Allison Wolfe im Gespräch über das Vermächtnis der Riot-Grrrl-Bewegung

»Für mich zählen Inhalte, Ideen, und Aktionen«

Die Musikerin Allison Wolfe im Gespräch über die Bedeutung von Riot Grrrl heute, feministische Politik in den USA und »kulturellen Aktivismus«.
Interview Von

Du hast einst bei Bratmobile gesungen – zusammen mit Bikini Kill und Heavens to Betsy eine der wichtigsten Bands während der Riot-Grrrl-Ära in den frühen neunziger Jahren. Nun hast Du begonnen, eine Geschichte der Bewegung zu schreiben. Sie basiert auf Interviews mit jenen, die sie in dieser Zeit losgetreten haben, involviert waren oder sie unterstützten. Wie kam es dazu?
Als Riot Grrrl 20jähriges Jubiläum feierte, merkte ich, dass wir unsere ­eigenen Geschichten erzählen müssen. Dafür brauchen wir Insider und keine Unbeteiligten. Ich dachte zunächst, ein Oral-History-Projekt daraus zu machen, aber dann wurde es doch ein Buchkonzept. Ich habe meine ehemaligen Bandkolleginnen Erin Smith und Molly Neuman ­interviewt und mit Leuten wie Johanna Fateman, Amy Farina, Ian MacKaye, Cynthia Connolly und anderen ­gesprochen. Ich möchte ein Buch machen, das viele Stimmen aus ­jener Ära und jener Szene zusammenführt, um zum einen zu zeigen, wie politisch das Private ist, und zum anderen, dass wir reale Menschen mit realen Konflikten und realen Problemen waren.

Außerdem will ich zeigen, dass wir manche Belange wirklich sehr unterschiedlich beurteilt haben. Es gab nicht das universelle Thema, den entscheidenden Grund für oder die absolute Erfahrung bei Riot Grrrl. Das wollte ich festhalten.

Als ich die Dokumentation über Kathleen Hanna, »The Punk Singer«, gesehen habe, habe ich mich hin und wieder dabei ertappt, »Was?! So war das nicht!« gedacht zu haben. Ich begriff, dass ich ein gänzlich anderes Verständnis von manchen Situa­tionen hatte als sie. Natürlich nicht deshalb, weil Kathleen log, sondern weil unsere Wahrnehmungen ­bestimmter Momente sich immens unterschieden. Ich wollte deshalb die Mannigfaltigkeit der damaligen Stimmen und Perspektiven auf­zeigen. Meine Idee ist, ein Buch zu machen, das auf Text basiert, ich will aber auch die Mitschnitte zugänglich machen – vielleicht als umfängliche Podcasts jener Gespräche.

»Meine Mutter outete sich als lesbische Feministin, nachdem sie sich von meinem Vater hatte scheiden lassen. Ich war damals etwa sieben Jahre alt. Sie war Krankenschwester, ging zurück aufs College, machte einen ­höheren Abschluss und gründete die Women’s Health Clinic in Olympia.«

Wo wir schon über divergierende Erfahrungen sprechen – was dein eigenes Leben von den Biographien vieler anderer unterschied, die an Riot Grrrl beteiligt waren, ist deine Familiengeschichte. Du bist die Tochter von Pat Shively (­1944–2000), die eine anerkannte Frauenärztin und Aktivistin in Olympia, Washington, war. Was bedeutete es für dich, in einer ­feministischen Umgebung aufzuwachsen?
Meine Mutter outete sich als lesbische Feministin, nachdem sie sich von meinem Vater hatte scheiden lassen. Ich war damals etwa sieben Jahre alt. Sie war Krankenschwester, ging zurück aufs College, machte einen ­höheren Abschluss und gründete die Women’s Health Clinic in Olympia. Für eine alleinstehende Frau war es schwierig, einen Kredit zu bekommen. Viele wollten ihr kein Geld leihen, eben weil sie eine Lesbe und eine Feministin war – und weil Frauen in dieser Klinik abtreiben würden. Dauernd wurde gegen sie demons­triert. Ich bin jedenfalls in dieser feministischen Umgebung aufgewachsen und hielt das für selbstverständlich. Später bemerkte ich, dass ich im Vergleich zu vielen anderen Riot-Grrrl-Protagonistinnen aufgrund meiner Erziehung wohl ein ziemlicher Softie war – wahrscheinlich, weil ich im ­Gegensatz zu diesen weit weniger für feministische Werte hatte kämpfen müssen. Gleichzeitig habe ich viel Übles miterlebt. Meine Mutter wurde laufend diffamiert, ebenso wie ­meine Schwestern und ich oder ­irgendwer, der oder die aus ihrer Klinik kam. Wir hatten Angst, dass ­unsere Mutter eines Tages erschossen werden würde.

Mutmaßlich waren es militante Abtreibungsgegner, die 2005 einen Brandanschlag auf die Klinik ­verübten. Es wurde niemand verletzt, aber es entstand Sachschaden von rund einer halben Million Dollar.
Ja. Jemand warf Molotow-Cocktails aufs Dach. Die Klinik überstand das, aber ihre Versicherung trieb daraufhin die Beträge so hoch, dass sie anschließend keine Abtreibungen mehr vornehmen konnten. Sie mussten deswegen vor Gericht ziehen, und im Bundesstaat Washington gibt es nun ein Gesetz, das Versicherungen ein solches Vorgehen verbietet, weil das Terrorismus unterstütze.

Ich habe immer gewusst, dass Reproduktionsrechte gewahrt werden müssen, zudem aber immer auch geglaubt, dass solche Kliniken stets da sein würden. Meine Mutter hatte uns jedoch gewarnt: »Ich weiß, dass ihr das für selbstverständlich haltet, dass ihr annehmt, dass die Dinge eben so sind, wie sie sind. Aber ihr werdet sehen – wenn ihr euch einmal kurz abwendet, wird man euch das hier nehmen. Lasst es euch ­gesagt sein. Ihr müsst sehr wachsam sein, was Reproduktionsrechte anbelangt.«

Ich habe jedenfalls eine Menge von meiner Mutter gelernt, aber ich musste dennoch meinen eigenen Weg finden – mittels Sprache und Metaphorik zum Beispiel.

Riot Grrrl war die Bewegung, die von euren Zeitgenossinnen, zu denen auch deine Mutter zählte, häufig als harsche Kritik an der Neuen Frauenbewegung aufgefasst worden ist.
Vieles an Riot Grrrl war nicht gegen die »Zweite Welle« des Feminismus gerichtet, sondern versuchte, diesen ein wenig zu aktualisieren. Beispielsweise sollten Mädchenkultur und girl femmyness in akademische feministische Debatten einbezogen werden, im Sinne von: »Hey! Schenkt dem Leben junger Mädchen mal Aufmerksamkeit!« Außerdem ging es darum, zu einem sexpositiveren Feminismus zu kommen und Weiblichkeit im Feminismus zu akzeptieren.

Was würdest du als das Vermächtnis von Riot Grrrl betrachten?
Häusliche Gewalt ist noch immer ein Problem, das alle angeht, insbesondere weil diese so vielen öffentlichen Schießereien voranzugehen scheint – das ist etwas, das die Polizei viel dringlicher behandeln müsste. Außerdem leben wir in einem hochmili­tarisierten Land mit einfachem Waffenzugang für fast jeden, was ziemlich bedrohliche Situationen schafft.

Was das konkrete Vermächtnis der Bewegung anbelangt, würde ich nach wie vor sagen, dass der DIY-­Aspekt wirklich wichtig war und ist, insbesondere die Ermutigung von Frauen – oder von jedem Individuum –, sich eines Instruments anzunehmen. Gerade jetzt, wo alles vermarktet wird, jeder versucht, es zu schaffen, und jeder berühmt sein will – ob in Social Media oder sonstwo. Riot Grrrl hingegen kam vom Punk und nahm dessen DIY-Ethik ernst. Deshalb ging es dort nie darum, mit anderen Frauen zu konkurrieren. Die Vorstellung, dass es nur begrenzten öffentlichen Platz für ­einige wenige gäbe, sollte in Frage gestellt werden. Und es sollte daran erinnert werden, dass Kunst nicht das Gegenteil von Politik ist – dass du gleichzeitig wirklich kreativ und politisch sein kannst.

Deine heutigen Tätigkeiten ­beschreibst du als »kulturellen Aktivismus«. Was meinst Du ­damit?
Ich habe Corin Tucker von Sleater-Kinney zum ersten Mal diesen ­Begriff benutzen hören, als sie über Riot Grrrl, die Bands und die Aktivi­täten sprach, an denen wir beteiligt waren. Einer »politischen Aktivistin« werde ich nicht gerecht – ich mache einfach zu wenig, um als solche ­bezeichnet zu werden. Gleichwohl denke ich, dass jede auf ihre eigene Weise den bedrückenden Formen dominanter Kultur widerstehen, ­gegen diese ankämpfen und protestieren kann, dass wir das alle auf ­unsere jeweilige Art und Weise tun müssen – und dass es nicht nur ­einen Weg gibt, dies zu tun. Zur Revolution muss getanzt werden können! Menschen müssen beteiligt werden. Und Entertainment beteiligt Leute, was bedeutet, dass du deine Message mit Unterhaltung durchkriegst. ­Darum ging es auch bei Riot Grrrl.

Riot Grrrl wird in der Regel der »Dritten Welle« des Feminismus zugerechnet. Chronologisch ist das natürlich korrekt. Interessanterweise waren die wesentlichen Belange, die du gerade genannt hast – Reproduktionsrechte, häusliche Gewalt, Widerstand gegen bedrückende kulturelle Normen –, auch zentrale Anliegen der ­Neuen Frauenbewegung. Die meisten Angehörigen der »Dritten Welle« hingegen, insbesondere diejenigen des akademischen Gender­feminismus, haben ihr Haupt­augenmerk auf Sprache, das »Symbolische« und Performativität verlagert.
Du hast Recht, dass Begriffen und Sprache gegenwärtig tatsächlich viel Aufmerksamkeit zukommt – also wer welche Bezeichnung verwendet, um jemanden oder etwas zu beschreiben, was durch das Internet noch verstärkt wird. Und dann ist da noch dieser unzugängliche akademische Feminismus. Während ich keineswegs glaube, dass der Feminismus verflacht werden sollte, sind dieser Zweig und sein Jargon einfach nur befremdlich. Ich habe da einen deutlich lockereren Zugang – für mich zählen Inhalte, Ideen, und Aktionen: Wie behandeln wir einander? Ich weiß, dass das ziemlich einfach klingt, aber das beinhaltet eben Fragen wie »Wie behandle ich meinen Nachbarn?« und daran anschließende Überlegungen, in welchem Verhältnis dessen Bemühungen zu den eigenen stehen.

Was sind demnach gewichtige Ziele, die sich der Feminismus in der Gegenwart setzen sollte?
Spaltung ist hier ein immenses Problem. Das Formulieren gemeinsamer Ziele von verschiedenen Gruppen muss möglich sein, insbesondere in Trumps Zeiten. Was den Women’s March anbelangt – ich weiß, dass Demonstrationen nicht die einzige Option sind, um Protest zu bekunden, finde es aber wichtig, sich öffentlich zu zeigen.

Die Organisatorinnen des Women’s March sind bekanntlich wegen Antisemitismus kritisiert worden. War die Frage nach antijüdischem Ressentiment wichtig bei Riot Grrrl?
Ich kann mich nicht erinnern, dass viel darüber geredet worden wäre. Es gab jüdische Frauen in der Bewegung. Gleichzeitig ging es bei Riot Grrrl an so vielen verschiedenen ­Orten um so viele verschiedene Dinge, dass ich das nicht zuverlässig ­beantworten kann. Zudem hatten wir in den Vereinigten Staaten nie ein Pendant zur antideutschen Bewegung in Deutschland, welche die politische Linke gezwungen hätte, die unbequemen Aspekte ihrer eigenen Geschichte zu reflektieren.

Du hast einen Podcast moderiert, für den du andere Musikerinnen interviewt hast. Unter diesen sind – um nur einige zu nennen – Ana da Silva von den Raincoats, Donita Sparks von L7, Patty Schemel von Hole.
Dieser Podcast hieß »I’m in the Band« und war für ein Jahr lang mein Job. Nahezu jede Musikerin, mit der ich gesprochen habe, hat einmal die ­Erfahrung gemacht, in einem Club, in dem sie spielen sollte, entweder an der Tür, auf der Bühne oder Backstage abgewiesen worden zu sein, weil man ihr nicht abgenommen hat, in der Band zu sein. Ich wollte diesem Podcast aber keinen geschlechterspezifischen Namen geben, sondern nichtnormative Geschichten hervorheben. Gleichgültig wie an­erkannt die von mir interviewten Leute in unseren Szenen und Kreisen auch sein mögen – im größeren Rahmen, in der Rockwelt, sind sie es nicht. Nochmals: Wer schreibt Geschichte? Das wiederum schafft den Kanon, der genauso wie die übliche Rahmung von Interviews hinterfragt werden muss. Alice Bag zum Beispiel hat mir gesagt, dass Interviewer sich bei ihr sehr oft lieber nach Darby Crash erkundigen als nach ihrer ­eigenen Arbeit.

Mittlerweile spielst du mit Alice Bag in einer generationenübergreifenden Band, in der auch Seth Bogart Mitglied ist, der wiederum in den neunziger Jahren aufwuchs und Bratmobile hörte.
Wir hießen zunächst Double Scorpio, dann Scorpio Scorpio, und nun ­Cliquey Bitches. Meine Bandkollegen sind fabelhaft, arbeiten hart und wuppen einiges. Gleichzeitig sind wir alle auch mit anderen Dingen ­befasst. Wir haben unsere ersten sechs Songs bereits aufgenommen, und hoffen, schon dieses Jahr auch außerhalb der USA zu spielen!

 

 

Zu seinem 25jährigen Jubiläum ist der feministische Punk-Klassiker »Pottymouth« der Band Bratmobile neu aufgelegt worden. Deren ehemalige Sängerin Allison ­Wolfe spielt mittlerweile bei den Cliquey Bitches – gemeinsam mit Alice Bag, die 1977 The Bags mitbegründete, sowie Seth Bogart, ehemals Mitglied von Hunx and His Punx. Wolfe lebt in Los Angeles und arbeitet an einer Riot-Grrrl-Dokumentation.