Wie und warum Henryk M. Broder rechts außen ankam

Die Halbwertszeit des Kritikers

Henryk M. Broder ist mittlerweile dort angekommen, wo ihn seine linken Widersacher schon immer gerne sehen wollten: rechts außen.

Er hat noch immer recht: Der ewige Antisemit kommt in wandelbarer Gestalt, als dummkerliger Sozialist, als judenfreundlicher Israelfeind, als notorischer Berufspalästinenser, als ganz gewöhnlicher Moslem. Henryk M. Broder wusste seit jeher, dass die Wahrheit – gerade eine solche – in die Öffentlichkeit gehört, denn nur da kann sie die Richtigen stören, um das Falsche zu zerstören. Als Linker tat er, seit Ende der Siebziger schon, was vornehmste Pflicht eines solchen ist: das eigene Milieu über sich selbst aufzuklären.

Doch dieses stellte sich taub. Was die Alten im Nationalsozialismus verbrochen hatten, wollten die Kinder und Enkel zwanghaft an den Unterdrückten der Welt wieder gutmachen, insbesondere dann, wenn sich als Unterdrücker Zionisten konstruieren ließen. Dabei störte der Jude Broder, taugte nicht als Kronzeuge, im Gegenteil, er klagte an: Die real existierende Linke hatte Verrat begangen an der Aufklärung, am Versprechen universaler Freiheit und allgemeinen Glücks, und vor allem: an Adornos Imperativ, das »Denken und Handeln so einzurichten, dass Au­schwitz nicht sich wiederhole«.

In einer der Linken nachfolgenden Bewegung findet gerade die Wiedergutwerdung der Rechten statt: Man hält es jetzt mit den Juden, wenn sie denn so reden, wie man selbst es gerne tut. Man hält es überhaupt mit dem Judentum, weil diese Volte das Deutsch- und das Abendland vom haut goût der Shoah befreit. Man hält es mit Israel, der richtigen Lehre aus der Geschichte wegen, doch eigentlich als Bollwerk gegen den Islam.

Broder ist mit seiner Kritik krachend gescheitert. Nicht an Unvermögen, im Gegenteil, sondern an einem in endloser Regression befindlichen linken und alternativen Milieu, das in der öffentlichen Debatte bis vor kurzem noch den Ton angab. In seiner Rede zur Verleihung des Ludwig-Börne-Preises in der Frankfurter Paulskirche 2007 – da war Angela Merkel gerade zwei Jahre im Amt – hielt Broder seinem Publikum vor: »Ich weiß, welche Rolle ich spiele: die des jüdischen Pausenclowns, der in einer großen Manege seine kleinen Kunststücke vorführen darf. (…) Meine Clownereien sind ein Beweis dafür, wie liberal die Gesellschaft geworden ist, die sogar meine Grenzverletzungen goutiert, solange sie dabei unterhalten wird.«

In den Jahren danach fand der Clown ein dankbareres, ein knallrechtes Publikum. Denn Broders Grenzverletzungen galten zunehmend nur noch der Linken und dem juste milieu. Darum auch wurde er jüngst von der AfD-Fraktion zum Vortrag über »Political Correctness« in den Bundestag eingeladen, und er kam gern, denn: »Wann bekommt ein Jude schon die Gelegenheit, in einem Raum voller Nazis, Neonazis, Krypto­nazis und Paranazis aufzutreten?« Die Stimmung war gelöst, der Scherz kam an und wurde mit Gelächter und Applaus honoriert; man verstand sich. Aber die aufgeworfene Frage verdient eine ernsthafte Antwort. Ein Jude bekommt eine solche Gelegenheit dann und nur dann, wenn er solchen Leuten zu etwas taugt.

In einer der Linken nachfolgenden Bewegung findet gerade die Wiedergutwerdung der Rechten statt: Man hält es jetzt mit den Juden, wenn sie denn so reden, wie man selbst es gerne tut. Man hält es überhaupt mit dem Judentum, weil diese Volte das Deutsch- und das Abendland vom haut goût der Shoah befreit. Man hält es mit Israel, der richtigen Lehre aus der Geschichte wegen, doch eigentlich als Bollwerk gegen den Islam.

Und man hält es mit der Gleichberechtigung der Frau, wie man sich überhaupt als Bannerträger der Aufklärung versteht; man deutet aufs Kopftuch und wünscht sich doch die Trägerin hinfort, Textil auf dem Haupt hin oder her.

Die Hinwendung zu Juden und zum Judentum, zu Israel, zur Aufklärung und zu Frauenrechten – das ist die größtmögliche Demütigung des politischen Gegners, die nur gelingt, weil die Linke diese ­Positionen geräumt hat, und es ist ­zugleich die dreiste Behauptung, dass man als neue mitnichten noch die alte Rechte sei. Man braucht und liebt dort den Broder: Er liefert als Jude die Legi­timität, und er liefert als Rhetoriker die Schibboleths.

An Henryk M. Broder zeigt sich das Dilemma einer Kritik, die auf herme­tische Verhältnisse stößt. Sie will Gehör finden und Wirkung zeitigen, aber sie findet keinen handlungsfähigen Empfänger. Dies als Dauerzustand über Jahrzehnte durchzuhalten, sich also von der Macht der anderen und der eigenen Ohnmacht, wie es bei Adorno heißt, nicht dumm machen zu lassen, braucht es mehr als nur ein wohltemperiertes Gemüt. Denn die Ohnmacht ist objektiv: Gesellschaftskritik – in ihren verschiedenen Spielarten – schafft es kaum mehr, die Verhältnisse auf die Begriffe zu bringen, und sie versagt notwendig, will sie zum Eingreifen anstiften. Infolgedessen neigt der Kritiker zu in der Kindheit durchaus mit Erfolg erprobten Methoden: Will man ihn nicht hören, wird er lauter und lauter; das Rechthaben regrediert zur infantilen Rechthaberei; die Polemik als Mittel, durch Zuspitzung das Elend hell auszuleuchten, schlägt um in groteske Übertreibung, die die Wirklichkeit entstellt. Bei eskalierender Unvernunft und Raserei finden sich dann neue Gefährten.

In einer solchen Phase angelangt, unterstützte Broder vergangenes Jahr eine »Gemeinsame Erklärung« gegen »illegale Masseneinwanderung«, unterzeichnet von Weggedrifteten wie Matthias Matussek und Eva Herman bis hin zu Identitären wie Caroline Sommerfeld. Als Adlatus von Vera Lengsfeld vertrat Broder diese Erklärung auch vorm Petitionsausschuss des Bundestags, in dem Lengsfeld bekundete, in Deutschland herrsche seit September 2015 »ein Ausnahmezustand«. Solche Leute wissen genau, was sie mit der Rede vom Ausnahmezustand insinuieren, und sie haben auch eine Idee, wer der wahre Souverän zu sein habe und wie er reagieren müsse. Darum suchen sie das Bündnis mit den Richtigen: den richtig Rechten.

Genau dort findet ein Broder das Milieu, das als einziges ein wirklich of­fenes Ohr hat, wenn es um den islamischen Antisemitismus, überhaupt wenn es um die Bedrohung durch den real existierenden Islam, und auch wenn es um die Parteinahme für Israel geht – aus welchen sinisteren Motiven auch immer. Ja, Broder hat eine Entscheidung getroffen, aber er hat sie mit Blick auf seine Optionen nicht ganz freiwillig getroffen.

Gleichwohl, er hat sich entschieden, auch dafür, auf Katrin Göring-Eckardts willkommenskulturelle Bekundung »Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt« mit »Wir bekommen die Krätze geschenkt« zu reagieren. Er stellt gegen die ideologisch bedingte Nai­vität der Grünen, die alle realen Schwierigkeiten negiert, das rassistische ­Bonmot.

Wer sich Jahrzehnte mit guten Gründen und Argumenten an Linken und Alternativen abmüht, dem droht der Tunnelblick, dem droht im politischen Problemverständnis alles andere zur quantité négligeable zu werden.

Die Kritik ausschließlich auf das eigene Milieu zu richten, wird so zur Gefahr für das politische Urteilsvermögen: Gesellschaft wird nicht mehr in ihrer Totalität und damit auch nicht mehr in ihrer totalen Elendigkeit erfasst. Und ehe man sich versieht, schlingt einem eine Alice Weidel die oberen Extremitäten um den Torso.

Zwei Wochen nach dem Auftritt bei der AfD war Broder zu einer Veranstaltung des österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (FPÖ) geladen. Das Thema: islamischer Antisemitismus. Von einem relevanten Dissens zwischen Broder und Strache war bis Redaktionsschluss nichts bekannt.