Venezuelas Wirtschaft liegt am ­Boden, die Ölfördermengen sinken

Es ist das Öl, Doofi

Die USA und ihre Verbündeten streben »regime change« in Venezuela an. Ihr Ziel ist es, Russland und China aus Lateinamerika zu verdrängen

Es scheint nicht völlig ausgeschlossen, dass Venezuela Besuch von US-Truppen bekommt, falls Präsident ­Nicolas Maduro nicht bald zurücktritt. Das ­haben in den vergangenen Wochen und Monaten führende US-amerikanische Politiker wiederholt nahegelegt. Er werde alles tun, um der neuen Regierung – gemeint ist selbstverständlich der Oppositionspolitiker Juan Guaidó – zur Macht zu verhelfen, hatte zuletzt US-Präsident Donald Trump im Kongress unter Beifall in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation gesagt.

Was man sich im Weißen Haus davon verspricht, hatte Trumps Sicherheitsberater John Bolton gut eine Woche zuvor in einem Interview im Fernsehsender Fox News formuliert. Es werde »für die USA einen großen wirtschaftlichen Unterschied ausmachen, wenn US-amerikanische Ölkonzerne wirklich in die Ölvorkommen in Venezuela investieren und diese fördern könnten«, sagte er.

Dass in Venezuela letztlich alles am Öl hängt, ist kein Geheimnis. Das Land verfügt über die größten Erdölreserven der Welt. Nach Angaben der Regierung Maduros sollen noch etwa 267 Milliarden Barrel im Orinoco-Becken liegen. Die Exporterlöse des maroden staatlichen Erdölkonzerns PDVSA, dessen Fördermenge in den vergangenen Jahren von über drei Millionen Barrel auf derzeit knapp 800 000 gesunken ist, sorgen für etwa 96 Prozent der Staatseinnahmen. Alle Versprechungen der bolivarischen Regierungen unter Maduro und seinem Vorgänger Hugo Chávez, die eigene Industrie oder die Agrarwirtschaft auszubauen, sind weithin gescheitert.

Venezuela blieb ein klassisches Beispiel einer gescheiterten Rentierwirtschaft. Für das laufende Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einer Inflationsrate von 1,37 Millionen Prozent, das Bruttosozialprodukt soll laut der Prognose um weitere 18 Prozent einbrechen.

Nach dem Einbruch des Rohölpreises 2009 waren es russische Staatskonzerne, die die Pleite des venezolanischen Ölrentensozialismus verhinderten.

Der Ökonom André Gunder Frank beschrieb das Problem des resourcenreichen Landes einst als »Entwicklung der Unterentwicklung«: totale Abhängigkeit vom Weltmarktpreis des jewei­ligen Rohstoffs, hohe Inflation, Import­abhängigkeit und daher Versorgungsengpässe selbst bei Alltagsgütern, ­gigantische soziale Ungleichheit, grassierende Korruption und eine Oligarchie, in deren Händen die ökonomische und politische Macht gebündelt ist, die aber nur bei ausgesprochen hoher Nachfrage nach ihrem Rohstoff außenpolitisch unabhängig agieren kann.

So dürften die anhaltenden innenpolitischen Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen der venezolanischen Oligarchie letztlich nur darüber entscheiden, ob das Land ein von den USA oder Russland respektive China abhängiger Rohstofflieferant sein möchte. Sich für die zweite Variante zu entscheiden, war in den vergangenen Jahren das letzte erbärmliche Glücksversprechen des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Vor allem nach dem Einbruch des Rohölpreises auf dem Weltmarkt ab 2009 waren es zunächst russische Staatskonzerne, die die ­Pleite des Ölrentensozialismus verhinderten. Die Neue Zürcher Zeitung zitiert dazu russische Quellen, die von Krediten von insgesamt etwa 17 Milliarden Dollar sprechen. Dafür hat sich Russland allerdings abgesichert. Neben Anteilen an venezoelanischen Erdölfeldern hatte sich etwa der russische Ölkonzern Rosneft zuletzt 49,9 Prozent der zur PDVSA gehörenden und vor allem in den USA tätigen Raffineriegesellschaft Citgo übertragen lassen. Mit noch größeren Summen ist in den vergangenen Jahren China in Venezuela eingestiegen. Seit 2012 hat die Volksrepublik, deren Ökonomie stark von Ölimporten abhängig ist, 60 Milliarden Dollar an Krediten gewährt, die mit Erdöllieferungen zurückgezahlt werden. Etwa ein Drittel der Rückzahlungen sollen noch aus­stehen.

Eine im vergangenen März unter dem Titel »Die strategische Relevanz Lateinamerikas in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA« veröffentlichte ­Studie des US Army War College kam zu dem Ergebnis, dass sich insbesondere in Venezuela »externe Akteure wie China und Russland den Interessen der USA in den Weg stellen«. Bisher ist es jedoch beiden Staaten nicht gelungen, die Bedeutung der USA zu erlangen. Noch immer kommen zwei Drittel der Einnahmen aus dem Ölgeschäft aus den Vereinigten Staaten, fast alle importierten Güter stammen von dort – ein Grund für die enge Verzahnung der nach wie vor privatwirtschaftlich tätigen Oligarchie mit den USA – und das schwere Öl aus dem Orinoco-Becken kann weiterhin nur durch Zusätze US-amerikanischen Leichtöls zu Treibstoff raffiniert werden. Auch deshalb ist die neue Sanktionspolitik der US-Regierung so effizient. Venezolanisches Staatsvermögen im Wert von sieben Milliarden Dollar wurde in den vergangenen Wochen eingefroren. Öllieferungen aus Venezuela dürfen nur noch in die USA importiert werden, wenn die Zahlungen statt an den Staatskonzern PDVSA auf Sperrkonten gehen.

Angesichts dieser Schritte bleibt der venezoelanischen Regierung offensichtlich nicht viel mehr, als zu verhökern, was sich noch verhökern lässt: Immer weitere Goldverkäufe, zuletzt an die Türkei, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate, werden ­bekannt, mit denen zumindest ein Rest an Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten wird. Lange wird dies nicht gutgehen.

Bolton hatte schon mehrfach an­klingen lassen, dass die 1976 vor allem gegen den US-Konzern Exxon gerichtete Verstaatlichungspolitik rückgängig gemacht werden könnte. Zwar können die USA zurzeit ihren Erdölbedarf selbst decken. Künftig aber wäre ein direkter Zugriff auf die venezolanischen Reserven, nicht nur hinsichtlich der Energiesicherheit, für die Machtposition der Vereinigten Staaten von Vorteil: Vor ­allem gegenüber den in der Region an Einfluss gewinnenden Staaten China und Russland würden die USA eine mächtiges Instrument in die Hand bekommen.