In Eisenach spricht man nicht gern über die umtriebigen Neonazis in der Stadt

Irgendwo in Thüringen

Man gibt sich bürgernah und trifft sich in einem Gebäude mit dem unschuldigen Namen Flieder-Volkshaus, es gibt auch Veranstaltungen mit unverfäng­lichen Titeln wie »Liederabend für kranke Kinder«. Das Flieder-Volkshaus ist jedoch das Zentrum der Eisenacher Neonazis, dort finden »deutsche Discoabende« sowie rechtsextreme Vorträge und Konzerte nahezu wöchentlich statt.

Die Thüringer NPD erwarb die Immobilie im September 2014 über einen Strohmann. Von dort aus organisiert die Partei ihre Aktionen in der Gegend. Dazu gehören das massenhafte Verteilen der regionalen Neonazizeitschrift Der Wartburgkreisbote sowie die Organisation von rechtsextremen Demonstrationen, an denen mal 20, mal 250 Personen teilnehmen – organisierte Neonazis, aber auch »besorgte Bürger«.

Als Koordinator gilt der ehemalige NPD-Landesvorsitzende Patrick Wieschke. Er betätigt sich seit über zwei Jahrzehnten in verschiedenen rechtsextremen Gruppen. Derzeit sitzt der 37jährige als Fraktionsvorsitzender der NPD im Eisenacher Stadtrat. Mehrfach stand er wegen Gewaltdelikten vor Gericht, unter anderem wurde er im Mai 2002 wegen Anstiftung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und einer Sachbeschädigung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Aus ge­leakten Polizeiakten geht zudem hervor, dass Wieschke 1999 seine Mutter verprügelte und 2001 ­gegen ihn wegen des sexuellen Missbrauchs einer Zwölfjährigen ermittelt wurde. Wieschke trat 2014 von sämt­lichen NPD-Ämtern auf Bundesebene zurück, was seine Aktivitäten in der Stadt jedoch nicht beeinträchtigte.

In den Zeitraum des Immobilienerwerbs durch die NPD fällt auch die Gründung einer gewalttätigen Neonazigruppe. Es hieß, dass Wieschke die Gruppe zunächst an sich gebunden habe, doch dann soll sie sich von ihm losgesagt haben und seither unabhängig agieren. Dies berichteten Antifaschisten aus der Stadt der Jungle World. Die Präsenz der autonom handelnden Gruppe ist im Stadtbild un­verkennbar. Zahlreiche Wände und Stromkästen sind mit rechtsextremer Propaganda besprüht. Im Frühjahr ­vorigen Jahres nahm die Polizei eine Hausdurchsuchung bei einem bekannten Mitglied der Gruppe vor. Der ­Vorwurf: Sachbeschädigung in über 70 Fällen.

Doch bei reinen Propagandaaktionen bleibt es nicht. »Die Neonazis ­gehen hier immer brutaler gegen alternative Jugendliche vor und gewinnen zunehmend an Selbstsicherheit«, berichtete ein Teilnehmer beim »Antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag«, der am 2. und 3. November in Eisenach stattfand. »Mittlerweile geht es so weit, dass Freunde tagsüber von Vermummten angegriffen werden«, so der Antifaschist. Eine mit Baseballschlägern bewaffnete Gruppe soll dreimal versucht haben, die Veranstaltung anzugreifen.

Im Oktober wurden Neonazis, nachdem sie Aufkleber am Synagogengedenkstein angebracht hatten, von der Polizei aufgegriffen, die neben Sturmhauben auch einen Elektroschocker und einen Schlagring sicherstellte. »In Eisenach konnte sich in den vergangenen Jahren eine große Neonaziszene entwickeln, die regelmäßig durch brutale Übergriffe und zahlreiche rechte Sprühereien im öffentlichen Raum um die Vormachtstellung kämpft«, sagt Katharina König-Preuss, Abgeordnete der Linkspartei im Thüringer Landtag.
Die Eisenacher Neonazigruppe organisierte sich in dem 2016 gegründeten, mittlerweile offenbar inaktiven »Antikapitalistischen Kollektiv« (AKK), das als Vernetzungsplattform autonom agierender Neonazigruppen aus ganz Deutschland dienen sollte. Nach dem Scheitern einer Demonstration am 1. Mai 2017 des AKK in Halle und den anschließenden Ausschreitungen mit zahlreichen Festnahmen in Apolda ist es mittlerweile ruhig um die Gruppe geworden. Trotzdem profitierten die Eisenacher Neonazis von der Vernetzung, die ihnen zahlreiche Kontakte verschaffte. Die Gruppe war in der Vergangenheit bei zahlreichen Veranstaltungen wie Demonstrationen und Kampf­sportevents zugegen und reiste sogar in die Ukraine. Sie besuchte dort im Dezember 2017 das größte Festival für nationalsozialistischen Black Metal (NSBM) in Europa, das »Asgardsrei-Fest«. Es wird vom dortigen rechtsextremen Versandhandel Militant Zone organisiert, der mit dem faschistischen Freiwilligenregiment Azsow eng verbunden ist. Eine weitere Reise der Eisenacher Gruppe nach Kiew soll im April vergangenen Jahres stattgefunden haben.

Den Aktivitäten der Neonazis will man in Eisenach mit Kunstpädagogik entgegenwirken. Als der Graffitikünstler Max Kosta im August den Auftrag erhielt, einen Fußgängertunnel im Zentrum der Stadt neu zu gestalten, entschied er sich, einen Rechtsextremen und einen vermeintlichen Linken an dem Projekt zu beteiligen, um sie ins Gespräch zu bringen. Solche Konzepte, die der in den neunziger Jahren praktizierten »akzeptierenden Jugendarbeit« ähneln, sind nachweislich nicht geeignet, neonazistische Umtriebe einzudämmen – vielmehr begünstigen sie deren Organisierung.

»Die einseitige Kritik, die sich auf die Beteiligung rechts gesinnter Jugend­licher bezieht, ist zu kurz gesprungen«, befand die Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linkspartei); andere Politikerinnen und Politiker der Partei hingegen kritisierten Kostas Konzept. Als die neugestaltete Fußgängerunterführung mit »AFA« (Antifaschistische Aktion) und »Wer schweigt, gibt Recht« übersprüht wurde, lobte die Stadtverwaltung eine Prämie von 500 Euro für »sachdienliche Hinweise zum Ergreifen des oder der Schmier­finken« aus. Vergleichbaren Eifer bei der Fahndung nach den Urhebern der unzähligen rechtsextremen Graffiti zeigt die Stadtverwaltung nicht und macht somit deutlich, wo der Schwerpunkt der städtischen Kampagne »Runder Tisch für eine saubere Stadt« liegt.

Die Unzumutbarkeiten in der Stadt sind Antifaschisten von außerhalb nicht verborgen geblieben. So ruft das antifaschistische Bündnis »Irgendwo in Deutschland« für den 16. März zu einer bundesweiten Demonstration in ­Eisenach auf. Dass dort Antifaschisten so wenig Rückhalt finden, möchte das Bündnis ändern. Die Zustände in ­Eisenach seien »als Spiegel gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse und rechter Hegemonie in deutschen (Klein-)Städten zu verstehen«, heißt es im Aufruf. In den vergangenen Jahren demonstrierte das Bündnis bereits in Zwickau und Wurzen. Die kommende Demonstration steht unter dem Motto »Die Wartburgstadt ins Wanken bringen! Antifa in die Offensive! Rechte Hegemonie durchbrechen!«. Mit rechts­ex­tremen Angriffsversuchen muss gerechnet werden.