Die SPD schwächelt in ihrer einstigen Hochburg Brandenburg, die AfD erstarkt

Panic on the Streets of Potsdam

Die AfD in Brandenburg wähnt sich nach einer Umfrage obenauf, sie könnte bei der Landtagswahl im September stärkste Partei werden. Die SPD, die seit 1990 den Ministerpräsidenten stellt, steht unter Schock.

Lange schien der ansonsten bundesweite Niedergang der SPD im Land Brandenburg nicht stattzufinden. Seit 1990 regiert hier die SPD, zunächst ­unter den populären Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias ­Platzeck, anfänglich zusammen mit FDP und Bündnis 90, danach allein, von 1999 bis 2009 in einer rot-schwarzen und seither in einer rot-roten ­Koa­lition. Die SPD gab dabei stets den Ton an.

Diese Ära der Parteigeschichte könnte mit dem seit 2013 amtierenden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke enden. Schon die Bundestagswahl 2017 zeigte, dass sich das politische Gefüge in dem Land verändert hat. Die CDU gewann die Wahl mit 26,7 Prozent, vor allem aber wurde die AfD mit 20,2 Prozent deutlich vor der SPD mit 17,6 Prozent zweitstärkste Partei. Nach der Wahl gab ­Woidke die von ihm lange gegen großen Widerstand vorangetriebene ­Kreisgebietsreform auf.

Mit dem Näherrücken der Landtagswahlen am 1. September 2019 wächst die Panik in der SPD. Eine Forsa-Umfrage aus dem Dezember sieht SPD und AfD gleichauf bei 20 Prozent, knapp vor der CDU (19 Prozent), mit Abstand ­folgen Linkspartei (17 Prozent) und Grüne (zwölf Prozent). Die AfD könnte also in Brandenburg erstmals bei einer Landtagswahl in Deutschland zur stärksten Partei werden.

Eine Forsa-Umfrage vom Dezember sieht SPD und AfD gleichauf bei 20 Prozent, knapp vor der CDU (19 Prozent), mit Abstand folgen Linkspartei (17 Prozent) und Grüne (zwölf Prozent).

Die Brandenburger AfD ist eindeutig rechtsextrem. Der Politologe Gideon Botsch vom Potsdamer Moses-Mendelsohn-Zentrum sagte der Jungle World: »Die Brandenburger AfD ist von Anfang an und seit den Tagen Gaulands stark durch Rechtsextremisten geprägt, sie hat mit Andreas Kalbitz einen Partei- und Fraktionsvorsitzenden, der den durch seine Teilnahme an einem konspirativen Zeltlager der ›Heimattreuen Deutschen Jugend‹ begründeten Verdacht nicht ausräumt, ein aktiver Neonazi gewesen zu sein.«

Das versucht die SPD sich zunutze zu machen. Woidke will mit dem Slogan »Ein Brandenburg« in den Wahlkampf ziehen, der für ein Land stehe, in dem für alle Platz sei, egal welcher Hautfarbe; für Offenheit, ein solidarisches Mit­einander und gegen Spaltung. Zudem sollen Gründe für eine mögliche Protestwahl beseitigt werden. So sollen die Straßenausbaubeiträge, ­lange als nicht verhandelbar galten, abgeschafft werden. Die Gebühren, mit denen sich Anlieger an Ausbau und Erhaltung kommunaler Straßen beteiligen müssen, belasten im ländlichen Brandenburg Anrainer oft ökonomisch existenzbe­drohend. Ein weiterer Versuch, der AfD Wähler abspenstig zu machen, findet beim Ost-West-Thema statt. Prominente SPD-Mitglieder setzen sich seit kurzem für eine Ostquote in Führungspositionen ein und fordern Respekt und Anerkennung für ostdeutsche Biographien.

Am Erfolg dieser Maßnahmen lässt sich mit gutem Grund zweifeln. Das Plädoyer für Zusammenhalt und Toleranz bleibt ohne materielle Unterfüt­terung eine leere Phrase. Ebenso wirkt die Forderung nach Karrierechancen für Ostdeutsche wenig überzeugend nach knapp 30 Jahren, in denen unter SPD-Regierungen in Verwaltung, Justiz und Wissenschaft Karrierenetzwerke von Westdeutschen auf das Schönste gediehen.

Und die Zeit drängt. Im Mai bereits stehen Kommunalwahlen an. Eine Niederlage bei diesen dürfte den Landtagswahlkampf für die SPD belasten. Während sie aber auf parlamentarischer Ebene tapfer versucht, den Eindruck zu erwecken, das Blatt ließe sich noch wenden, kann man im Bereich der Landes- und Kommunalverwaltung teilweise den Eindruck bekommen, die Machtübernahme der AfD stehe kurz bevor. In Gesprächen mit Behördenmitarbeitern hört man immer wieder, dass die Bereitschaft, sich durch Maßnahmen und Entscheidungen der Kritik der extremen Rechten auszusetzen, stark abgenommen habe. Seit der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke (Linkspartei), ein Ausweisungsverfahren gegen eine Gruppe Syrer einleitete, die im Sommer 2018 unter Morddrohungen und »Allahu Akbar«-Rufen eine Disko überfallen hatten, versuchen immer mehr Bürgermeister aller Parteien, sich in Fällen von Straftaten durch Flüchtlinge mit For­derungen nach harten ausländerrechtlichen Konsequenzen zu profilieren.
Die Linkspartei spielt in der direkten Auseinandersetzung mit der AfD keine wahrnehmbare Rolle. Sie steckt in einer schweren Krise.

Immer wieder stürzten in den vergangenen Jahren profilierte Landespolitiker im Ministeramt über Skandale und Skandälchen – zuletzt im August 2018 die als Gesundheitsministerin tätige Landesvorsitzende und eigentlich designierte Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, Diana Golze. Der Partei fehlen sowohl profilierte Personen als auch zugkräftige eigene Themen für die Landtagswahlen.

Vor Selbstbewusstsein strotzt hingegen die AfD. Auf ihrem Landesparteitag am 5. und 6. Januar in Rangsdorf sagte Kalbitz: »Ich bin zuversichtlich, dass wir nicht nur eine starke und effektive Opposition bilden werden. Wir ­haben mehr vor, wir wollen und wir müssen Verantwortung übernehmen.« Der so gut wie sicher geglaubte Wahlsieg löste einen Ansturm auf die Listenplätze zur Landtagswahl aus. Die an­wesenden AfD-Mitglieder konnten ihre Kandidaten unter 87 Bewerbern aus­suchen, die häufig mit scharfen rassistischen und oft offen rechtsextremen Phrasen und Parolen zu überzeugen suchten. Spitzenkandidat wurde Kalbitz, auf Platz zwei folgt Christoph Berndt, der Sprecher des Südbrandenburger Vereins »Zukunft Heimat«, der 2018 ­erfolgreich rassistische Großdemonstrationen in Cottbus veranstaltete.

Botsch hält dieses Ergebnis für bemerkenswert. »Zukunft Heimat« kenne keine Distanz zu Pegida, den Identitären und der Bewegungsagentur »Ein Prozent« des rechtsextremen Verlegers Götz Kubitschek. Das passe aber ins Bild. »Unsere Analyse von Berndts Redebeiträgen bei der Cottbuser Demonstrationskampagne hat gezeigt, dass er ein geschlossen völkisch-rassistisches, rechtsextremes Weltbild propagiert«, sagte Botsch der Jungle World. Das gute Abschneiden Berndts lässt vermuten, dass die AfD im Wahlkampf versuchen wird, an die rassistische Kampagne von »Zukunft Heimat« anzuknüpfen, mit der der Verein vergangenes Jahr über Monate Politik und Medien im Land vor sich hertrieb. Die weitere Entwicklung in Brandenburg wird davon mitbestimmt werden, ob und wie es staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen gelingt, sich diesem Druck zu widersetzen.