Der Verfassungsschutz befasst sich mit der AfD, ist aber selbst ein Teil des Problems

Spät keimt der Verdacht

Der Verfassungsschutz prüft, ob die AfD beobachtet werden soll. Dass dies hilfreich im Kampf gegen den Rechtsextremismus ist, muss bezweifelt werden.

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) wird zum Prüffall für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Thomas Haldenwang, der neue Präsident des Inlandsgeheimdienstes, sagte vorige Woche, seine Behörde habe »Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der AfD«. In Bezug auf die Jugendorganisation »Junge Alternative« (JA) und die Sammlungsbewegung »Der Flügel« um den thüringischen Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke lägen sogar gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass diese programmatische Absichten verfolgten, die die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verletzten. Da die JA und »Der Flügel« als »Verdachts­fälle« behandelt werden, ist sogar der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie Observationen oder der Einsatz von V-Leuten möglich. Die Entscheidung des Inlandsgeheimdienstes wurde von Vertretern der Bundesregierung begrüßt, aber auch von den Grünen gab es Zustimmung.

Der Verfassungsschutz hat in seinem Umgang mit der rechtsextremen Szene immer wieder bewiesen, dass er keineswegs Teil der Lösung ist. Oft hat er die Probleme sogar verstärkt.

Der Bürgerrechtsanwalt Rolf Gössner kritisierte den Vorgang in einem Gastbeitrag für die Taz hingegen scharf: Der Verfassungsschutz habe schon in der Vergangenheit ideologie- und systembedingt versagt, zudem müsse die Auseinandersetzung mit der AfD politisch geführt werden. Der linke Politikwissenschaftler Georg Fülberth schrieb im Neuen Deutschland, der Verfassungsschutz tauge schon wegen seiner ursprünglich strikt antikommunistischen Ausrichtung nicht zum Kampf gegen die AfD. Der Rechtswissenschaftler Tim Wihl bewertet das Prüfverfahren auf dem Verfassungsblog optimistischer: Der Verfassungsschutz sei möglicherweise dabei, in eine neue Phase des Staatsschutzes einzutreten. Habe die Behörde vorher den Staatsschutz vor allem als Republikschutz, gar als Schutz des Status quo des Kapitalismus verstanden, so sei in der Begründung für die mögliche Beobachtung der AfD vorrangig deren Ablehnung der Menschenwürde berücksichtigt worden. Doch handelt es sich dabei schon um einen »Staatsschutz 3.0«, wie Wihl schreibt, einen »Schutz der Bevölkerung vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit«?

Zweifel sind angebracht. Stimmte die Behauptung, dann müsste der Inlandsgeheimdienst konsequenterweise die Beobachtung von linksradikalen Gruppen einstellen – was in seinem vielbeschworenen »Kampf gegen den Extremismus jeglicher Couleur« jedoch nicht vorgesehen ist. Die Extremismustheorie ist weiterhin die ideologische Arbeitsgrundlage des Verfassungsschutzes. In der unterschiedlichen Behandlung der AfD als Gesamtpartei auf der einen und dem Flügel sowie der JA auf der anderen Seite kommt zudem ein seltsames Verständnis des Schutzes der Menschenwürde zum Ausdruck. Denn rassistische und menschenverachtende Aussagen waren auch von zahlreichen AfD-Politikern nicht zuletzt aus der Parteiführung zu hören, die völkische Forderung nach Ausgrenzung findet sich etwa im Bundestagswahlprogramm, wo es heißt: »Deutschland braucht ­einen Paradigmenwechsel hin zu einer nationalen Bevölkerungspolitik.«

Offenkundig ist zudem die Strategie, sich mit vergleichsweise gemäßigten programmatischen Formulierungen seriös zu geben, während man an an­derer Stelle durchblicken lässt, worauf man tatsächlich hinaus will – etwa wenn im Bundestagswahlprogramm eine »Erinnerungskultur« gefordert wird, die »auch die positiv identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst«, und Alexander Gauland die NS-Zeit als »Vogelschiss« bezeichnet, aber auch meint, man habe »das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«.

Die rassistischen und menschenverachtenden Positionen der AfD und ihre Zusammenarbeit mit extrem rechten Gruppen sind der informierten Öffentlichkeit längst bekannt. Bei einem Geheimdienst, dessen Aufgabe es ja ist, etwas herauszufinden, was nicht offen zutage liegt, sollte man das erst recht voraussetzen. Misst man den Verfassungsschutz an seinen eigenen Vorgaben, dann gäbe es eine ausreichende Grundlage dafür, nicht allein die JA und den Flügel, sondern die gesamte Partei als Verdachtsfall zu führen.

Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König (Die Linke) sagte der Jungle World: »Der Verfassungsschutz hat keine neuen bahnbrechenden Erkenntnisse dargestellt, er hat per copy and paste erneut zusammengetragen, was antifaschistische Initiativen, Journalisten und Wissenschaftlerinnen in den letzten fünf Jahren mit einer Vielzahl von Recherchen und Analysen sowieso schon nachgewiesen haben.«

Tatsächlich zitiert der Verfassungsschutz in seinem Gutachten sogar explizit antifaschistische Recherchen und die Analysen des Soziologen Andreas Kemper zum AfD-Politiker Björn Höcke. Der Verfassungsschutz, so König, komme wie so oft viel zu spät und stelle erneut unter Beweis, »dass er kein hilfreiches Instrument zur Früherkennung von Gefahren für die Demo­kratie darstellt«.

Dass ausgerechnet jetzt eine mögliche Beobachtung der AfD ins Spiel gebracht wird, ist wohl kein Zufall. Seit mehreren Monaten gibt es Forderungen von ­Politikern, selbst aus der CDU, die AfD zu beobachten. Außerdem wird der ­Inlandsgeheimdienst derzeit – wie so oft in seiner Geschichte – heftig kritisiert. Die verschwörungstheoretischen Einlassungen des ehemaligen Präsidenten Hans-Georg Maaßen über die Vorfälle in Chemnitz haben bis weithin für Verstörung gesorgt, auch bei vielen, die normalerweise dem Verfassungsschutz wohlgesinnt sind. Die Erklärung der AfD zum Prüffall erscheint vor diesem Hintergrund wie ein Versuch des Verfassungsschutzes, den Eindruck zu erwecken, dass man den Kampf gegen die extreme Rechte ernst nimmt, um den Ruf der Behörde zu verbessern.

Ob die Beobachtung der Gesamt­partei AfD durch den Verfassungsschutz überhaupt ein hilfreiches Mittel in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten wäre, ist fraglich. Der Verfassungsschutz hat in seinem Umgang mit der extrem rechten Szene immer wieder bewiesen, dass er keineswegs Teil der Lösung ist. Oft hat er die Probleme sogar verstärkt. Katharina König sieht die Gefahr, »dass der Geheimdienst ­erneut extrem rechte Strukturen mitfinanziert, wie dies bereits bei Tino Brandt vom Thüringer Heimatschutz der Fall war«. Zudem ist nicht gesichert, dass Erkenntnisse des Verfassungsschutzes an Betroffene weitergeleitet werden.

Dafür spricht etwa eine Reportage der Taz vom Wochenende, der zufolge der Verfassungsschutz Kenntnisse über eine extrem rechte Brandanschlagsserie in Berlin-Neukölln hatte, die mitgeteilten Informationen an die Polizei aber niemals bei dem Betroffenen ankamen. Zu den Verdächtigen gehört ein Bezirksfunktionär der AfD.

Der Verfassungsschutz betrachtet seine in Geheimoperationen gewonnenen Informationen zudem in der Regel als Privateigentum, über dessen Gebrauch nur das Amt selbst verfügen soll. Es gab und gibt eine Vielzahl von V-Leuten in extrem rechten Gruppen, nicht ­zuletzt im Umfeld des NSU, doch die von diesen beschafften Informationen wurden kaum weitergeleitet.

Es wäre zudem ein Wunder, wenn es im Verfassungsschutz nicht ebenfalls extrem rechte Strukturen gäbe, wie sie in der Bundeswehr und der Polizei in jüngster Zeit enttarnt wurden. Diese stellen eine wachsende Gefahr dar. So stehen mittlerweile zwölf hessische Polizeibeamte im Verdacht, extrem rechtes Gedankengut geteilt und Verbindungen in die Szene unterhalten zu ­haben. Mutmaßlich sollen aus ihrem Kreis Meldedaten der Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız weitergegeben worden sein, die infolge Drohfaxe mit dem Kürzel »NSU 2.0« erhalten hat. Beim Verfassungsschutz käme wohl niemand auf die Idee, im Polizeiapparat nachzuforschen oder gar Reviere und Einheiten, bei denen es Indizien für extrem rechte Infiltration gibt, zum Prüf- oder Verdachtsfall zu erklären. Auf den Verfassungsschutz sollte man sich nicht ­verlassen.

 

Geändert am 23. Januar 2018