Ende der Friedensgespräche mit der Guerilla ELN in Kolumbien

Sprengstoff im Geländewagen

Die kolumbianische Guerilla ELN hat sich in einem Kommuniqué zu einem Bombenanschlag auf eine Polizeischule in Bogotá mit mehr als 20 Toten bekannt. Der rechtskonservative Präsident Iván Duque hat die Friedensgespräche mit der Guerilla beendet.

Ein Selbstmordanschlag war es wohl nicht, den die kolumbianische Guerilla ELN am 17. Januar auf eine Polizeischule in der Hauptstadt Bogotá verübte. Wahrscheinlich, so vermuten Ermittler und Beobachter, sei etwas schiefgelaufen, als der mit 80 Kilogramm Sprengstoff beladene Geländewagen explodierte und den Fahrer, einen mutmaßlichen Milizionär, und 21 meist junge Kadetten tötete. Nur wenige Stunden benötigten die Ermittlungsbehörden, um sich auf den ELN als Urheber festzulegen, und noch bevor es ein offi­zielles Bekennerschreiben gab, erklärte Präsident Iván Duque die Friedens­gespräche mit der Organisation für beendet.

Diese hatten 2015 noch unter der Vorgängerregierung von Juan Manuel Santos begonnen, waren allerdings, abgesehen von einem 100tägigen Waffenstillstand Ende 2017, kaum vorangekommen. Seit Duques Amtsübernahme im August hatte es zumindest offiziell keine Kontakte zur Verhandlungsdelegation des ELN mehr gegeben, die in Havanna wartete. Duque setzte die Haftbefehle gegen die Mitglieder der Delegation wieder in Kraft und bat am Donnerstag vergangener Woche die sogenannte internationale Gemeinschaft erneut darum, Kolumbien bei der Ergreifung der via Interpol gesuchten Guerilleros zu unterstützen. Mitglieder der Führungsriege werden im ­benachbarten Venezuela vermutet. Duque forderte zudem die kubanische Regierung auf, die Mitglieder der Verhandlungsdelegation festzunehmen und auszuliefern – ein diplomatischer Affront gegen den Garantiestaat Kuba.

»Für den ELN existiert in Kolumbien nach wie vor ein ungelöster be­waffneter Konflikt.« Luis Eduardo Celis, Konfliktforscher

In der Vereinbarung zu den Friedensgesprächen sind Protokolle enthalten, die die sichere Rückkehr der Delegierten nach Kolumbien innerhalb von 15 Tagen garantieren. Duque sieht sich jedoch nicht an diese Vereinbarungen gebunden. Die Forderung nach der Auslieferung wurde bislang nicht erfüllt und international unter anderem von der deutschen Regierung kritisiert. Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sagte auf Anfrage der Linkspartei, die kolumbianische Regierung drohe damit, einen negativen Präzedenzfall für künftige Friedensprozesse zu schaffen.

Präsident Duque begründet den Abbruch der Verhandlungen mit der ­anhaltenden Gewalt durch den ELN. Alles, was man bei der Evaluierung der Gespräche vorgefunden habe, seien »Verbrechen und Verwüstung, die sich in 111 Morden und 400 terroristischen Akten und einer Unmenge von Entführungen geäußert haben«.

Der ELN betrachtet die Fortsetzung der Kämpfe, die Anschläge auf Erdölpipelines und die Gefangennahme von am Konflikt beteiligten Soldaten und Polizisten hingegen als vom Kriegsrecht gedeckt. In den ersten Tagen nach dem Anschlag gab es Zweifel an den recht schnell vorgelegten Ermittlungsergebnissen; angesichts der Antiterrorrhetorik des Präsidenten  und der rechten und ohnehin den Friedensgesprächen skeptisch gegenüberstehenden Regierungspartei Centro Democrático stellten manche die Frage cui bono (wem nützt es?). Doch nach der Veröffentlichung eines Kommuniqués des ELN herrscht nun Gewissheit. Darin betonte die Nationale Führung das Recht auf »legitime Verteidigung« gegen Angriffe auf ELN-Camps. »Die Kadettenschule der Polizei ist eine militärische Einrichtung: Dort erhalten Offiziere Anweisungen und Ausbildung, die später Spionage und Militäroperationen durchführen, aktiv an der Antiaufstandsbekämpfung teilnehmen und soziale Proteste wie Krieg behandeln.« Bei der Aktion habe es kein einziges ziviles Opfer gegeben.

»Der ELN will mit dem Anschlag ­zeigen, dass die Gegenseite nicht willens ist, einen Frieden zu verhandeln. Denn für ihn existiert in Kolumbien nach wie vor ein ungelöster bewaffneter Konflikt«, sagt der Konfliktforscher Luis Eduardo Celis vom Think Tank Redpropaz im Gespräch mit der Jungle World. Abgesehen davon aber, dass kaum jemand in Kolumbien ein solches Attentat gutheiße, verschließe die Guerilla mit ihrem Konfrontationskurs den Raum für zukünftige Verhandlungen, so Celis.

Verantwortlich für den schwersten Anschlag seit Jahren ist wahrscheinlich die Urbane Front des ELN, die in vor­herigen Monaten bereits mehrfach Polizeistationen in Bogotá und der Hafenstadt Barranquilla mit Bomben attackierte. Die politischen Debatten über die Missstände in Kolumbien und den Konflikt in die Großstädte zu tragen, ist eine der Strategien, die der ELN auf seinem Nationalen Kongress 2006 festgelegt habe, berichtete die Organisation Insight Crime unter Berufung auf ­interne Papiere. Ein Mitglied des ELN wollte dies auf Nachfrage der Jungle World weder bestätigen noch dementieren. Über rund 2 000 Kämpfer und etwa 4 000 Milizionäre, die in zivilen Organisationen tätig und nicht unbedingt bewaffnet sind, verfügt die 1964 gegründete und nun letzte Rebellengruppe Kolumbiens. Den Beobachtern von Insight Crime zufolge deutet die Schwere des Anschlags auf die wachsende Schlagkraft der Organisation hin, die seit der Demobilisierung der Guerilla Farc und im Wettbewerb mit paramilitärischen Organisationen ihre territoriale Kontrolle in einzelnen Regionen ausgebaut hat.

Nicht nur von dort, wo die Menschen oft am meisten unter den bewaffneten Auseinandersetzungen leiden, sondern auch aus der Zivilgesellschaft und der »internationalen Gemeinschaft« kamen Aufrufe an den Präsidenten Duque, seine Entscheidung zu überdenken. Vertreter sozialer Bewegungen befürchten im Zuge der nun drohenden Intensivierung der Kämpfe eine weitere Verschärfung ihrer ohnehin kritischen ­Situation. Statistisch gesehen wurde 2018 fast alle zwei Tage ein sozialer Aktivist ermordet, 4 000 stehen unter ­Polizeischutz.

Juan Houghton von der sozialen Dachorganisation Congreso de los ­Pueblos sagte der Jungle World, das neue Kriegsszenario gegen den »inneren Feind« werde mit einer Stigmatisierung und Verfolgung der politischen Linken und Aktivisten einhergehen, insbesondere im Hinblick auf die für Oktober geplanten Regionalwahlen. »Die Angst vor Massakern bleibt bestehen«, so Houghton.

»Den ELN militärisch zu besiegen, ist keine machbare Option«, sagt der Konfliktforscher Celis und betont, dass Verhandlungen der einzige, wenn auch hürdenreiche Weg seien, den bewaffneten Konflikt mit dem ELN zu beenden. Voraussetzung dafür sei jedoch eine Vertiefung der Demokratie. »Dazu aber ist die aktuelle Regierung nicht bereit. Sie verteidigt den Status quo.«

Eine Intensivierung der Kämpfe in den Konfliktregionen insbesondere an der Grenze zu Venezuela und an der Pazifikküste ist daher ebenso absehbar wie eine Fortsetzung der Anschläge in den Städten. Anlässlich dessen erinnerte ein Kommentator der Tageszeitung El Espectador an eine Aussage des ehemaligen Farc-Kommandanten Alfonso Cano. Dieser hatte nach dem Scheitern von Friedensgesprächen 1992 zum ­Unterhändler der Regierung gesagt: »Wir sehen uns nach den nächsten 10 000 Toten.«