In mexikanischen Zuliefererfabriken nahe der Grenze zu den USA wird gestreikt

Streik im Grenzgebiet

Beschäftigte in mexikanischen Zulieferfabriken an der Grenze zu den USA streiken seit Mitte Januar für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Sie hoffen auf eine grenzüberschreitende Solidarisierung.

Es war eine bemerkenswert große Menschengruppe, die sich am 21. Januar in Richtung der Grenze zu den USA aufmachte. Doch diesmal waren es keine Flüchtlinge aus Mittelamerika, sondern Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter der direkt an der US-Grenze angesiedelten mexikanischen Weltmarktfabriken, der sogenannten maquiladoras – und ihnen ging es auch nicht um ­Zuflucht in den USA. Von Matamoros liefen sie in Richtung des texanischen Brownsville, um mit der Parole »Gringos wacht auf« auf ihren seit Mitte ­Januar andauernden und medial bislang weitgehend ignorierten Streik aufmerksam zu machen. An dem Streik beteiligen sich je nach Quelle 40 000 bis 70 000 Beschäftigte, sie fordern dessen Ausdehnung über die Grenze ­hinweg. Die Demonstration stellte den Höhepunkt des »Tags ohne Arbeiter« dar, mit dem die Streikenden auf ihre Forderungen aufmerksam machen wollten.

Weitgehend fehlender Arbeitsschutz, längere Arbeitszeiten und geringe Löhne machen den Standort in Mexiko direkt an der Grenze für die US-Konzerne attraktiv.

Über eine Million Beschäftigte schuften in den etwa 3 000 maquiladoras entlang der Grenze. Dort werden 65 Prozent der mexikanischen Exporte produziert. Diese Entwicklung setzte ein, als US-Firmen vor etwa 40 Jahren ­begannen, Teile ihrer industriellen Produktion dorthin auszugliedern. Die ­bestreikten Unternehmen in Matamoros, darunter Inteva, STC, Polytech, ­Kemet, Tyco, Parker, AFX und Autoliv, beliefern vor allem die big three der ­Autoindustrie in den USA: General ­Motors, Ford und Fiat-Chrysler. Weitgehend fehlender Arbeitsschutz, längere Arbeitszeiten und geringe Löhne – derzeit beträgt der Durchschnittslohn in den maquiladoras etwa 176 Pesos pro Tag (entspricht acht Euro) – machen den Standort in Mexiko direkt an der Grenze für die Konzerne attraktiv. ­Zudem verfügen deren Vorstände mit der Gewerkschaft der Arbeiter und ­Industriearbeiter der Maquiladora-Industrie (SJOIIM) über eine ihnen er­gebene Organisation, die nicht nur über gute Kontakte zum Establishment in der Region verfügt und über Einstellungen und Entlassungen mitentscheiden kann, sondern auch eine Zwangsabgabe von vier Prozent der Löhne ­erhebt und damit einen nicht zu unterschätzenden Kontrollapparat aufbauen konnte.

Es überrascht daher nicht, dass die Reduzierung der Zwangsabgabe eine der zentralen Forderungen war, die auf der von einigen Arbeitern selbstor­ga­nisierten Vollversammlung Mitte Januar ­erhoben wurde. In der Folge kam es zum wilden Streik in Matamoros, an dem sich schnell Zehntausende ­Beschäftigte aus mindestens 45 Betrieben beteiligten und der auch auf andere Städte überzugreifen scheint. Die Streikenden fordern eine Lohnerhöhung um 20 Prozent, eine Einmalzahlung von 30 000 Pesos (1 380 Euro), die Rück­kehr zur 40-Stunden-Woche und die Auszahlung der zum Jahreswechsel versprochenen Boni. Die Forderung nach einer Verdoppelung der Löhne hatte der SJOIIM-Vorsitzende Juan Villa­fuerte noch verhindern können, als sich die Gewerkschaft, die zuvor mehrfach zur Wiederaufnahme der Arbeit aufge­rufen hatte, schließlich formal zum Ausstand bekannt hatte.

Der Konflikt zwischen den Streikenden, die unabhängig von der SJOIIM Vertreter aus allen bestreikten Fabriken gewählt, eigene Blockaden errichtet und Streikcafés aufgebaut haben, und den regionalen Institutionen dürfte dennoch weitergehen. Wie das trotzkistische Webportal wsws.org berichtet, das als eines der wenigen Medien außerhalb Mexikos das Geschehen konti­nuierlich begleitet, haben nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch führende Regionalpolitiker sich nun gegen die Streikbewegung gewendet. Demnach hatte selbst der als radikal geltende Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft von Matamoros, Javier Zúñiga Garcia, der zum »Tag ohne Arbeiter« als Redner geladen wurde, dort zum Ende des Streiks und zum »Vertrauen in die Institutionen« aufgerufen. Bei derselben Kundgebung sagte wsws.org zufolge der Bürgermeister von Matamoros, Mario López von der Partei Morena, der auch der Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador angehört: »Matamoros braucht Ruhe und Frieden« – ohne sich von den wütenden Reaktionen der anwesenden Arbeiter beeindrucken zu lassen. Seine vage Ankündigung, Hilfe aus Mexiko-Stadt anzufordern, konnte daher als Drohung verstanden werden.

Ob eine grenzüberschreitende Solidarisierung der Beschäftigten glücken wird, ist unklar. Im November hatte die US-Automobilarbeitergewerkschaft UAW angesichts der angekündigten Massenentlassungen bei General ­Motors den mexikanischen Kollegen noch vorgeworfen, »Arbeitsplätze zu stehlen«. Doch haben die seit Januar Streikenden aus dem Hinterland der US-Industrie immerhin schon eines bewirkt: Sie haben ihre Machtstellung ­innerhalb der internationalen Produktionsketten deutlich nachgewiesen. In fast allen Montagewerken von General Motors und Ford in den USA wurde ­infolge des Streiks die Produktion zurückgefahren oder gar, wie bei Ford in Flat Rock (Michigan), ganz eingestellt, weil Komponenten fehlen. Zumindest das könnte für ein wenig Aufmerksamkeit und vielleicht auch Nachahmer sorgen.