Produktion in dem Metropolen erreicht – was tatsächlich der Fall war –, sondern gleich die »Grenzen des Wachstums« überhaupt; dass also gesicherte Profitraten nicht mehr mit hohen Kosten sozialer Pazifizierung vereinbar waren, erschien den Autoren und der liberalen Öffentlichkeit in Form des grotesken Phantasmas, dass die natürlichen Ressourcen in wenigen Jahren schon erschöpft sein würden. Die austeritäre Wende wurde so konsensfähig als Gattungsappell, dass wir alle Bescheidenheit üben müssten, um die Natur, mit der man sich nunmehr eher solidarisierte als mit den Mitmenschen, nicht noch weiter zu vergrätzen.

Nirgendwo durchtränkt die Angstlust an der Endzeit derartig endemisch die mediale Produktion wie in Deutschland.

Und so brachte die Krise natürlich zuvörderst in Deutschland weniger erbitterte gewerkschaftliche Abwehrkämpfe mit sich (anders als in Großbritannien oder Frankreich), sondern das sprunghafte Anwachsen von Alternativbewegung und -ideo­logie. Die verbreitete Vorstellung von der Vermessenheit des modernen Menschen und der deshalb dem Untergang geweihten materialistischen Zivilisation einte dabei fließend pazifistische und ökologistische Projektionen: Apokalyptische beziehungsweise postapokalyptische Sujets vom Erleben oder auch Überleben der nuklearen Katastrophe waren überall en vogue und letztlich nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, richtete sich die Aggression gegen den Sozialstaat im Inneren gleichzeitig auch vehement gegen den im Äußeren, als den Reagan, Thatcher und Co. den real existierenden Sozialismus (ganz unabhängig von dessen maroder Verfassung) ansahen. Und so bot das zeitgenössische Blockbuster-Kino mal harte Apokalypse mit dem ballernden »Mad Max« (ab 1980), mal zarte Apokalypse mit dem freundlichen, atomtodgeweihten Zeichentrick-Ehepaar Max und Hilda in »Wenn der Wind weht« (1986); musikalisch wurde die Apokalypse mal zum Synthie-Pop-Hit – »Dancing with Tears in My Eyes« (Ultravox, 1984) –, mal zum Hair-Metal-Hit – »Final Countdown« (Europe, 1986) – oder ebenfalls epochentypisch zum Reggae-Rock-Hit – »Cruise Missiles« (Fischer-Z, 1981).

Europe Band

Stillos bis zum finalen Countdown: die Band Europe, 1988

Bild:
dpa / Fryderyk Gabowicz

Nirgendwo aber durchtränkt die Angstlust an der Endzeit derartig endemisch die mediale Produktion wie in Deutschland: Ein Buch wie den kryptosadistischen Endzeit-Enthemmungsschocker »Die Wolke« von Gudrun Pausewang auf den Schullehrplan zu nehmen (wie 1987 ff. geschehen), zeugte nicht zuletzt von einem gestörten Verhältnis zum eigenen Nachwuchs; misanthropes Öko-Flagellantentum beherrschte ebenfalls die Titelblätter des Spiegel: »Die fetten Jahre sind vorbei« (37/1980), »Der Wald stirbt – Saurer Regen über Deutschland« (47/1981), »Natur ohne Schutz« (13/1982), »Saurer Regen: Gefahr für Babys – Wenn der Wald stirbt, stirbt der Mensch« (2/1984), »Der Schwarzwald stirbt« (51/1984, »Mörderisches Atom« (19/1986), »Gift im Rhein« (49/1986) und last not least: »Der Mensch – Zu dumm fürs Überleben« (45/1988).

Die in den Achtzigern auf ihre ganz spezielle Weise aufblühende deutsche Popmusik kannte natürlich auch keine Parteien mehr, sondern nur noch Opfer. Die unfreiwillige und damals sich noch wechselseitig spinnefeind gesinnte monothema­tische Allianz reicht von Nicoles Grand-Prix-Sieger »Ein bisschen Frieden« über Nenas »99 Luftballons«, Gänsehauts »Karl der Käfer« und den DDR-Beitrag »Der blaue Planet« von Karat bis hin zu PVC mit »No ­Return« und zum radikal auftrumpfenden Deutsch-Punk: Das Kreuzberger Indielabel Aggressive Rockproduktionen (AGR) vertrieb seine repräsentativen Sampler unter dem Titel »Soundtracks zum Untergang«; bei AGR röhrten unter anderem Bands wie Spux oder Neurotic Arseholes ­Titel à la »Wir sind die letzte Generation« oder »Alles kahl hier (atom­verseucht)«.

Doch der Untergang fiel bekanntlich aus – zumindest in der Form, wie er beschrieben, verfilmt und besungen wurde: Das Nukleardesaster im April 1986 in Tschernobyl ging vorüber, ohne den deutschen Wald, das bundesrepublikanische Erbgut oder wenigstens die Krebsstatistiken der Krankenkassen in irgendwie ­bemerkbarer Form beeinflusst zu haben; in der Sowjetunion war da bereits Gorbatschow an die Macht gekommen, der sich anheischig machte, den Konkursverwalter des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe und des Warschauer Pakts zu geben – auch mit dem Atomkrieg schien es also vorerst nichts Rechtes mehr werden zu wollen.

Das hieß aber nicht, dass auch nur irgendjemand nun seines Alarmismus, seiner Hysterie peinlich berührt gewahr geworden wäre. Die Friedensbewegung zerfiel zwar rasch, die Ökologie hingegen blieb, verschob aber ihren Schwerpunkt von der kollektiv ausagierten Panik in die privat betriebene Vorsorge. Was wie ein Paradigmenwechsel wirken könnte, war allerdings bloß die andere Seite derselben Medaille, denn die achtziger Jahre waren von Anfang an ambivalent. Angedrehte Schwermut und überdrehte Albernheit gingen Hand in Hand, denn sie verkörperten beide die neue ökonomischen Politik des Kapitalismus: Die Aufkündigung der gesellschaftlichen Daseinsfürsorge, deren verschobenen Ausdruck die nagende Untergangsfurcht darstellt, wurde verbunden mit dem individualistischen Versprechen und der Hoffnung, dass man ja vielleicht zu jenen gehören könnte, die bei dieser Auflösung der Regeln und Konventionen nicht verlieren, zu jenen also, die sich ­daran bereichern können; ein asoziales Versprechen, das zunächst scheinplausibilisert wurde durch die enorme Verbilligung von Reisen, Modeartikeln und Unterhaltungselektronik im Zuge der in den achtziger Jahren etablierten Neuen Internationalen Arbeitsteilung.

Der Untergang verlor so nach und nach seine kollektive Dimension, er wurde privatisiert – und als 1989 dann tatsächlich eine Welt unterging, nämlich die mit dem Kollaps des sozialistischen Lagers gleich mitentsorgte sozialintegrative Nachkriegsordnung, traute man sich nicht mehr, die Angst zu spüren, auf die man vor wenigen Jahren noch so stolz gewesen war: »Mut zur Angst« hatte sich beispielsweise der Luchterhand-Verlag noch 1982 nicht entblödet, einen Sammelband von »Schriftstellern für den Frieden« zu betiteln. 1989 jedoch lebte man bereits in einer Gesellschaft, die sich durchs eingeübte allgemeine Furcht­ritual offenbar so sehr an die Möglichkeit des Untergangs gewöhnt hatte, dass sie den Kollaps irgendwann als ontologische Daseinsmöglichkeit hin- und nicht mehr als sozialen Skandal wahrnahm.

Heutzutage »geht zwar ständig ­alles Mögliche unter – Menschen, Projekte, komplette Staatswesen –, aber der kollektive Untergang ist nicht in Sicht … Da hatte die Atombombe einen wesentlich demokratischeren Anspruch«, hielt Frank Apunkt Schneider 2015 mit einigem Recht fest: »Die Welten, die heute ständig untergehen, sind individuelle Welten: die Welten der Einzelnen.« Und der mögliche Einwand, dass doch die gesellschaftliche Sensibilität für die Klimaentwicklung gestiegen sei, ein scheinbar allgemeines Anliegen also, geht vollkommen daneben, solange niemand sich auch nur ein bisschen für das Raumklima derer interessiert, die ihre stets teurer werdenden Strom- und Heizrechnungen nicht mehr bezahlen können. Deren Weltuntergang bleibt, wie es in den Achtzigern eingeübt wurde, ein privates Problem.